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Prozess um Schmerzensgeld
Entschädigung für Kachelmann

2011 ist Jörg Kachelmann vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, sein Ruf war aber erst einmal ruiniert. Nach seinem Freispruch hat der ehemalige Wettermoderator deshalb gegen verschiedene Medien Schmerzensgeld-Klage eingereicht. Heute hat das Landgericht Köln die Boulevard-Zeitung Bild und den Springer-Verlag zu einer Rekordentschädigung von 635.000 Euro verurteilt.

Von Vivien Leue | 30.09.2015
    Der Wettermoderator Jörg Kachelmann kommt am 25.02.2015 in das Landgericht in Köln.
    Jörg Kachelmann im Kölner Landgericht. (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Es ist die höchste Entschädigungssumme, die jemals in einem solchen Verfahren zugesprochen wurde – auch wenn sie weit unter den Forderungen von Jörg Kachelmann liegt. Der hatte von Bild und Bild.de ein Schmerzensgeld in Höhe von 2,25 Millionen Euro gefordert – weil die Springer-Publikationen seine Persönlichkeitsrechte in Dutzenden Berichten verletzt und eine Hetzkampagne gegen ihn gestartet haben sollen. Was das ganz konkret für den ehemaligen Wettermoderator bedeutete, schildert sein Anwalt Ralf Höcker:
    "Man muss sich vorstellen, mein Mandant geht auf die Straße, geht zum Bäcker und weiß, die Bäckersfrau weiß das intimste aus meinem Leben und das ist in der Tat die Schuld von Medien wie der Bildzeitung."
    Auch beruflich und finanziell habe er fast alles verloren:
    "Seine Aufträge, seine Firma, er hat seine Immobilien verloren, sein Vermögen ist weg, er hatte hohe Schulden, hat sich viel Geld leihen müssen. Selbstverständlich ist sein Leben in fürchterlicher Weise durch den Prozess und durch die Berichterstattung darüber beeinträchtigt worden."
    Springer-Verlag geht in Berufung
    Aber sind die Boulevard-Medien, in diesem Fall Bild und Bild.de, für den tiefen Fall von Jörg Kachelmann verantwortlich oder war das öffentliche Interesse so groß, dass es eine Berichterstattung rechtfertigte? Diese Frage musste das Landgericht in den letzten sechs Monaten prüfen – und kam zu dem Ergebnis: Eine Hetzkampagne gab es nicht. Aber trotzdem waren die kritisierten Veröffentlichungen von Bild und Bild.de nicht rechtens, denn sie bedienten kein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit. Sie sollten allein die Neugier der Öffentlichkeit befriedigen. Außerdem sei es durch die Berichterstattung zu Vorverurteilungen von Kachelmann gekommen. Die wegen der Unschuldsvermutung gebotene Zurückhaltung haben die Springer-Medien laut dem Gericht nicht eingehalten.
    Das möchte der Axel-Springer-Verlag so nicht stehen lassen – und geht in Berufung. Anwalt Jan Hegemann erklärte in Köln:
    "Ich kann jetzt schon sagen, dass uns ganz im Wesentlichen die Ausführungen des Gerichts dazu nicht überzeugen. Über das ein oder andere wird man sicherlich nachdenken können."
    Welche Artikel und Fotos genau beanstandet wurden, das ist nicht öffentlich bekannt – also auch nicht, über welche Publikationen Springer doch noch mal nachdenken möchte. Anwalt Jan Hegemann nannte nur beispielhaft ein paar Fälle:
    "Das sind Fotos, von denen das Gericht meint, dass sie Kachelmann in seiner Privatsphäre zeigen. Beispielsweise ein Foto, das ihn zeigt auf dem Weg zu seinem Anwalt oder ein Foto von seiner Hochzeit, die ja direkt nach dem Urteil erfolgte, oder ein Foto vom Urlaub in Kanada. Da sagt das Gericht: Das ist so schwerwiegend, dass wir da eine Geldentschädigung auswerfen."
    Wie dürfen Medien über laufende Strafprozesse berichten?
    Textlich geht es laut Hegemann vor allem um Zitate aus dem privaten Chat- und Emailverkehr von Kachelmann mit seinen Geliebten und um inhaltliche Details aus diesem Beziehungsgeflecht. Die Richter urteilten aber, dass diese Informationen für den Vergewaltigungs-Prozess nicht relevant gewesen seien. Noch einmal Anwalt Hegemann:
    "Naja, da sage ich: Das weiß man immer erst hinterher."
    Das ist möglicherweise der Kernpunkt der Frage, die dieser Schmerzensgeldprozess jetzt aufgeworfen hat: Wie dürfen Medien über laufende Strafprozesse berichten? Wie weit dürfen sie in die Privatsphäre der Angeklagten eindringen, wenn doch die Unschuldsvermutung gilt? Laut Springer-Verlag könnte das heutige Urteil des Kölner Landgerichts Auswirkungen auf alle Medien in Deutschland haben:
    "Es bedeutet für die Zukunft, wenn dieses Urteil so halten sollte, dass die Presse immer außerordentlich sorgfältig abwägen muss, was sie tut. Ich zitiere aus dem Urteil: Der Beklagten kann daher nur der Vorwurf gemacht werden, dass sie auf dem außerordentlich schwierigen Gebiet der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen die rechtliche Grenzziehung fahrlässig verfehlt zu haben."
    Wie sehr vor allem Boulevardmedien in Zukunft also abwägen müssen, was sie berichten dürfen und was nicht, wird wohl die Berufung zeigen – denn rechtskräftig ist das heutige Urteil noch nicht.