Jürgen Liminski: Im Fall Italien konnte man noch kopfschüttelnd die Bilder der randalierenden Fans im Fernsehen betrachten. Aber seit den Ausschreitungen von Leipzig am vergangenen Wochenende ist das Phänomen Fußball und Gewalt auch im deutschen Diskurs angekommen. Da war es zwar schon immer, aber der hohe Grad an Gewaltbereitschaft ist neu und macht es über den Fußball hinaus zu einem gesellschaftlichen Phänomen.
Einer, der sich seit Jahren mit dieser Thematik wissenschaftlich befasst, ist der Psychologe Thomas Bliesener von der Universität Kiel. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Hooliganismus. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen Herr Bliesener!
Thomas Bliesener: Guten Morgen Herr Liminski!
Liminski: Herr Bliesener, Fußballfunktionäre und Polizei sind mittlerweile zu Wort gekommen. Bei der Diskussion und Ursachenforschung wird deutlich, dass es weniger um den Sport als solchen als vielmehr um psychologische, vielleicht auch massenpsychologische Aspekte geht. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Hauptursachen?
Bliesener: Nun, für die Ursachen des Hooliganismus machen wir mittlerweile eine ganze Reihe von Ursachen verantwortlich. Wir können das nicht auf einen einzelnen Aspekt reduzieren. So weit uns Daten vorliegen, wissen wir, dass bei Hooligans in der Regel schon in der Kindheit erste Bahnen gelegt werden. Vielfach hat es bereits Probleme, Konflikte in der Familie gegeben, eine hohe Gewaltneigung in der Familie. Später kommen dann Probleme in der Schule dazu, die sich dann auch in Problemen am Arbeitsplatz bei der Jobsuche, bei der Ausbildungssuche fortpflanzen. Und dann natürlich gerade bei Hooligans von erheblicher Bedeutung die Gruppeneinflüsse, die Bindung, die natürlich dann auch im Stadion stattfindet, an deviante, abweichende Gruppen, Gleichaltrigengruppen, in denen dann entsprechende Verhaltensweisen gelernt werden, aber eben auch, ja, Modelle vorliegen, an denen man das Vorgehen gegen gegnerische Gruppen erlernen kann.
Liminski: In der Masse, das heißt in der Kurve, verhält sich der Jugendliche anders als am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen. Die Vereine versuchen dem in vielerlei Hinsicht vorzubeugen. Wo muss man denn da ansetzen? Ist es nicht so zu spät, Herr Bliesener, wenn die Jugendlichen mit der Bierdose in der Hand in der Kurve stehen?
Bliesener: Zu spät ist es sicherlich nicht. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Maßnahmen, ein so genanntes Maßnahmenbündel. Es gibt auf der einen Seite in vielen Standorten, Bundesligastandorten, Fanprojekte, die sehr intensiv mit jugendlichen Fans arbeiten und versuchen, diese Jugendlichen an konstruktive Fanarbeit heranzuführen. Nun muss man sagen, dass diese Fanprojekte nicht mehr die richtigen Maßnahmen sind für eingefleischte, alte Hools. Hier haben wir aber eine ganze Reihe im Bereich der präventiven und auch der repressiven Polizeiarbeit, die sich im Bündel insgesamt als sehr effektiv erwiesen haben.
Liminski: Mal ganz konkret: Es soll ja gespielt werden. Haben Sie ein Konzept, wie man der wachsenden Gewalt in den Stadien und im Vorfeld vorbeugen kann?
Bliesener: Nun, wie die Austragung der letzten Weltmeisterschaft gezeigt hat, funktioniert das Maßnahmenbündel ja. Wir haben im Zusammenhang mit der WM einen relativ geringen Anteil an Ausfällen gehabt beziehungsweise Hooligans in typischen Ereignissen gehabt. Das zeigt, dass selbst im Verbund mit internationalen Wettbewerben diese Maßnahmen greifen. Wir haben allerdings das Problem, dass jetzt in Leipzig die Polizei offensichtlich überrascht war von der Zahl der dort angereisten Hooligans, und dass es da gerade im Bereich der neuen Bundesländer in vielen Standorten möglicherweise noch Defizite in der Umsetzung dieser Konzepte gibt.
Liminski: Ist denn der Hooliganismus nur ein Massenphänomen oder kann man ihm mit individueller Betreuung schon im Kindesalter den Boden entziehen? Es fällt ja auf, dass sich dieses Phänomen vor allem in Mittel- und Südeuropa breitmacht und nicht in den skandinavischen Ländern, wo es außer dem Klima, das solche Veranstaltungen natürlich nicht gerade begünstigt, aber auch eine stärkere individuelle Betreuung schon im Kindesalter gibt.
