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Psychologin: Physik ist "Hassfach"

Angesichts der verbesserten PISA-Ergebnissen in den Naturwissenschaften hat die Psychologin Bettina Hannover dazu aufgefordert das Image von Fächern wie Physik, Chemie oder Mathe weiter zu verbessern. Nach wie vor seien Physik-Asse in Schulklassen unbeliebt, weil den Schülern mit Vorliebe für Naturwissenschaften negative Eigenschaften wie soziale Inkompetenz und Strebertum zugeschrieben würden.

Moderation: Friedbert Meurer | 29.11.2007
    Friedbert Meurer: Deutsche Schüler rücken also von Platz 18 auf Platz 13 bei den Naturwissenschaften vor. Aber so richtig beliebt sind Fächer wie Physik, Chemie oder Mathe bei vielen Schülern immer noch nicht. Das haben Forschungen ergeben von der Psychologin Bettina Hannover von der FU Berlin. Was das für die Schulen und den Unterricht bedeutet, darüber möchte ich mich mit ihr unterhalten. Guten Tag, Frau Hannover!

    Prof. Bettina Hannover: Schönen guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Vielleicht zunächst zu den ersten Ergebnissen, die wir jetzt von PISA haben. Sind die Schulen bei den Naturwissenschaften auf einem guten Wege in Deutschland?

    Hannover: Zunächst einmal freuen wir uns natürlich über diese Ergebnisse, dennoch darf man nicht vergessen, dass die PISA-Studien unterschiedliche Schwerpunkte haben. In der PISA-Studie 2003 war das Schwerpunktthema Mathematik, und wir haben jetzt, im Jahre 2006, das Schwerpunktthema Naturwissenschaften, so dass wir die Ergebnisse nicht direkt miteinander vergleichen können.

    Meurer: Sind wir bei den Naturwissenschaften besser als bei Mathematik?

    Hannover: Eben das ist nicht möglich, dass wir hier Zahlen auf einer absoluten Skala vergleichen, allerdings können wir natürlich schon hoffen, dass die Diskussion, die durch PISA ausgelöst worden ist, zu einer erhöhten Sensibilität bei allen Beteiligten geführt hat, dass sicherlich auch Lehrer und Lehrerinnen mehr darüber nachgedacht haben, wie sie die Qualität ihres Unterrichts optimieren können, und dass vielleicht auch Eltern über ihre Rolle und die Möglichkeiten, zu einem guten Lernergebnis der eigenen Kinder beizutragen, nachgedacht haben.

    Meurer: Sie sagen, Frau Hannover, wenn ich Sie recht verstehe, das Image von Mathematik und Naturwissenschaften spielt eine ganz entscheidende Rolle. Warum?

    Hannover: Ja, wir wissen, dass, selbst wenn wir jetzt so gute Ergebnisse derzeit für die Naturwissenschaften feststellen können, Schülerinnen und Schüler, wenn Sie zwischen Schulfächern vergleichen, die Naturwissenschaften typischerweise am wenigsten gerne mögen. Die Physik ist das prototypische Fach, was bei den meisten Mädchen und Jungen das Hass-Fach ist, also das, was man am allerwenigsten gerne mag. Und wir haben in unseren Studien uns mit der Frage beschäftigt, woran das liegt.

    Meurer: Welche Antwort haben Sie gefunden?

    Hannover: Wir haben herausgefunden, dass Schülerinnen und Schüler sich vor allem danach ausrichten, was sie glauben, wie Schülerinnen und Schüler sind, die ein bestimmtes Lieblingsfach haben. Sie stellen sich vor, wie ist ein Schüler, der Physik als Lieblingsfach hat. Und unsere Ergebnisse zeigen, dass solche Schüler für inkompetent im sozialen Bereich gehalten werden, dass Mädchen und Jungen zum Beispiel der Meinung sind, ein Physikfreak ist ein Junge, der viele Pickel im Gesicht hat, der keine Freunde hat, der unattraktiv aussieht, der zwar sehr intelligent ist, aber vielleicht auch ein Streber, eingebildet auf seine Leistungsfähigkeit, das heißt ein Jugendlicher, mit dem die meisten Mädchen und Jungen eben nichts zu tun haben wollen.

