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Psychotherapeut plädiert für Elternschule

Mit Blick auf die Kindermorde in Sachsen und Schleswig-Holstein hat der Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz von der Spitze eines Eisberges gesprochen. Zwar habe es sich bei der Täterin in Darry um eine schwer psychisch kranke Frau gehandelt. Dennoch könne man bei vielen Müttern feststellen, dass sie die Kinderbetreuung sehr belaste. Aufgrund eines falschen Mutterbildes in der Gesellschaft werde über solche Probleme aber geschwiegen.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Innerhalb kürzester Zeit wird die Tötung von insgesamt acht Kindern in Sachsen und Schleswig-Holstein bekannt. Fassungslosigkeit, Ratlosigkeit aller Orten gestern, und wiederum die Frage nach Ursachen und Konsequenzen. Schreckliche kriminelle Einzelfälle, die womöglich nie ganz auszuschließen sind, oder doch ein Indiz dafür, dass ein Fehler im System vorliegt. In Plauen waren es drei getötete Kinder, die die Polizei nach und nach entdeckte, in dem schleswig-holsteinischen Ort Darry hatte eine offenbar psychisch gestörte Mutter ihre fünf Kinder umgebracht. Am Telefon bin in nun verbunden mit Hans-Joachim Maaz, Chefarzt der Psychotherapeutischen Klinik am evangelischen Diakoniekrankenhaus in Halle und Buchautor. Schönen guten Morgen, Herr Maaz.

    Hans-Joachim Maaz: Guten Morgen.

    Klein: Die Öffentlichkeit fragt sich in solchen Fällen stets äußerst bestürzt, wie ist das möglich. Was führt dazu, dass die Impulse, die Eltern ihre Kinder normalerweise schützen lassen, völlig außer Kraft gesetzt werden?

    Maaz: Wir kennen bei vielen Frauen auch eine ambivalente Einstellung zu Kindern. Natürlich ist ein Interesse, eine Liebe zu den Kindern immer auch vorhanden, aber auch oft das Gegenteil, dass man durch Kinder ganz schön sich belastet fühlt, gestresst fühlt, auch, und das ist jetzt die tiefenpsychologische Dimension, dass man, wenn Kinder kommen, auch immer wieder erinnert wird in der eigenen seelischen Tiefe an das frühe Schicksal, das man selbst als Kind hatte. Und das ist mitunter ja auch bedrohlich gewesen, beängstigend, einschüchternd. So passiert eine tragische Situation, dass man durch die eigenen Kinder auch belastet, verunsichert, beängstigt werden kann, weil man an das eigene Schicksal erinnert ist, das man bis dahin verdrängt, verleugnet hat, sodass immer auch Probleme entstehen können, Kinder anzunehmen.

    Klein: Sie sprechen von ambivalenten Gefühlen, die Eltern oder auch Mütter ihren Kindern entgegenbringen, die es aber gilt sozusagen im Zaume zu halten, denn die Leidtragenden dieser Ambivalenz sind ja am Ende die Kinder selbst.

    Maaz: Das ist richtig. Ich sehe oft, dass wir mit einem falschen Mutterbild in unserer Gesellschaft umgehen. Auf der einen Seite wird die Mutter idealisiert und in heilige Höhen gehoben, dass man gar nichts kritisieren darf. Und auf der anderen Seite kennen wir aber auch, dass man Kinder zu früh abgibt. Die ganze Krippendiskussion ist auch ein Problem, dass man mehr an sich selbst denkt oder an die eigene berufliche Karriere und nicht so sehr bei den Kindern ist. Und dann kommen natürlich oft die Partnerschaftsprobleme dazu, dass sich eine Familiensituation verändert, wenn ein Kind da ist, dann geht die Partnerschaft auch oft auseinander. Und es gibt natürlich eine Fülle von sozialen Problemen, Belastungen, wie wird man jetzt einem Kind oder Kindern gerecht, wie ist die soziale Lage der Familie. Also es gibt eine Menge von Belastungen, die aber in der Öffentlichkeit im Grunde genommen niemals so ehrlich diskutiert werden, wie sie auf die Kinder wirken. Welche Folgen hat das für die Kinder? Die Kinder kommen fast immer zu kurz bei solchen Überlegungen. Und von daher brauchen wir, denke ich, unbedingt eine bessere Diskussion darüber, was Kinder brauchen.

