Donnerstag, 02. Mai 2024

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Prozess gegen Wulff
"Wir brauchen mehr gegenseitige Medienkritik"

Medien behandelten jeden Anfangsverdacht wie eine Tatsache, kritisiert Susanne Gaschke angesichts des Falles Wulff im DLF-Interview. Als Journalistin und über einen Steuerdeal gestolperte Ex-Oberbürgermeisterin von Kiel kennt sie beide Seiten aus eigener Erfahrung: Presse und Politik.

Susanne Gaschke im Gespräch mit Friedbert Meurer | 19.12.2013
    Friedbert Meurer: Um neun Uhr, also in gut einer dreiviertel Stunde, wird im Landgericht Hannover der Prozess gegen Christian Wulff fortgesetzt. Bisher wurden an den vorhergehenden Verhandlungstagen rund zwei Dutzend Zeugen vernommen, um den Vorwurf der Staatsanwaltschaft zu belegen, dass sich Christian Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident der Vorteilsannahme schuldig gemacht habe. Es geht um eine Hotelrechnung unter anderem in München beim Oktoberfest. Herausgekommen ist bei der Zeugenbefragung bislang nicht allzu viel, sodass sich die Kritiker von damals bestätigt fühlen, die von einer Medienhetze sprachen. Politiker und Politikerinnen stehen heute mehr denn je im Rampenlicht von Medien und Internet, vielleicht auch mehr im medialen Feuer. Eine, die beide Seiten kennt, ist Susanne Gaschke. Sie schrieb für die Wochenzeitung "Die Zeit", dann entschied sie sich, in die Politik zu gehen, und wurde Oberbürgermeisterin von Kiel. Nach einer Affäre um einen Eilentscheid zu einem Steuerfall ist sie dann relativ schnell zurückgetreten, enttäuscht von der Härte des Geschäfts und wütend über die heftige Kritik an ihr, wie wir vorhin ja hören konnten. Bei uns ist sie jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Gaschke.
    Susanne Gaschke: Hallo, Herr Meurer. Guten Morgen!
    Meurer: Das heute mit Christian Wulff, der Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten, sehen Sie da zwischen Ihrem eigenen Fall, Frau Gaschke, und dem von Christian Wulff Parallelen?
    Gaschke: Erst mal wünsche ich ihm natürlich von Herzen, dass alle unberechtigten Vorwürfe gegen ihn mal endgültig aus der Welt geschafft werden, denn das ist schon ein Punkt, glaube ich, für alle Betroffenen, die in so einen medialen Skandalisierungsstrudel geraten. Sobald dann auch noch Justiz im Spiel ist, ist es ja für den Betroffenen, der weiß, er hat nichts Böses getan, eine fundamentale Frage der Ehre, und Medien behandeln eigentlich jedes Verfahren, jeden Anfangsverdacht und manchmal wirklich jede bloße Behauptung dann schon wie eine Tatsache. Es ist ganz schwierig, mit der Unschuldsvermutung ist da nicht viel, sondern berichtet wird mit großem Aufmacher, mit viel Platz und mit Kommentaren, als sei das, was irgendjemand behauptet, schon eine feststehende Tatsache, und das ist unendlich schwer zu ertragen. Ich habe als Journalistin natürlich versucht, nicht so zu arbeiten, aber wenn man auf der anderen Seite steht und Betroffener ist, jedes dieser Worte tut weh, jedes dieser Worte schmerzt, jedes dieser Worte greift Sie in Ihrer bürgerlichen Ehre an, und insofern kann ich nur ahnen, was Christian Wulff durchgemacht hat. Aber das, was ich erlebt habe, hat mir schon gereicht!
    Meurer: Bei Ihnen ist es ja auch so, dass die Staatsanwaltschaft in Kiel ermittelt. Was ist daran das Schmerzhafte? Sie sagten, die Ehre, der Ehrverlust, oder die Angst, das Amt zu verlieren, was ja bei Ihnen beiden dann auch eingetreten ist?
