Ute Meyer: Es werden schwierige Gespräche werden morgen in Berlin zwischen Russlands Präsident Putin, dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko, Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande. Der Konflikt in der Ukraine, wo im Ostteil des Landes Separatisten gegen ukrainische Regierungstruppen kämpfen, ist ungelöst und die Lage in Syrien belastet das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen extrem. Ich habe darüber mit Alexander Rahr gesprochen. Er ist Russland-Experte und Autor einer Biografie von Wladimir Putin. Herr Rahr, geben Sie Kanzlerin Merkel Recht, wenn sie sagt, man dürfe keine Wunder von dem Treffen mit Putin morgen erwarten?
Alexander Rahr: Ja, ich bin auch eher pessimistisch gestimmt. Aber man darf trotzdem die Hoffnungen nicht loslassen. Ich denke, dass es schon möglich sein wird, die ganzen Probleme noch mal auf den Tisch zu legen und dann an einer neuen Wegekarte zu arbeiten.
Meyer: Was darf man denn erwarten von dem Treffen in Berlin?
Rahr: Dass die Positionen noch einmal ganz klar festgelegt werden und dass die alte Wegkarte, die 2015 beschlossen worden ist von allen Teilnehmern des Minsker Abkommens, dass die mehr oder weniger doch eingehalten wird. Dann werden wir uns irgendwann mal einer Stabilität in der Ukraine nähern.
Mit dem Minsker Abkommen sei in der Vergangenheit "der große Krieg unterbunden worden"
Meyer: Sie sprechen es an, das Minsker Abkommen von 2015, ein Friedensplan, in dem Abzug von schweren Waffen und auch Wahlen im Osten der Ukraine festgeschrieben worden sind. Passiert ist seitdem nicht viel. Wie kann man denn erreichen, dass das wieder in Gang kommt?
Rahr: Die Problemlage ist folgendermaßen. In der Tat ist das Minsker Abkommen vor anderthalb Jahren unterzeichnet worden und es war dringend notwendig, dieses Abkommen zu etablieren, weil ansonsten wir einen Krieg in Europa gehabt hätten. Russland gegen den Westen, die Ukrainer wären aufgerüstet worden. So ist der große Krieg unterbunden worden und der Frieden ist nicht gekommen. Jetzt geht es darum, was passiert weiter. Die Ukraine hat beschlossen, die Wegekarte ein wenig zu verändern. Sie will kein russisches Protektorat nach der Annexion der Krim durch Russland auf ihrem ostukrainischen Territorium tolerieren. Aber auf der anderen Seite ist diese Wegekarte unterschrieben worden und dort heißt es ganz klar, dass die Ukraine den beiden separatistischen Republiken Lugansk und Donezk einen Autonomiestatus gewähren muss, und das passiert in den letzten Monaten eben nicht. Die Ukraine hat dies angehalten, auch mit der Begründung, dass das ukrainische Parlament das nicht machen will. Die Ukraine will natürlich, das kann man verstehen, im Krieg nicht verlieren. Auf der anderen Seite sagt Russland, unterschrieben ist unterschrieben, und deshalb muss der Prozess weitergehen. Wie Frau Merkel und Hollande die Sache wieder in den Griff kriegen, werden wir bei diesem Normandieformatstreffen sehen.
Meyer: Aber damit der Donbass einen Autonomiestatus bekommt mit eigenen Wahlen und so weiter, müssten ja auch erst mal die Feuergefechte aufhören, die immer wieder aufbranden. Wie kann das denn passieren?
Rahr: Das muss über ein robusteres Mandat der OSZE passieren. Die OSZE, gerade jetzt unter dem deutschen Vorsitz, wäre doch dazu berufen, die Situation stärker unter Kontrolle zu bringen. Sowohl die ukrainische Seite als auch die russische Seite hat sich dafür ausgesprochen, die OSZE-Beobachter unter anderem auch mit Waffen auszurüsten, damit sie in der Tat die Frontlinie bewachen und verhindern, dass diese Scharmützel oder Schießereien zwischen den beiden kämpfenden Parteien weiter ablaufen. Die OSZE hat aber bisher von einer solchen Mandatierung keinen Gebrauch gemacht oder hält es für sich für zu gefährlich.
Meyer: Zurzeit machen sich die russische und die ukrainische Regierung gegenseitig Vorwürfe, dass jeweils die andere Seite das Minsker Friedensabkommen bricht. Welche Rolle können Kanzlerin Merkel und der Staatspräsident Francois Hollande morgen spielen?
