Müller: Ist das denn für Sie auch eine sinnvolle Anregung?
Nickels: Also, Herr Rebscher hat ja den Versuchsballon gestartet, der sehr nebulös ist und wo er eben gerade zu dem von Ihnen angesprochenen Problemkreis, wie es denn mit chronisch Kranken ist, nichts gesagt hat. Chronische Krankheiten sind - im klassischen Sinne von Heilung - nicht heilbar, können aber durch qualitätvolle und gute Therapien sehr gute Lebensqualität vermitteln, dass Patienten beweglich sind, zum Beispiel Rheumatiker. Das ist etwas völlig anderes wie zum Beispiel bei einem Blinddarm, wo dann der Wurmfortsatz rausgenommen wird und die Krankheit ist beseitigt. Dazu hat Herr Rebscher nichts gesagt und das ist genau der Kritikpunkt, wo die ganze Sache im Nebulösen bleibt. Zum andern wundert mich ein bisschen, dass Herr Rebscher in der Art und Weise mehr auf Qualität eingeht. Er hat ja jetzt mit der Gesundheitsreform 2000 als Vertreter der Kassen mehrere Instrumente in der Hand, wo er genau in dem Sinne qualitätvolle und gute Versorgung von Seiten der Kassen einiges tun kann. Ich verweise hier auf die Möglichkeit der integrierten Versorgung, die ja jetzt hier für die Krankenkassen in breiterem Maßstab ermöglicht worden ist; im Augenblick laufen die Rahmenvereinbarungen dazu mit der kassenärztliche Bundesvereinigung zu den Bereichen, die vertragsärztliche Versorgung betreffen; die werden im Sommer fertig sein. Und dann, wenn alles gut geht, können wir davon ausgehen - wenn die Kassen da fix sind -, dass sie in diesem Jahr sehr gute und von sehr hoher Qualität, und eben auch sinnvoll für die Patienten, gerade auch für chronisch Kranke, gute Versorgungssysteme anbieten können.
Müller: Frau Nickels, Ihnen ist das offenbar nicht differenziert genug. Aber wenn wir auf die grundsätzliche Ausrichtung dieses Vorschlags zu sprechen kommen, also 'Erfolgshonorar' für Ärzte - können Sie sich damit anfreunden?
Nickels: Also, es hat ja zwei Bestandteile. Herr Rebscher hat ja hier auch angemahnt, mehr Qualität generell im Gesundheitswesen, und da - muss man sagen - ist natürlich noch eine Menge zu tun. Das ist natürlich vor allen Dingen auch Sache der Beteiligten im Gesundheitswesen selber. Die Politik kann hier nur Rahmen vorgeben. Das tun wir aber. Mit der Gesundheitsreform haben wir hier sehr gute und neue Möglichkeiten geschaffen. Ich möchte mal drei Punkte herausgreifen: Wir haben hier das Hausarztmodell noch einmal verstärkt mit in die Debatte gestellt. Der zweite Punkt ist, dass die Vernetzung von ambulant und stationär viel stärker ermöglicht wird. Und drittens, das ist also wirklich der wichtigste Punkt auch, dass hier integrierte Modelle ermöglicht werden. Und das sind genau die Strukturen, die es den Krankenkassen ermöglichen, auf einem hohen Qualitätsstandard - auch mit bestimmten Kriterien, auch zugeschnitten auf die verschiedenen Bedürfnisse, die verschiedene Patientengruppen haben - von sich aus Angebote zu machen. Und wie gesagt: Die Rahmenvereinbarungen werden im Augenblick ausgehandelt, und ich hätte mir gewünscht, dass Herr Rebscher das ein bisschen mehr herausstellt und das ein bisschen mehr auch betont.
Müller: Frau Nickels, vielleicht können Sie Herrn Rebscher ja weiterhelfen. Ich muss noch mal nachfragen: Erfolgshonorare für Ärzte - ja oder nein?
Nickels: Er hat es gesagt - wir haben es gesagt: Einmal Qualität in der ärztlichen Versorgung, das ist richtig. Aber so, wie Herr Rebscher - man kann ja hier nur auf das WELT-Interview eingehen. Ich habe von Herrn Rebscher nichts gehört. Was er da in den Raum gesetzt hat, ist nebulös. Hohe Risiken - dazu hat er nichts gesagt. Ich halte das so - wie er es jetzt gesagt hat - für nicht umsetzbar.
