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Prozessbeginn gegen mutmaßliche Djindjic-Attentäter

Renschke: Morgen in Belgrad beginnt ein Prozess, bei dem 39 Männer angeklagt sind, überwiegend Angehörige einer Bande und auch der so genannten Roten Barette, einer Sondereinheit der Polizei, die zu Zeiten von Milosevic eingesetzt war und denen nicht nur das Attentat, der Mord an Zoran Djindjic, den ehemaligen Ministerpräsidenten, zur Last gelegt wird, sondern auch weitere Morde, Entführungen und Erpressungen. Frage an Marie-Janine Calic, die Balkanexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, kann man denn, ohne dem Prozessverlauf oder gar dem Urteil zuvorzukommen, sagen, dass der oder die Attentäter im Falle Djindjic aus diesen Kreisen kommen muss, dass hier die richtigen Leute eindeutig vor Gericht stehen?

    Calic: Also zum einen ist zu sagen, dass der Hauptverdächtige, nämlich der ehemalige Kommandeur der Roten Barette namens Legija immer noch flüchtig ist, der auch zu diesem dubiosen Zemun-Clan gehört hat beziehungsweise da enge Verbindungen hatte und damit eigentlich die Hauptperson, die zur Verantwortung gezogen werden müsste, immer noch nicht vor Gericht sitzt. Zum anderen ist zu sagen, dass noch viele Unklarheiten bestehen. Hinsichtlich des Attentatsverlaufs und der Begleitumstände hat es sehr widersprüchliche Zeugenaussagen gegeben, und was man vorhersagen kann, ist, dass dieser Prozess wahrscheinlich keine vollständige Aufklärung der Hintergründe des Attentats bringen wird.

    Renschke: Nun gehören diese Angeklagten ja zu einem Geflecht, kann man sagen, einer Verquickung von Polizei und Unterwelt, einem politisch kriminellen Komplex, der noch aus der Milosevic-Ära reicht. Wie konnte der überdauern in die Zeit danach?

    Calic: Ja, das ist in der Tat ein Erbe der Milosevic-Ära, nicht zuletzt auch hervorgerufen durch die langjährige Isolation dieses Landes und das Wirtschafsembargo, das über Serbien verhängt worden ist. Das hat eine eigenartige Mischung zwischen organisierter Kriminalität und ihren Beziehungen zum Sicherheitsapparat, aber auch zu politischen Kreisen hervorgebracht, was nach dem Übergang in die Demokratie nicht vollständig aufgelöst werden konnte. Es gibt da sehr vielfältige personelle Verbindungen. Nicht alle sind bislang vollständig aufgeklärt worden. Was uns eigentlich beunruhigen sollte, ist, dass sicherlich auch der Prozess nicht vollständig wird klären können, ob und inwieweit es politische Auftraggeber gegeben hat, die hinter dem Attentat an Djindjic stehen.

    Renschke: Haben denn auch Milosevic-Gegner mit diesen Kreisen paktiert in diesen Zeiten des Übergangs?

    Calic: Ja, das wird ihnen vorgeworfen. Vollständig aufgeklärt worden ist das nicht. Die demokratischen Parteien werfen in erster Linie Milosevic selbst und seiner Frau, aber auch dem Führer der radikalen Partei Seselj solche besondere Verantwortung vor, mit diesen Kreisen paktiert zu haben, aber auch der ermordete Ministerpräsident Djindjic ist in Verdacht geraten, längere Zeit als vielleicht nötig gewesen wäre mit diesen Kreisen paktiert zu haben. Es hat gerade jetzt im Vorfeld des Wahlkampfes sehr viele gegenseitige Vorwürfe gegeben, auch um die demokratischen Lager, wer mit wem mit welchem Hintergrund paktiert habe. Das Ganze ist in eine ziemliche Schlammschlacht ausgeartet, und man kann sicherlich nicht mit letzter Gewissheit sagen, wer und in welchem Maße sich Schuld aufgeladen hat.

    Renschke: Damit sind wir bei dem anderen Thema, über das wir sprechen wollen. Dieser Prozess fällt ja in eine Zeit, in der sich die Serben politisch in einer weiterhin schwierigen Situation befinden. Da ist das Präsidentenamt seit einem Jahr vakant, weil in drei Wahlgängen nicht die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. Das Parlament ist aufgelöst und soll am nächsten Sonntag neu gewählt werden. Haben denn die Stimmberechtigten bei dieser Wahl klare Alternativen?

