Stimmen im Kopf, psychotische Störungen - darum geht es meistens, wenn Games psychische Erkrankungen thematisieren. Das wohl berühmteste Beispiel der jüngeren Zeit ist "Hellblade – Senua's Sacrifice", in dem die Spielerinnen und Spieler in die Rolle einer von Stimmen und Halluzinationen geplagten Kriegerin schlüpfen. Und auch in Spielen wie "Far Cry" tauchen immer wieder Antagonistinnen und Antagonisten auf, die offensichtlich unter wahnhaften Störungen leiden: "And I heard a great voice from the temple say to the angels: 'Go your ways and pour from the vials, the wrath of god upon the earth.'"
Psychischer Erkrankungen schwer visualisierbar
Aber warum spielen in Games so oft psychotische Störungen eine große Rolle? Die sind in der Realität sehr viel seltener als zum Beispiel Depressionen.
"Psychotische Störungen haben natürlich so gesehen einen Vorteil, dass sie oft mit audiovisuellen Halluzinationen einhergehen", sagt Jessica Kathmann. Sie ist Psychologin und beschäftigt sich im Podcast "Behind The Screens" mit psychologischen Aspekten von Games.
"Also dass man zum Beispiel Stimmen hört oder dass man Dinge sieht, die andere Menschen nicht sehen. Das ist etwas, was man natürlich ganz gut grafisch umsetzen kann oder auditiv umsetzen kann. Während eine Depression viel eher ein inneres Geschehen abbildet, das eben nicht erfahrbar zu machen ist über eine grafische Darstellung zum Beispiel."
Gerade im Indiebereich gibt es aber immer mehr Spiele, die Depressionen thematisieren. Ein Beispiel hierfür ist "Sea of Solitude". In der Rolle der Protagonistin Kay wandeln die Spielerinnen und Spieler durch eine Welt, die immer wieder unvermittelt zwischen Idyll und Horror wechselt und symbolisch für Kays Psyche steht. Bevölkert wird sie von großen, schwarzen Ungeheuern, die als Kombination aus Depression und Angststörung gedeutet werden können.
Indiegames mit radikalem Ansatz
Die Darstellung der Depression wird hier also durchaus audiovisuell unternommen - allerdings bleibt sie auf der Darstellungsebene. Das Leid der Depression wird zwar thematisiert, nicht aber spielerisch erfahrbar gemacht. Das Textadventure "Depression Quest" verfolgt einen radikaleren Ansatz.
Wie ein interaktiver Roman erzählt das Spiel seine Geschichte in Schriftform - die Spielerinnen und Spieler schlüpfen dabei in die Rolle eines Depressiven. Das Spiel schildert ihnen Situationen - etwa, dass die Partnerin des Protagonisten ihn auf eine WG-Party einlädt – und fordert auf, sich per Mausklick für eine Reaktion zu entscheiden: Sie können entweder alle Kraftreserven mobilisieren und widerwillig die Party besuchen oder sich zu Hause im Bett verkriechen.
Depressionen erfahrbar machen
Der Clou: Das Spiel stellt auch immer eine oder mehrere "gesunde" Reaktionen zur Auswahl, die aber nicht anklickbar sind. Im Beispiel wäre das etwa die Option, enthusiastisch auf die Party zu gehen und sich dort angeregt mit den anderen Gästen zu unterhalten. So gelingt es "Depression Quest", sich dem tatsächlichen Erleben einer Depression zu nähern. Denn depressive Menschen wissen natürlich, dass sie eigentlich andere Handlungsoptionen als die Depression haben, können diese aber aufgrund ihrer Erkrankung nicht wählen, was erheblich zum Leidensdruck beiträgt.
Spiele wie "Depression Quest" können zwar keine Depressionen heilen - die Psychologin Jessica Kathmann sieht in ihnen aber dennoch ein Potenzial, dem Stigma psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft entgegenzuwirken.
"Ich glaube, dass Depression Quest ja auch ein Spiel ist, das versucht, ein Erleben für Menschen erfahrbar zu machen, die nicht von Depressionen betroffen sind. Und soweit ich auch von Betroffenen höre ist es schon so, dass gerade dieses Spiel das auch gut schafft."
Lebensnahe Darstellung von Erkrankungen
Was "Depression Quest" aber vor allem schafft ist, zu keinem Zeitpunkt Spaß zu machen.
"Was ja vielleicht auch in gewisser Weise das ist, was ein Spiel, das tatsächlich Depression erfahrbar machen will, erreichen muss, weil auch eine Depression macht keinen Spaß und ist superquälend und superanstrengend und macht unglaublich vieles unglaublich schwierig. Das ist dann nichts was ich am Feierabend zum Entspannen und Spaßhaben spielen will. Das kann aber gleichzeitig auch eine Stärke von Videospielen sein."
Denn obwohl Spiel und Spielspaß oft noch immer wie selbstverständlich zusammen gedacht werden, sei das Medium mittlerweile weit darüber hinausgewachsen, meint Jessica Kathmann:
"Und ich glaube schon, dass auch mit dem zunehmenden Einfluss, den Videospiele in der Unterhaltungskultur haben, dass damit auch Möglichkeiten einhergehen, mit besseren und lebensnaheren Darstellungen von psychischen Erkrankungen auch einen neuen Raum zu schaffen, darüber zu sprechen und damit Erfahrungen zu machen."