Müller: Wie könnten Sie sich denn eine solche Regelung vorstellen?
Nickels: Ich sagte schon, dass wir mit der Gesundheitsreform hier Ansätze geschaffen haben, die mehr Qualität auch fördert, die auch hier maßgeschneiderte Möglichkeiten auch für bestimmte Patientengruppen den Kassen ermöglichen - Stichwort 'integrierte Netze' - , und das sind sehr wichtige Rahmenvoraussetzungen, die wir jetzt geschaffen haben, die umgesetzt werden müssen. Und da sind die Krankenkassen ja im Augenblick mit der kassenärztlichen Bundesvereinigung dabei, die Rahmenvereinbarung zu schließen. Ich sagte schon einmal: Ich gehe davon aus, dass wir hier ab Sommer die Möglichkeit haben von Seiten der Kassen, die hier auch die Möglichkeit im Interesse der Patienten nutzen.
Müller: Das mit den Ärzten soll alles - wenn ich Sie richtig verstanden habe - so weitergehen wie bisher?
Nickels: Nein. Ich hatte Ihnen ja schon gesagt, dass wir das Hausarztmodell stärker favorisieren, wo hier auch stärkere Honoraranteile mit ermöglicht werden für Hausärzte; wo hier auch die Patienten - auf freiwilliger Ebene selbstverständlich - die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen; wo die Krankenkassen die Möglichkeit haben, hier ein Bonussystem mit einzuführen. Ich habe verwiesen auf die integrierten Versorgungsnetze, wo die Krankenkasse mit den Anbietern hier aushandeln, wer in den Netzen mit beteiligt ist und welche Standards und welche Qualitätsanforderungen gestellt werden. Das sind richtige Schritte in die richtige Richtung, die eben genau das, was das Risiko von Herrn Rebschers Vorschlag ist, vermeiden: Rosinen-Pickerei zu Lasten gerade von Behinderten oder chronisch Erkrankten. Das kann das nicht sein.
Müller: Ist der Erfolgsdruck für die Ärzte im Moment hoch genug?
Nickels: Die Ärzte haben ein ärztliches Standesrecht; die Ärzte unterliegen eben auch den Regelungen. Hier sind die kassenärztlichen Vereinigungen, auch die Krankenkassen, soweit es vertragsärztliche Versorgung betrifft, gehalten, darauf zu achten, dass es auch eingehalten wird. Es ist auch Aufgabe der Krankenkassen, wenn Patienten sich beschweren, hier dem nachzugehen. Und wie gesagt: Es ist eine Sache der Selbstverwaltung. Und die übt die Standesvertretung aus, wo die Politik die Rahmen vorgeben muss. Wir sind der Auffassung, dass wir mit den von mir genannten Bestandteilen, ich wiederhole sie noch mal: Stärkere Verzahnung von ambulant und stationär, Stärkung des Hausarztes - damit eben auch viele Mehrfach- und Doppeluntersuchungen, die unnötig sind und zu Lasten der Gesundheit des Patienten geht und die auch unnötig Geld kosten, vermieden werden - und durch die neuen Möglichkeiten der integrierten Versorgung die notwendigen Anreize auch setzen, hier weitere Schritte in die richtige Richtung zu gehen. Und diese Möglichkeiten müssen umgesetzt und ausgeschöpft werden.
Müller: Die grüne Politikerin Christa Nickels war das, parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Nickels: Bitte schön.
Müller: Auf der anderen Leitung zugehört hat der CSU-Politiker Wolfgang Zöller, stellvertretender Vorsitzender im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Guten Morgen.
Zöller: Grüß Gott.
Müller: Herr Zöller, wie stehen Sie zu den jüngsten Vorschlägen der Angestellten-Krankenkassen?
Zöller: Ja, mich ärgert eines, dass jede Woche irgendwie eine neue Horrormeldung in die Welt gesetzt wird und die Patienten immer mehr verunsichert werden. Was mich zweitens stört, ist, dass man ein Erfolgshonorar - dieses Thema - einfach unüberlegt in die Welt setzt. Das hängt natürlich auch damit zusammen: Man macht ein Gesetz und spricht anschließend mit den Beteiligten, wie es sich auswirkt. Wenn ich dieses Erfolgshonorarmodell hernehme, ist die Überschrift wieder gut gemeint, aber das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint. Es wird, ob man will oder nicht, dazu führen, dass chronisch Kranke und Schwerstkranke die Verlierer dieser Regelung sein werden, nämlich wie wollen Sie - ich sage mal - einem krebskranken Patienten zumuten, dass ihn ein Arzt aufnimmt, der dann weiß: 'Die Erfolgschancen sind ziemlich gleich 'Null', und dafür werde ich dann schlechter vergütet wie jemand, der einen einfachen Fall behandelt und den er relativ schnell zum Erfolg führen kann. Dann wird er da besser vergütet'. Also, diese Regelung ist einfach - ich sag's mal - 'hirnrissig'.