Rahr: Ich beneide Frau Merkel und Herrn Hollande wirklich nicht. Sie haben es wirklich mit vielen Kräften zu tun, die das Minsker Abkommen entweder sabotieren, oder von vornherein sagen, dass es nicht klappen kann. Hier ist eine Chance für die Europäer aufgegangen, endlich für Frieden auf dem eigenen Kontinent zu sorgen. Wir wissen aber, dass nicht alle, Amerikaner, jedenfalls Teile der Regierung, damit einverstanden sind, dass Deutschland und Frankreich hier die Führungsrolle übernommen haben. Dann gibt es Länder wie Polen und die baltischen Länder, die Angst haben vor Russland, die ein robusteres NATO-Mandat, nicht nur ein OSZE-, sondern ein NATO-Mandat fordern, mehr Sanktionen, stärkere Sanktionen gegen Russland. Im Minsker Prozess ist aber ganz klar festgeschrieben, Sanktionen ja, aber nicht als Selbstzweck, sondern sie sollen Russland zwingen, die Minsker Abkommen zu erfüllen. Das Problem ist, dass die Ukraine sie auch erfüllen muss, aber für die ukrainische Seite scheint es manchmal so zu sein, dass sie die Sanktionen auch verschärfen will gegen Russland, weil das die Waffe ist, die wirtschaftliche Waffe, die man gerne im Sinne des Westens nutzen möchte, um hier auch sich gegen Russland durchzusetzen. Also eine ganz schwierige Gemengelage von Problemen, aber Deutschland und Frankreich, denke ich, haben die Kraft, den diplomatischen Mut und den politischen Willen, die Situation richtig zu lösen.
"Es geht darum, im Gespräch zu bleiben"
Meyer: Es ist ja auch innerhalb Deutschlands hoch umstritten, Putin überhaupt einzuladen. Putin ist ja zurzeit Persona non grata im Westen, sein Verhalten, seine Rolle im Syrien-Konflikt ist sehr stark kritisiert. Kanzlerin Merkel hat sich entsprechend auch heute wieder geäußert. Es gibt nicht wenige die sagen, dass Putin mit einer Einladung nach Berlin sich nur wieder international schmücken kann. Wie sehen Sie das?
Rahr: Schmücken kann sich natürlich jeder auf einem solchen großen Gipfel, wo Weltgeschichte und Weltpolitik geschrieben werden. Auch die ukrainische Seite, auch Deutschland und Frankreich. Aber es geht darum, im Gespräch zu bleiben, und es ist natürlich schwierig, immer so zu argumentieren, aber die russische Seite hat ja auch ihre Wahrheit und ihren Standpunkt und ihre Interessen, und darüber, denke ich, muss man reden. Es ist gut auf der einen Seite, was Frau Merkel auch immer wieder verlangt und sagt, eine Werteorientierung in der Diplomatie, in der Außenpolitik zu haben, aber sie funktioniert nur bedingt. Wir müssen irgendwann einmal auch Realpolitik betreiben. Das heißt, auf den anderen Partner oder Gegner in diesem Fall zugehen, zu verstehen, was er vorhat, über Strategien reden, aber auch Kompromisse schließen.
"Sanktionen sind wirklich vielleicht der allerletzte Schritt"
Meyer: Das bedeutet, dass das Votum der EU-Außenminister von gestern vorerst, keine weiteren schärferen Sanktionen gegen Russland zu verhängen, wegen des Syrien-Konflikts, auf Ihre Zustimmung stößt?
Rahr: Sanktionen sind wirklich vielleicht der allerletzte Schritt. Wir haben aber gesehen, wie Sanktionen auch in der Zeit der Sowjetunion wirken, nämlich nur bedingt, und Sanktionen würden im Falle von Syrien Russland völlig in die Ecke drängen und Russland würde dann sagen, wir machen überhaupt keine Geschäfte mehr mit dem Westen. Russland wird sich dann Richtung China orientieren. Und unsere Wirtschaft wird davon auch in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich denke, Sanktionen sind das allerletzte Mittel. Aber solange man sich trotzdem unterhalten kann, Kompromisse schließen kann, und wir brauchen einen Kompromiss in der Ukraine und in Syrien, einen Kompromiss eben, nicht dass die eine Seite nur gewinnt, weil das sind zwei sehr gefährliche Weltbrände, aus denen tatsächlich möglicherweise größere Konflikte entstehen können, sie müssen eingedämmt werden und da ist jedes Gespräch recht. Und ich denke, dass auch Russland ein solches Gespräch mit uns sucht, weil man sich natürlich nicht in Isolation begeben wird.
Meyer: Danke an Alexander Rahr, Russland-Experte und Putin-Biograf.
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