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Psychiater über Perfektionismus
Die Angst vor der Durchschnittlichkeit

Kindergeburtstag, Urlaub, Weihnachtsmenü - vieles muss heute perfekt sein. Doch das führe immer mehr zu "perfektionistischen Problemen" wie Esstörung, Schönheitswahn, Burn-out, sagte der Psychiater Raphael Bonelli im Dlf. "Menschen haben panische Angst, dass sie nicht gut genug sind."

Raphael Bonelli im Gespräch mit Michael Köhler |
Doppelbelichtung einer jungen Frau
Perfektionisten kämen recht schnell zum Psychiater, sagte der Psychiater Raphael Bonelli im Dlf. Das klassische Beispiel sei der Burn-out-Patient. (Images / Panthermedia)
Was ist Perfektionismus? Es gebe gesunden und ungesunden Perfektionsdrang, der sich durch die Angst um sich selbst unterscheide, erklärte der österreichische Psychiater Raphael Bonelli im Deutschlandfunk. "Was denken die anderen? Werde ich genug wertgeschätzt? Viele Menschen wollen wertgeschätzt werden in der heutigen Zeit. Es geht ihnen nicht um die Sache, sondern um die eigene Wertschätzung." Man mache sich dadurch aber abhängig vom Urteil anderer Menschen. "Wir werden immer mehr zu einer egozentrischen Gesellschaft", hat der Psychiater festgestellt. Die Menschen kreisen immer mehr um sich selbst.
"Perfektionismus ist nicht, dass Menschen die Dinge gut machen, sondern dass Menschen panische Angst haben, dass sie nicht gut genug sind", sagte Bonelli. Die Menschen glaubten, wenn sie einen Fehler machten, seien sie nicht mehr liebenswert. Das habe dann auch massive Auswirkungen auf die Erziehung.
Die Zeit werde immer perfektionistischer. In seine Praxis kämen immer mehr Menschen mit perfektionistischen Problemen. Es finge an mit der Essstörung. Menschen wollten den perfekten Körperbau. Schönheitswahn, Leistungswahn - man definiere sich über die Leistung. "Wer nichts leistet, ist nichts mehr wert." Das spielt auch in die Erziehung hinein. "Man sucht die Super-Kids, die schon viele Sprachen sprechen, perfekt Tennis spielen. Das ist die Neurose der Zeit."
Sich annehmen in der eigenen Durchschnittlichkeit
Die große Überwindung sei, sich selbst anzunehmen mit der Fehlerhaftigkeit, Durchschnittlichkeit und Gewöhnlichkeit. "Wenn ich meinen perfektionistischen Patienten das sage: 'Sie müssen lernen sich anzunehmen in Ihrer Durchschnittlichkeit', dann ist für die wie ein Messer durchs Herz. Durchschnittlichkeit ist für sie dasselbe wie eine totale Katastrophe. In Wirklichkeit sind wir alle durchschnittlich in irgendeinem Bereich."
Perfektionisten werden zu Burn-out-Patienten
Auch im Berufswesen ließen sich viele Beispiele dafür finden, etwa in der Umbenennung von Berufsbezeichnungen. Aus Sekretärin wird dann "Office Managerin". "Das ist natürlich ein totaler Bluff und diesen Bluff sehe ich in vielen Berufssparten, wo Menschen ihre Wichtigkeit überbetonen." Der klassische Perfektionist sei ein Durchschnittsmensch, der immer versuche, seine Leistung in den Vordergrund zu stellen und zu betonen, wie sehr er leistet.
Perfektionisten würden sich selbst oft nicht als solche sehen, erklärt Bonelli. Sie seien oft auch unglücklich in ihrer Partnerschaft. Sie fühlten sich immer angegriffen, und könnten nicht großzügig verzeihen. Perfektionisten kämen recht schnell zum Psychiater, so Bonelli. "Das klassische Beispiel ist der Burn-out-Patient. Die meisten sind im Grunde Perfektionisten, die im Hamsterrad der Arbeit waren, um wertgeschätzt zu werden und deswegen kein Gespür dafür haben, wann sie eigentlich Schluss machen sollten, sondern immer noch einen weiteren Purzelbaum geschlagen haben, damit sie ja dem Chef gefallen."