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Psychologie und Klettern
„Mein Mantra ist Spaß“

Der Klettersport birgt auch viele mentale Herausforderungen. Hannah Meul ist deutsche Meisterin im Bouldern. Zusammen mit dem Sportpsychologen Kai Engbert schildert sie im Dlf-Sportgespräch, wie wichtig die eigene Einstellung ist, um Ziele zu erreichen – und wieso Nervosität nicht unbedingt schlecht ist.

Kai Engbert und Hannah Meul im Gespräch mit Astrid Rawohl |
Kletterin Hannah Meul an der Boulderwand.
Hannah Meul ist deutsche Meisterin im Bouldern. (DAV / Stepan Chaporov)
Hannah Meul nahm 2018 an den Olympischen Jugendspielen in Buenos Aires teil, wurde 2020 deutsche Meisterin im Bouldern und im vergangenen Jahr verpasst sie die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele in Tokio nur knapp. Über das Bouldern sagt die 19-jährige Meul, dass es für sie "eine ziemlich natürliche Art der Fortbewegung, eine Art Tanz an der Wand" sei. Zugleich habe man immer unterschiedliche Probleme zu lösen, wie bei einem Puzzle, weil man den Boulder, also die Kletterwand, lesen müsse. Das sei ein langer Prozess im Training, man versuche mehrere Stunden, das Problem zu lösen.
Der Sportpsychologe Kai Engbert arbeitet mit Hannah Meul und dem Kletterteam des Deutschen Alpenvereins zusammen. Er sagte, im Wettkampfbouldern gehe es darum, dass man das Puzzle unter Zeitdruck zusammensetze. Und dies innerhalb weniger Minuten erkennen, sei eine besondere Herausforderung. Das richtige Mind-Setup, also die innere Einstellung, sei es dafür, im Moment zu sein, selbstbewusst und konzentriert zu sein, und die richtige Mischung zwischen Anspannung und Nervosität zu finden. So könnten die Athletinnen und Athleten im Wettkampf auch das zeigen, was man gelernt hat.

Unterschiedliche Sportarten, unterschiedliche Mind-Setups

Für unterschiedliche Sportarten gebe es auch unterschiedliche Mind-Setups als Erfolgsvoraussetzungen: Beim Wildwasserkanu müsse man beispielsweise auf die Eigenarten des Elements Wasser reagieren können. Beim Marathon habe man dagegen über zwei Stunden Zeit, mit Hochs und Tiefs im Wettkampfverlauf umzugehen.
Für jede Sportlerin und jeden Sportler sei die eigene Persönlichkeit der Ausgangspunkt, um in den Wettkampf zu gehen, so Engbert. Er versuche gemeinsam mit ihnen "noch ein paar Prozent rauszuholen", es gehe nicht darum, ein Setup über alle zu stülpen.

Meul ist selbst häufig nervös

Hannah Meul beschreibt sich selbst als "nervösen Typ". Sie sagte: "Ich liebe Wettkämpfe und Adrenalin, aber früher bei Jugendwettkämpfen hatte ich ein großes Problem mit Nervosität in Finalsituationen." Es sei wichtig zu lernen, dies in den Griff zu bekommen und für sich selbst zu nutzen. Meul betonte: "Ich habe am meisten Angst, mich selber zu enttäuschen."
Boulder Worldcup 2017 Qualification, Olympic Stadium Munich, Germany.
Hannah Meul betont, dass sie am meisten Angst habe, sich selbst zu enttäuschen. (DAV/Nils Nöll)
Eine Methode, die sie nutze, sei es, sich ein Mantra auszuwählen, das so funktioniere, "dass ich mir etwas vorsage, wenn ich hinten sitze hinter der Wand, fünf Minuten vor dem nächsten Boulder." Für sie sei es dann wichtig, sich an positive Erlebnisse im Sport zu erinnern. Sie rufe sich dann ein Foto von sich selbst ins Gedächtnis, wo sie bei der Jugendolympiade 2018 strahlend den Moment an der Wand genieße. Dort wurde sie Vierte in der Kombination Bouldern, Lead und Speed, die in diesem Jahr auch olympisch ist. Meul sagte, ihr Mantra sei Spaß. "Spaß ist die Emotion, mit der ich am besten arbeiten kann."
Kai Engbert betonte, es sei eine Kombination aus kleinen Techniken, die es ermöglichten, den Wettkampf als etwas Positives zu erleben. Mit der Kombination aus Wörtern, Bildern und kleinen Ritualen werde eine positive Nervosität geschaffen, "die den Körper aktiviert, die inneren Ampeln auf Grün stellt". Der reine Kampf gegen die Nervosität sei kontraproduktiv.
Kai Engbert ist Sportpsychologe und Psychologischer Psychotherapeut
Kai Engbert betont, wie wichtig es ist, sich vor Herausforderungen den positiven Ausgang des Ereignisses vorzustellen. (privat)
Allgemein gelte, dass viele Menschen schwierige Situationen als Prüfungen sähen und misserfolgsängstlich seien, sagte Engbert. "Dann kommt negative Nervosität." Man solle sich hingegen vorher überlegen, was man erreichen möchte. Vor dem Heiratsantrag solle man überlegen, "wie fühlt es sich an, wenn sie ja sagt und nicht, was passiert, wenn sie nein sagt".
Meul betonte, dass sie inzwischen grundsätzlich Freude an der Nervosität habe.