Bliesener: Nun, wir wissen, dass vielfach die Wurzeln dieser ausgestreckten Gewalt schon im Kindesalter gelegt werden. Ich muss allerdings auch sagen, dass es keineswegs auf den ost- und südeuropäischen Raum begrenzt ist. Man nennt den Hooliganismus ja auch die englische Krankheit, wobei sich darüber streiten lässt, ob die Ursprünge tatsächlich in England liegen. Also der Hooliganismus ist auch über europäische Grenzen hinaus sehr weit verbreitet.
Liminski: Ihre Forschungsschwerpunkte, Herr Bliesener, sind Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, Jugenddelinquenz und Hooliganismus. Sehen Sie da Zusammenhänge?
Bliesener: Wir wissen aus unseren Daten, dass Hooligans nicht nur im Fußballkontext gewalttätig sind, sondern dass viele von den Hooligans auch außerhalb des Fußballkontextes zur Delinquenz, zur Kriminalität neigen und strafrechtlich auffällig geworden sind in der Vergangenheit.
Liminski: Ist das eine Frage von Ideologie oder Weltanschauung?
Bliesener: Wir haben in unserer Untersuchung die Zusammenhänge zwischen, ja, politischer Betätigung, politischen Interessen und Hooliganismus untersucht, und da eigentlich festgestellt, dass zumindest in den alten Bundesländern dieser Zusammenhang nicht besteht. Wir müssen allerdings aus den neueren Daten doch sehen, dass mehr und mehr Hooligangruppierungen oder Fangruppierungen von politischen Organisationen unterminiert werden und diese Gruppierungen zweckentfremdet werden.
Liminski: Stichwort alte oder neue Bundesländer. Ist der Fußballrandalismus in Deutschland eine Ostproblematik?
Bliesener: Nein, es ist keine Ostproblematik. Wir müssen allerdings auch erkennen, dass viele der Ursachen, die ich vorhin angesprochen habe, insbesondere was die Teilhabe an der Gesellschaft, die Zukunftsperspektiven, die Ausbildungschancen und so weiter angeht, dass diese Aspekte bei Jugendlichen in den neuen Bundesländern einfach problematischer ausgebildet sind.
Liminski: Es wird derzeit wieder diskutiert über Gewalt in den Medien, insbesondere über elektronische Gewaltspiele. Würde es etwas bringen, wenn man diese Spiele verböte, so wie das die Große Koalition plant?
Bliesener: Nun haben wir keine Daten über die Spielintensität von Hooligans. Wir wissen auf der anderen Seite natürlich, dass das intensive Spiel negative Einflüsse hat und negative Wirkung auf die Gewaltneigung hat. Ich bezweifle allerdings, ob man durch ein Verbot von Killerspielen den Hooliganismus einschränken kann.
Liminski: Besten Dank für das Gespräch.
Einer, der sich seit Jahren mit dieser Thematik wissenschaftlich befasst, ist der Psychologe Thomas Bliesener von der Universität Kiel. Sein Forschungsschwerpunkt ist der Hooliganismus. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Morgen Herr Bliesener!
Thomas Bliesener: Guten Morgen Herr Liminski!
Liminski: Herr Bliesener, Fußballfunktionäre und Polizei sind mittlerweile zu Wort gekommen. Bei der Diskussion und Ursachenforschung wird deutlich, dass es weniger um den Sport als solchen als vielmehr um psychologische, vielleicht auch massenpsychologische Aspekte geht. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Hauptursachen?
Bliesener: Nun, für die Ursachen des Hooliganismus machen wir mittlerweile eine ganze Reihe von Ursachen verantwortlich. Wir können das nicht auf einen einzelnen Aspekt reduzieren. So weit uns Daten vorliegen, wissen wir, dass bei Hooligans in der Regel schon in der Kindheit erste Bahnen gelegt werden. Vielfach hat es bereits Probleme, Konflikte in der Familie gegeben, eine hohe Gewaltneigung in der Familie. Später kommen dann Probleme in der Schule dazu, die sich dann auch in Problemen am Arbeitsplatz bei der Jobsuche, bei der Ausbildungssuche fortpflanzen. Und dann natürlich gerade bei Hooligans von erheblicher Bedeutung die Gruppeneinflüsse, die Bindung, die natürlich dann auch im Stadion stattfindet, an deviante, abweichende Gruppen, Gleichaltrigengruppen, in denen dann entsprechende Verhaltensweisen gelernt werden, aber eben auch, ja, Modelle vorliegen, an denen man das Vorgehen gegen gegnerische Gruppen erlernen kann.
Liminski: In der Masse, das heißt in der Kurve, verhält sich der Jugendliche anders als am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen. Die Vereine versuchen dem in vielerlei Hinsicht vorzubeugen. Wo muss man denn da ansetzen? Ist es nicht so zu spät, Herr Bliesener, wenn die Jugendlichen mit der Bierdose in der Hand in der Kurve stehen?