    Meurer: Und das halten Sie für ein absolutes Vorurteil, die Pickel lassen wir mal beiseite, aber die Kommunikationsfähigkeit, das Soziale lässt sich durchaus mit Physikleistungen vereinbaren?

    Hannover: Natürlich ist das ein Vorurteil. Solche Prototypen entsprechen nicht der Realität, das wissen wir, weil wir eben auch die Schülerinnen und Schüler befragt haben, die tatsächlich hervorragende Leistungen in der Physik haben oder dieses Fach sehr gerne mögen, und dabei stellt sich eben interessanter gerade für die Mädchen heraus, dass sie zwar befürchten, bei den Jungen in ihrer Klasse besonders unbeliebt zu sein, dass das aber tatsächlich gar nicht der Fall ist. Das heißt, wir haben hier es mit einem klassischen sozialen Vorurteil zu tun.

    Meurer: Wie kann man dieses soziales Vorurteil bekämpfen und das Image ändern?

    Hannover: Wir glauben, dass hier tatsächlich sich an dem Unterricht etwas ändern muss. Denn dieses Image, was wir herausgefunden haben, hat ja etwas damit zu tun, wie beispielsweise Physik in der Schule unterrichtet wird. Wenn Schülerinnen und Schüler hier mit völlig veralteten Lehrmaterialien und mit Experimenten konfrontiert werden, die mit ihrer Alltagsrealität nichts zu tun haben, dann stellen sie sich auch bei dem Menschen, der sich mit Physik gerne beschäftigt, jemanden vor, der völlig verstaubt und sozial isoliert ist.

    Meurer: Ist auch das ein Vorurteil, oder stimmt das Verstaubte?

    Hannover: Wir wissen eben, wir haben Experimente gemacht, wo wir tatsächlich bestimmte Merkmale des Physikunterrichts verändert haben, also beispielsweise Schülerinnen und Schüler einmal haben diskutieren lassen über eine physikalische Theorie, und was dann die Schüler für eine Erfahrung machen, ist, dass Physik, wie andere Schulfächer auch, entsteht in einem Diskurs, dass also Physik nicht aus unveränderbaren Tatsachen besteht, auf die Schülerinnen und Schüler durch ihre eigenen Gedanken gar keinen Einfluss nehmen können.

    Meurer: Und eine solche theoretische Diskussion ist interessanter als Experimente?

    Hannover: Ja! Das zeigen unsere Ergebnisse, dass Schüler eben gerne im Unterricht sich selber mit ihren Meinungen einbringen wollen, sie wollen das Gefühl haben, dass sie eben auch Einfluss auf die Gestaltung des Lerngegenstands nehmen und schrecken eben vor Fächern zurück, von denen sie meinen, dort werden sie nur mit unveränderbaren Tatsachen gefüttert, wenn Sie so wollen.

    Meurer: In der Grundschule und im Kindergarten unterrichten besonders viele Frauen, fast ausschließlich Frauen sogar, vernachlässigen die es vielleicht, bis zum Alter von zehn Jahren die Kinder empfänglich für Naturwissenschaften zu machen?

    Hannover: Sie sprechen dort ein Problem an, das es tatsächlich gibt. Viele Lehrerinnen, die in die Grundschule gehen, zeigen ein typisches Muster dahingehend, dass sie eben selber Mathematik und Naturwissenschaften nicht gerne mögen. Und wir haben natürlich Anlass für die Befürchtung, dass solche Einstellungen den Kindern vermittelt werden, wenn eben eine Lehrerin zeigt, dass sie selber Mathematik vielleicht gar nicht so spannend findet wie ein anderes Fach, dann besteht die Gefahr, dass Schüler dieses merken und dann diese Einstellung übernehmen.

    Meurer: Die Psychologin Bettina Hannover von der FU Berlin, dort im Fachbereich Erziehungswissenschaften, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Frau Hannover, herzlichen Dank und auf Wiederhören!