Donnerstag, 28. März 2024

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Punkband Pussy Riot
Wieder auf freiem Fuß

Vier Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot waren während des Finalspiels der Fußball-WM in Russland in Polizeiuniform aufs Spielfeld gestürmt, um mehr Meinungsfreiheit in Russland zu fordern. Es folgten Gefängnis- und Geldstrafe. Jetzt sind sie wieder frei. Gebracht hat der Protest aber nichts.

Von Olga Sviridenko | 08.09.2018
    Ein weiblicher Flitzer läuft während des Endspiels in Uniform über das Spielfeld.
    Für ihre Protestaktion beim Finale der Fußballweltmeisterschaft in Moskau mussten vier Mitglieder der Gruppe Pussy Riot in Haft. (dpa)
    Zum ersten Mal sehen sich Pussy Riot gemeinsam ihren Auftritt vom WM-Finale an. Vor wenigen Tagen treffen wir sie in Moskau. Drei junge Frauen der Punkband sind gekommen.
    Für sie ist klar, dass sie nur aus einem Grund auf das Fußballfeld gelangen konnten. Weil sie Polizeiuniformen anhatten, sagt Pussy Riot Mitglied Olga Pachtusowa:
    "Wir wollen darauf aufmerksam machen, für was die Uniform steht, unabhängig der dazugehörigen Pflichten der Polizeibeamten, die sie tragen. Die Uniform allein löst eine so unglaublich schreckliche und tief sitzende Angst bei den meisten Bürgern unseres Landes aus, dass, ich glaube es ist an der Zeit etwas dagegen etwas zu unternehmen."
    Willkür und Gewalt
    Die Polizei, in Russland steht sie für viele für Willkür und Gewalt. Während der WM gab sie sich auf Anordnung zurückhaltend. Vieles was normalerweise verboten ist, war während der WM erlaubt. So konnte man sich versammeln oder Alkohol in der Öffentlichkeit trinken. Das Bild von einem freiheitlichen und offenen Russland? Ein kalkuliertes, sagen Pussy Riot.
    "Nun sind bereits mehrere Wochen vergangen, seitdem die WM zu Ende ist und jetzt sehen wir den unterscheid zwischen dem Moskau während der WM und dem Moskau heute noch klarer. Uns hatte dieses Moskau sehr gefallen, uns haben auch die Polizisten sehr gefallen. Aber schon damals haben wir befürchtet, dass nach der WM alles wieder so sein wird wie früher. Und so ist es gekommen!"
    Immer wieder prangern Pussy Riot staatliche Willkür in Putins Russland an. Dafür landeten Mitglieder sogar schon einmal im Gefängnis. Der Prozess und die harte Strafe gegen 2 Mitglieder der Punkband nach dem Auftritt in einer Kathedrale ist Vielen noch immer in Erinnerung.
    Auch diese Aktion war ein politischer Appell, sagen sie. Für mehr Meinungsfreiheit und die Freilassung politischer Gefangene.
    Der kritiklose Umgang der FIFA mit Russland überrascht sie nicht.
    "Von ganzem Herzen, ein großes, großes, großes Dankeschön, Mr. Putin. Für ihren Einsatz und ihre Leidenschaft. Für das Gefühl, mit ihnen in einem Team zu spielen. "
    So FIFA-Präsident Gianni Infantino auf dem FIFA-Kongress in Moskau unmittelbar vor der WM.
    Kaum Kritik während der WM
    Doch auch von internationalen Politikern hörte man während der WM kaum kritische Worte. Dabei gibt es in Russland laut Menschenrechtsorganisationen mehr als 150 politische Gefangene.
    Durch das Schweigen würden sie sich an ihrem Schicksal mitschuldig machen, findet Olga Pachtusowa.
    "Es wäre natürlich schön gewesen, wenn es einen Politiker gegeben hätte, der Mut gehabt hätte die WM zu boykottieren oder darauf aufmerksam zu machen und gesagt hätte, dass er die WM nicht wegen irgendwelcher Nichtigkeiten ablehnt, weil Wladimir Putin ihm vielleicht mal bei einem Bankett das Salz nicht gereicht hat, sondern weil er Oleg Sentsow eingesperrt hat und seine Polizeikräfte grausam sind."
    Der ukrainische Filmregisseur Oleg Sentsow, der eine 20-jährige Haft absitzt. Der offizielle Grund: Terrorverdacht. Sentsow, ein entschiedener Gegner der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Seit mehr als 100 Tagen hungert er für die Freilassung von allen ukrainischen politischen Gefangenen in Russland.
    In die Hochglanzbilder der WM schaffte es Sentsow nicht.
    "Putin und seine Entourage wollten zeigen: "Schaut her, bei uns ist alles so toll. Wir sind ein fortschrittliches Land!" - Doch leider ist es nicht so. Nun ist etwas mehr als ein Monat seit der Fußballweltmeisterschaft vergangen – und jetzt haben sie Nawalny wieder für 30 Tage eingesperrt."
    Sagt Olga Kuratschewa.
    Sozialreformen im Schatten der WM
    Alexei Nawalny, der bekannteste Oppositionelle Russlands. Wurde abgeführt - kurz vor dem Familienurlaub.
    Sein Verbrechen: immer wieder zu Protesten aufrufen. Und Putin ist derzeit innenpolitisch massiv unter Druck. Die WM - mit offiziell 11,7 Milliarden Euro war die teuerste aller Zeiten. Die Zeche dafür muss nun wohl das Volk zahlen. Schon während der WM wurde eine Erhöhung des Rentenalters beschlossen und eine massive Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die neuen sogenannten Sozialreformen, die der Kreml im Schatten der WM durchgesetzt hat, bedeuten für die Russen jetzt die härtesten sozialen Einschnitten seit den 90er Jahren. Für Sonntag sind wieder Proteste angekündigt.
    "Es war ein Blick durch eine rosarote Brille. Man hat nur eine Seite der Medaille gesehen. Es wäre unfair gewesen, wenn die Gäste nach Hause gefahren wären und bloß diese Erinnerungen mitgenommen hätten. Wir wollten klarmachen, dass es nicht nur eine Seite der Medaille gibt",
    sagt das jüngste Mitglied der Gruppe Nika Nikulschina. Und so war es am Ende die Kunst und die Aktivistinnen von Pussy Riot, die im Scheinwerferlicht der WM auf das aufmerksam machten, was der Weltfußball die ganze Zeit unter der Decke halten wollte.