    Gaschke: Sie können das Amt einfach irgendwann - das ist ein Komplex ... da ist die juristische Beschuldigung nur ein Aspekt, bei politischen Konflikten häufig ein Kampfmittel der Gegenseite. Sie können eine Behauptung, 'die hat genötigt', 'die hat veruntreut', ja ganz leicht in die Welt setzen, dann spielen die Medien mit, ziehen das hoch, Titelseiten, Kommentare und alles. Und am Ende ist vielleicht was dran oder nicht dran. In meinem Fall ist ja ständig nichts, bei Herrn Wulff wünsche ich es ihm auch von Herzen. Das wird dann mal ausgeräumt mit einer kleinen Meldung hinten im Lokalteil. Das ist, glaube ich, ein ganz großes Problem für den Betroffenen, der auf einmal sieht: Sein ganzes Leben, wo er unbescholten gearbeitet, sich engagiert, sich bemüht hat, das wird auf einmal in meinem Fall dann auch noch von Ex-Kollegen praktisch für nichtig erklärt und die schlimmsten Sachen werden angenommen. Ich glaube, dass Medien da wahrscheinlich zu einer Art von größerer Vorsicht kommen müssen, alleine schon bei den Formulierungen.
    Meurer: Aber wir Journalisten sehen es natürlich als Aufgabe an, die Mächtigen zu kontrollieren. Frau Gaschke, waren Sie sich vielleicht nicht so bewusst, dass Sie jetzt zu den Mächtigen gehören, die besonders stark unter die Lupe genommen werden?
    Gaschke: Doch, auf jeden Fall. Deswegen muss ich ja, wenn ich zu diesen Mächtigen, wie Sie sagen, gehöre, wobei man in der Kommunalpolitik manchmal erstaunt ist, wie ohnmächtig man ist angesichts alleine der Finanzlage, ... Ich will ja genau unter die Lupe genommen werden, genauso wie ich mich sachlich sehr anstrenge. Aber dann erwarte ich auch von Kollegen natürlich, dass sie wirklich ihre Tatsachen überprüfen, dass die stimmen. Es ist unglaublich, was falsch abgeschrieben wird, und es trifft den Betroffenen unendlich viel mehr, wenn eine Tatsachenbehauptung über ihn falsch ist. Er kann sich dann jeweils im Einzelfall wehren mit großem Aufwand. Man kann schon bei der Wahl der Formulierung, glaube ich, eine Menge tun, nicht "Wulff soll gesagt haben" anonym irgendwie, sondern "Staatsanwalt XY behauptet, dass Wulff das und das gesagt habe", oder Gaschke. Das alleine ist wirklich etwas anderes, wenn Sie es in der Zeitung lesen. Und wenn das Ergebnis dann kommt und das Ergebnis ist positiv für den Betroffenen, dann würde ich eigentlich in Zukunft hoffen, dass Medien sich dazu durchringen, das ähnlich groß zu machen und zu gewichten, und dass Kommentatoren sich selbst korrigieren, wenn sie vorher ...
    Meurer: Man kann aber auch dagegenhalten als Politiker. Bei Wulff hat man ja zum Beispiel gesagt, warum diese Salamitaktik, so nach und nach immer wieder was Neues, immer wieder was Neues, warum hat er nicht früher klaren Tisch gemacht, selbst eine Liste aufgesetzt, vielleicht so, wie das Peer Steinbrück gemacht hat mit seinen Honoraren.
    Gaschke: Ich habe es in meinem Fall sehr schnell versucht, alles aufzuklären, auf den Tisch zu legen, immer wieder zu erklären. Die Gegenseite oder die Medien müssen dieses Angebot dann auch annehmen. Wenn die aber schon ihr eigenes Narrativ entwickelt haben, ist es manchmal sehr schwierig, dazwischen zu kommen. Ich weiß gar nicht, wie weit Herr Wulff nicht auch offen gewesen ist und dann überrascht gewesen ist, selber davon, womit die anderen nun wieder ankommen. Wenn Sie in dem Prozess stecken, sind Sie erstens ständig damit beschäftigt, sich selber zu wehren. Daneben müssen Sie Ihre Arbeit noch tun. Ich glaube, das ist das, was die meisten verzweifeln lässt, die in so einem Skandalisierungsstrudel sind, dass sie irgendwann das Gefühl haben, sie können angesichts dieser ganzen Vorwürfe ihre normale Arbeit gar nicht mehr machen. Und Sie kommen gar nicht drauf, was dann noch problematisiert werden kann. Nicht alles ist Salamitaktik des Betroffenen, sondern auf manche absurden Vorwürfe würden Sie selber gar nicht kommen.