    Calic: Ja, die Stimmberechtigten haben durchaus klare Alternativen. Es ist nur leider so, dass sich im Vorwahlkampf ein sehr ungutes politisches Klima ausgebreitet hat der gegenseitige Vorwürfe. Korruption, politische Machtkämpfe sind da ans Tageslicht getreten, und es könnte durchaus sein, dass die weit verbreitete politische Frustration und Apathie auch bei diesen Wahlen wieder durchschlägt, das heißt, dass viele Leute vielleicht gar nicht zur Wahl gehen werden beziehungsweise dann zur Protestwahl greifen werden, was den radikalen Kräften in die Hände spielen könnte.

    Renschke: Für welche politischen Entwürfe stehen denn die Parteien, die zur Wahl stehen, was die mögliche Zukunft des Landes angeht?

    Calic: Wir haben nach den jüngsten Umfragen, die natürlich wahrscheinlich nicht ganz zuverlässig sein werden, aber doch vier große Parteien und ihre Verbündeten, die gegeneinander antreten. Da ist zum einen die Serbische Radikale Partei, die mindestens 16 Prozent der Stimmen erhalten soll, wenn nicht sogar mehr – bis zu 20 Prozent gehen die Prognosen. Sie steht für einen nationalen Kurs Serbiens, vertritt immer noch großserbisches Gedankengut, und das ist die Partei, von der alle im Westen hoffen, dass sie nicht stark aus diesen Wahlen hervorgehen wird. Wir haben dann die Demokratische Partei Serbiens, sie ist verbunden mit dem Namen des ehemaligen Präsidenten Kostunica, die ein eher gemäßigtes, nationalkonservatives Programm verfolgt, für eine starke Union Serbien-Montenegro eintritt, aber auch für Reformen, wirtschaftliche Reformen, auch innere Reformen wie die Zentralisierung. Wir haben dann das Lager der jetzigen Regierungspartei, der Demokratischen Partei und ihren Verbündeten. Die Demokratische Partei verspricht eine Fortsetzung des jetzigen Reformkurses, insbesondere auch im Bereich der Bekämpfung von Korruption und Kriminalität. Damit hat sie sich in den letzten Monaten in Position gebracht. Hinzu kommt noch eine bislang etwas kleinere Partei, die aber in den letzten Monaten sehr stark an Unterstützung gewonnen hat, die so genannte G 17 Plus, die für euroatlantische Integration steht, ganz radikale marktwirtschaftliche Reformen vorsieht und Serbien lieber heute als morgen von Montenegro unabhängig machen möchte.

    Renschke: Und insgesamt ist nirgendwo eine solche Person zu erkennen, die so stark und prägend war wie der vor neun Monaten ermordete Djindjic?

    Calic: Man kann eine solche Person in der Form sicherlich nicht erkennen. Man muss aber sagen, es gibt Personen, die auch in diesem neuen Parteienspektrum eine gewisse Glaubwürdigkeit haben. Kostunica von der Demokratischen Partei Serbiens ist eine Person, die sicherlich nicht viel Charisma hat, aber eine hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung besitzt. Er ist bisher frei von Skandalen und trägt das Image, eine Volkspartei zu vertreten. Auch der Kandidat der Demokratischen Partei Tadic ist recht beliebt und frei von Skandalen und besitzt eine recht hohe Glaubwürdigkeit. Deshalb glaube ich, dass auch nach den Parlamentswahlen wieder eine Person hervorwachsen könnte, die vielleicht nicht ganz denselben Profil wie Djindjic hat, aber doch auch mit einer gewissen Ausstrahlung und mit einem gewissen Profil den serbischen Reformkurs fortsetzen könnte.

    Renschke: Und die es schaffen wird, das Land und die Situation weiter zu stabilisieren?

    Calic: Ja, das ist eine andere Frage, denn Serbien kämpft mit sehr grundlegenden Problemen, die auch eine neue Regierung nicht ohne Weiteres wird lösen können. Wir müssen leider sehen, dass aus den Wahlen keine stabile Regierung hervorgehen wird, sondern die zur Wahl stehenden Parteien und Parteiengruppierungen werden alle mehr oder weniger gleich stark sein. Es ist also unklar, wie schnell eine Regierungsbildung überhaupt zu Stande kommt, wie stabil eine solche neue Regierung überhaupt sein kann. Das Land Serbien und Serbien-Montenegro kämpft mit sehr tiefgreifenden Problemen, zuallererst die ganze Frage der Transformation, also wirtschaftliche Fragen, Privatisierung, Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen der Bevölkerung, dann die ganze Frage der institutionellen Neuordnung in diesem Land – Serbien liegt im institutionellen Chaos -, dann kommt die Frage der territorialen Souveränität, also die Frage, wem wird Kosovo langfristig gehören und wird die Staatenunion Serbien-Montenegro überleben können.

    Renschke: Vielen Dank für das Gespräch.