    Klein: Was würde denn zu einer solch ehrlichen Diskussion führen?

    Maaz: Dass viele Kinder die Erfahrung machen, dass sie nicht um ihrer selbst Willen geliebt werden oder auch nicht so verstanden werden, wie sie es brauchen. Viele Kinder müssen von früh auf abspüren, was die Eltern wollen, um von ihnen akzeptiert zu sein. Also eigentlich das Gegenteil von dem, was Kinder brauchen, dass sie eben eine Mutter, einen Vater haben möchten, der versteht, wie es dem Kind geht, der für die Kinder da ist und so weiter. Also die Diskussion, die wir im Moment auch in der Gesellschaft führen, ist nicht unbedingt kinderfreundlich, sondern sie geht immer wieder um Fragen des Geldes, um wie geht es den Eltern, um Berufstätigkeit und so weiter. Wir brauchen eine andere Vorstellung von dem, was Mütterlichkeit und Väterlichkeit ist und was Kinder brauchen.

    Klein: Nun haben wir es sicherlich mit einem Extremfall zu tun, dass eine Mutter ihre fünf Kinder tötet. Inwieweit trifft das dennoch zu, was Sie gerade geschildert haben, oder müssen wir wirklich sagen, das ist einfach ein krimineller Ausnahmefall?

    Maaz: Also das stimmt sicher, dass das ein Ausnahmefall ist. Es ist offensichtlich auch eine psychisch schwerkranke Frau. Aber wenn man so will, ist es möglicherweise auch die Spitze eines Eisberges. Also ich habe ja mit meinem Buch, mit dem Lilith-Komplex darauf hinweisen wollen, dass es immer auch bei jeder Frau, bei jeder Mutter auf normale Weise auch Einstellungen gibt, die gegen das Kind sind, oder man ist durch die Kinderbetreuung zu sehr belastet, man wird in seinen eigenen Bedürfnissen auch durch Kinder gestört; dass das eigentlich etwas normales ist, und dass wir auch darüber nachdenken und diskutieren müssen, was man durch Kinder auch an Belastung hat, dass das nicht versteckt werden muss; dass man nicht sofort denken muss, man ist eine Rabenmutter, man wird sozial geächtet, wenn man über solche Probleme auch mal in der Partnerschaft, in der Verwandtschaft spricht. Also da wäre eine Ehrlichkeit hilfreich, die dann vielleicht solche ganz, ganz schlimmen Folgen auch rechtzeitig erkennen kann.

    Klein: Sie sprechen von einer Spitze des Eisberges. Müssen Menschen, müssen Mütter in Extremlagen geraten, um so zu reagieren, oder sind wir alle in Gefahr, dass Hemmschwellen derart absinken können?

    Maaz: Ich denke, die Gefahr besteht deshalb, weil die sozialen Verhältnisse sich zuspitzen. Auf der einen Seite ist die Frage, wie überlebe ich, was habe ich an Geldverdienst. Das wird für viele Menschen und Familien immer enger. Und auf der anderen Seite aber auch der soziale Zusammenhalt. Wen gibt es, der hilfreich da ist, mit dem man sprechen kann, dem man Nöte und Ängste mitteilen kann. Auch diese sozialen Beziehungen werden dünner bis schlechter in unserer Gesellschaft. Von daher, denke ich, ist das ein Alarmzeichen, wo wir über solche Verhältnisse nachdenken müssen.

    Klein: Abschließende Frage, Herr Maaz, die Politik wird nun auch immer wieder angerufen und gefragt, welche Konsequenzen wären auf dieser Ebene nötig aus Ihrer Erfahrung?

    Maaz: Also ich würde auf jeden Fall raten, dass man über Fragen von Kinderbetreuung lauter und öffentlicher nachdenkt, dass man wirklich aus der Perspektive des Kindes fragt, was ist für das Kind gut, dass auf diese Weise fragen der Beziehung, einer Beziehungskultur diskutiert werden, was sind Väterlichkeit, was sind Mütterlichkeit. Ich denke zum Beispiel auch an Dinge, die man in einer Elternschule zusammenfassen könnte, wie man Eltern hilft, auch ihre doch auch schwierige und wichtige Aufgabe zu erfüllen.

    Klein: Hans-Joachim Maaz war das, Chefarzt der Psychotherapeutischen Klinik am evangelischen Diakoniekrankenhaus in Halle. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Maaz.