    Meurer: War es bei Wulff so – das ist ja eigentlich insgesamt der Vorwurf -, dass er als Ministerpräsident zu sehr die Nähe der Promis gesucht hat, die Promis an sich herangelassen hat, sich hat zu Ferien einladen lassen? Der Tenor in der Presse könnte jetzt mutmaßlich sein: Egal ob das justiziabel ist, das gehört sich politisch nicht.
    Gaschke: Das ist aber eben nicht egal. Man kann über politische Kultur reden, ich kann das im einzelnen nicht beurteilen, welchen Lebensstil Herr Wulff da gepflegt hat, oder wie er das im einzelnen gemacht hat. Ich habe auch wahrgenommen, dass er versucht hat, einen etwas anderen – wie soll ich sagen? -, etwas frischeren oder unkonventionelleren Stil ins Schloss Bellevue zu bringen. Das muss nicht an sich schlecht sein, aber stört natürlich ein eingespieltes System, frustriert oder irritiert dann Erwartungen. Und wenn es dann eine Krise gibt, wenn es dann ein Problem gibt, dann ist derjenige, der etwas anders macht, schon mal etwas verdächtiger. Ich finde, es macht einen Unterschied, ob man Stilkritik übt, oder ob man Sachen beurteilt über jemanden in schärfster Form, die sich dann hinterher als sachlich nicht gerechtfertigt herausstellen. Ich glaube, wir brauchen – und das Publikum erwartet das auch; das Publikum nimmt ja die Presse durchaus auch als etwas zum Teil Hermetisches und nicht wahnsinnig Sympathisches in jeder Form wahr -, wir brauchen mehr gegenseitige Medienkritik in den Medien. Es gibt ja niemand, der uns kontrolliert, wenn wir es nicht selber tun. Wir gehen als Journalisten davon aus, ...
    Meurer: Jetzt reden Sie von sich wieder als Journalistin?
    Gaschke: Da bleibt mir im Moment wenig anderes übrig. Ich habe ja sehr gerne in dem Beruf gearbeitet und tue es jetzt auch wieder, und dieses alte "Wir" der Journalisten habe ich natürlich immer auch im Kopf, auch während meines eigenen Falles gehabt. Aber ich sehe das Problem schon: Wer kontrolliert die Schreibenden, die Drehenden, die Sendenden, wenn wir es nicht selber tun, und wie können wir da eigentlich für Standards sorgen?
    Meurer: Ein paar Gremien gibt es ja, Deutscher Presserat beispielsweise. Ich will mal ein Zitat von Ihnen noch vorlesen. Sie hatten ja gesprochen von der testosterongesteuerten Politik und von den Medientypen, die unseren Politikbetrieb prägen. Testosteron ist etwas, was wir Männer haben. Spielt das eine Rolle, Männer, Frauen im Journalismus? Wünschen Sie sich mehr einen anderen Journalismus, der von Frauen geprägt wird?
    Gaschke: Ich will nun auch nicht zu sehr stereotypisieren, Frauen immer weich und emotional. Ich habe mich jetzt in einer Situation mal emotional gezeigt in dem ganzen Prozess. Das hat mir enorm geschadet, so habe ich es jedenfalls wahrgenommen, weil dann sofort die Mechanismen greifen. Man wünscht sich immer eine andere Politik, ob nun weiblicher oder sonst wie anders, aber nicht so hermetisch, wie sie im Moment im eingefahrenen Politikbetrieb ist. Aber wenn dann jemand kommt und es anders macht, dann ist das auch nicht recht, und das habe ich gemeint. Diese politischen Berichterstatter, die ich da im Sinn hatte, die sind ja sehr nahe dran am eingespielten Politikbetrieb, fordern einerseits weniger hermetische Typen, weniger plastikartige Typen, schon Leute, die es irgendwie anders machen, aber wenn es dann anders kommt, ist es auch nicht recht und dann wird es verrissen im Sinne von kann es nicht, entspricht nicht den Standarderwartungen. Ich glaube, da könnte jeder, der mit einem anderen Hintergrund, auch einem weniger parteipolitischen Hintergrund, einem weniger geschliffenen Hintergrund, vielleicht dann manchmal auch mit einem weniger männlich, wasserabstoßenden Hintergrund eigentlich nur Gutes tun und den Betrieb positiv verändern.
    Meurer: Susanne Gaschke, Journalistin, vormals Oberbürgermeisterin von Kiel, zum Fall Christian Wulff, des vormaligen Bundespräsidenten, und dem Prozess gegen ihn. Danke schön, Frau Gaschke, auf Wiederhören!
    Gaschke: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.