Müller: Bleiben wir, Herr Zöller, einmal bei den einfacheren Fällen, wie Sie sie nennen. Könnte man denn dort über eine solche Regelung nachdenken?
Zöller: Es gibt bestimmte Fälle - ich kann mir vorstellen: Meniskusoperation oder ähnliches -, aber das kann man doch viel einfacher regeln. Warum geht man nicht einfach her und sagt: Der Patient kriegt künftig eine Rechnung für die Leistung, die der Arzt an ihm vollbracht hat. Und angenommen, die Meniskusoperation war nicht in Ordnung und man müsste innerhalb von ein paar Monaten eine Nachoperation machen, dann muss man halt sagen: 'Hier, ich habe für diese Leistung schon bezahlt'. Das müsste dann ohne Honorierung geschehen. Also, man kann durch Transparenz, durch mehr Rechnungen, dieses Ansinnen viel leichter erreichen, und ich glaube, die Leute würden das auch eher verstehen.
Müller: Nun gibt es immer wieder Klagen von den Krankenkassen, natürlich auch vor dem Hintergrund der finanziellen Situation der gesetzlichen, dass Ärzte für einfache Erkrankungen, beispielsweise eine Vereiterung der Nebenhöhlen, zu oft und zu lange behandeln und aufgrund dessen auch hohe Honorare kassieren. Ist da was dran?
Zöller: Also, dass ausgerechnet diesen Vorwurf die Krankenkassen machen, das verwundert mich schon. Die Krankenkassen wissen doch genau, dass für die Ärzte eine Pauschale bezahlt wird. Das heißt, wenn ein Arzt jemanden nach dem jetzigen Finanzierungssystem extrem lang behandelt, damit verdient der Arzt dann nicht mehr daran, weil er ja für diesen Patienten für dieses Quartal eine Pauschale bekommt. Also ich bin wirklich verwundert, wie sogenannte Fachleute hier einfach Dinge in den Raum stellen, die hinten und vorne nicht stimmen. Und wenn die Krankenkassen hier schon solche Vorschläge machen, dann sage ich nach wie vor: Der beste Qualitätsbeweis ist, dass wir eine freie Arztwahl haben. Dann gehen die Leute zu dem Arzt, zu dem sie auch Vertrauen haben. Und wir müssen darauf achten, dass diese freie Arztwahl, die die Qualität garantiert - für meine Begriffe am besten garantiert -, dass wir diese freie Arztwahl nicht gefährden. Und da habe ich schon große Bedenken bei diesem Hausarztmodell; dann kriege ich nur noch meinen Arzt, den mir mein Kassenfunktionär mit anbietet. Und ich sage auch: Da läuft so Richtung Einkaufsmodell, dass die Kassen künftig sich Ärzte einkaufen. Und da wird die Qualität mehr als in Frage gestellt. Das ist eine ganz verheerende Entwicklung.
Müller: Sind denn die Rechnungen für die Patienten transparent genug, das heißt: Kann der Patient nachvollziehen, wie teuer, wie effizient seine Behandlung tatsächlich war?
Zöller: Das ist bisher nicht möglich gewesen. Durch diese Budgetierung läuft doch folgendes: Der Arzt bekommt im Januar für die gleiche Leistung einen anderen Betrag wie Ende des Jahres. Also kann er eigentlich gar keine Rechnung im Januar oder Mitte des Jahres stellen, weil er nicht weiß, welche Vergütung er erhält. Deshalb hatten wir ja damals vorgeschlagen, einen festen Betrag für bestimmte Leistungen festzulegen. Dann kann der Arzt auch dem Patienten eine transparente Rechnung stellen.
Müller: Wolfgang Zöller war das, CDU-Gesundheitspolitiker, stellvertretender Vorsitzender im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören.
Zöller: Einen schönen Tag noch wünsche ich.
Link: Interview als RealAudio