Trotz verpasster Olympiaqualifikation stolz

Als sie bei der Europameisterschaft Siebte wurde und die Olympiaqualifikation verpasste, sei sie nicht in ein Loch gefallen, sagte Meul. Sie sei grundsätzlich stolz, was sie in dem Wettkampf geschafft habe, der wegen der Coronapandemie drei Mal verschoben werden musste. Im März, dem ursprünglichen Termin, sei sie in Topform gewesen. Es sei ihr wichtig gewesen, es so weit zu schaffen, deshalb könne sie Positives mitnehmen.
Hannah Meul betonte, dass sie während des ersten Corona-Lockdowns sportlich motiviert gewesen sei wie fast noch nie und sich zu Hause mit Ringen neben dem Kühlschrank und einer Klimmzugstange in der Wohnung fit gehalten habe.
Die Ziellosigkeit des vergangenen Jahres war laut Kai Engbert die größte Herausforderung. Das gelte für Nationalmannschaften wie für den Hockeyverein um die Ecke. Es sei positiv gewesen, wenn Trainer den Kontakt zur Gruppe gehalten hätten, durch Klimmzug-Challenges oder gemeinsames Dehnen über Videochats seien Kinder und Jugendliche kreativ zusammengehalten worden.

Diskurs um Impfpflicht laut Engbert wichtig

Was eine bevorzugte Impfung für Leistungssportler betrifft, zeige sich Hannah Meul angetan. Internationale Wettkämpfe und Reisen seien dadurch realisierbarer, Weltcups hätten im vergangenen Jahr zwar stattgefunden, aber seien praktisch Europacups gewesen, weil die Konkurrenz von anderen Kontinenten nicht habe anreisen können.
Zur Frage, ob es eine Impfpflicht für Athletinnen und Athleten geben sollte, sagte Kai Engbert, er finde es gut, dass aktuell darüber diskutiert werde. Bevor man eine solche Sache verordne, müsse ein Diskurs stattfinden und nationale Organisationen müssten miteinbezogen werden.
Kletter-Bundestrainer Urs Stöcker steht im Januar 2019 mit verschränkten Armen in einer Kletterhalle in München.
Olympisches Sportklettern - "Für die Athleten ein Abenteuer" Sportklettern ist in Tokio 2020 erstmals olympische Disziplin. Viele der Athleten hätten die historische Tragweite noch nicht realisiert. Die Olympia-Premiere sei "ein Abenteuer und eine Reise ins Ungewisse", sagte Bundestrainer Urs Stöcker, dessen Athleten bei der WM in Japan das Olympia-Ticket sichern wollen.
Die Olympischen Spiele in Japan werden möglicherweise ohne Zuschauer stattfinden. Daher sieht Engbert keinen Heimvorteil bei den japanischen Athletinnen und Athleten. Die japanische Nation erlebe sich sehr als Kollektiv, und somit laste der Druck des Kollektivs auf den Schultern der Sportler. Daher sei es eher ein Heimnachteil. Für die deutschen Kletterer sieht er einen Vorteil, da sie nicht im Fokus stünden und so aus der zweiten Reihe hervorragend Leistungen abrufen und gucken könnten, was herauskommt.

Olympia 2024 als Ziel

Meuls Ziel sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Darauf habe sie schon vor Tokio ihren Fokus gehabt. Dann sei sie mit 23 Jahren auch im richtigen Alter. Lead und Bouldern seien ihre Lieblingsdisziplinen, und anders als bei den Spielen in Tokio, wo drei Disziplinen in der Kombination stattfinden, sind es in Paris genau diese beiden Disziplinen, die als Wettkampf ausgetragen werden. Das sieht Meul als Vorteil für sich.
Engbert betonte, es sei wichtig, sich "Ziele als kleinen Kompass fürs Abenteuer zu setzen". Auch wenn viele Sportler Ziele mit jugendlichem Leichtsinn setzten und diese dann häufig nicht erreichten. Damit müsse man seinen Frieden finden und "mit der Fehlbarkeit des Menschen leben".