Bliesener: Zu spät ist es sicherlich nicht. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Maßnahmen, ein so genanntes Maßnahmenbündel. Es gibt auf der einen Seite in vielen Standorten, Bundesligastandorten, Fanprojekte, die sehr intensiv mit jugendlichen Fans arbeiten und versuchen, diese Jugendlichen an konstruktive Fanarbeit heranzuführen. Nun muss man sagen, dass diese Fanprojekte nicht mehr die richtigen Maßnahmen sind für eingefleischte, alte Hools. Hier haben wir aber eine ganze Reihe im Bereich der präventiven und auch der repressiven Polizeiarbeit, die sich im Bündel insgesamt als sehr effektiv erwiesen haben.
Liminski: Mal ganz konkret: Es soll ja gespielt werden. Haben Sie ein Konzept, wie man der wachsenden Gewalt in den Stadien und im Vorfeld vorbeugen kann?
Bliesener: Nun, wie die Austragung der letzten Weltmeisterschaft gezeigt hat, funktioniert das Maßnahmenbündel ja. Wir haben im Zusammenhang mit der WM einen relativ geringen Anteil an Ausfällen gehabt beziehungsweise Hooligans in typischen Ereignissen gehabt. Das zeigt, dass selbst im Verbund mit internationalen Wettbewerben diese Maßnahmen greifen. Wir haben allerdings das Problem, dass jetzt in Leipzig die Polizei offensichtlich überrascht war von der Zahl der dort angereisten Hooligans, und dass es da gerade im Bereich der neuen Bundesländer in vielen Standorten möglicherweise noch Defizite in der Umsetzung dieser Konzepte gibt.
Liminski: Ist denn der Hooliganismus nur ein Massenphänomen oder kann man ihm mit individueller Betreuung schon im Kindesalter den Boden entziehen? Es fällt ja auf, dass sich dieses Phänomen vor allem in Mittel- und Südeuropa breitmacht und nicht in den skandinavischen Ländern, wo es außer dem Klima, das solche Veranstaltungen natürlich nicht gerade begünstigt, aber auch eine stärkere individuelle Betreuung schon im Kindesalter gibt.
Bliesener: Nun, wir wissen, dass vielfach die Wurzeln dieser ausgestreckten Gewalt schon im Kindesalter gelegt werden. Ich muss allerdings auch sagen, dass es keineswegs auf den ost- und südeuropäischen Raum begrenzt ist. Man nennt den Hooliganismus ja auch die englische Krankheit, wobei sich darüber streiten lässt, ob die Ursprünge tatsächlich in England liegen. Also der Hooliganismus ist auch über europäische Grenzen hinaus sehr weit verbreitet.
Liminski: Ihre Forschungsschwerpunkte, Herr Bliesener, sind Gewalt unter Kindern und Jugendlichen, Jugenddelinquenz und Hooliganismus. Sehen Sie da Zusammenhänge?
Bliesener: Wir wissen aus unseren Daten, dass Hooligans nicht nur im Fußballkontext gewalttätig sind, sondern dass viele von den Hooligans auch außerhalb des Fußballkontextes zur Delinquenz, zur Kriminalität neigen und strafrechtlich auffällig geworden sind in der Vergangenheit.
Liminski: Ist das eine Frage von Ideologie oder Weltanschauung?
Bliesener: Wir haben in unserer Untersuchung die Zusammenhänge zwischen, ja, politischer Betätigung, politischen Interessen und Hooliganismus untersucht, und da eigentlich festgestellt, dass zumindest in den alten Bundesländern dieser Zusammenhang nicht besteht. Wir müssen allerdings aus den neueren Daten doch sehen, dass mehr und mehr Hooligangruppierungen oder Fangruppierungen von politischen Organisationen unterminiert werden und diese Gruppierungen zweckentfremdet werden.
Liminski: Stichwort alte oder neue Bundesländer. Ist der Fußballrandalismus in Deutschland eine Ostproblematik?
Bliesener: Nein, es ist keine Ostproblematik. Wir müssen allerdings auch erkennen, dass viele der Ursachen, die ich vorhin angesprochen habe, insbesondere was die Teilhabe an der Gesellschaft, die Zukunftsperspektiven, die Ausbildungschancen und so weiter angeht, dass diese Aspekte bei Jugendlichen in den neuen Bundesländern einfach problematischer ausgebildet sind.
Liminski: Es wird derzeit wieder diskutiert über Gewalt in den Medien, insbesondere über elektronische Gewaltspiele. Würde es etwas bringen, wenn man diese Spiele verböte, so wie das die Große Koalition plant?
Bliesener: Nun haben wir keine Daten über die Spielintensität von Hooligans. Wir wissen auf der anderen Seite natürlich, dass das intensive Spiel negative Einflüsse hat und negative Wirkung auf die Gewaltneigung hat. Ich bezweifle allerdings, ob man durch ein Verbot von Killerspielen den Hooliganismus einschränken kann.
Liminski: Besten Dank für das Gespräch.