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"Quantität kein Kriterium für Qualität"

Dieser Vorschlag dürfte Begeisterungsstürme auslösen: Der Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen will künftig weniger Klassenarbeiten schreiben lassen, um Schüler und Lehrer im G8-Stress zu entlasten. Sechs Klassenarbeiten pro Schuljahr seien "nicht in den Zehn Geboten" verankert, sagt Peter Silbernagel, Chef der NRW-Philologen.

Peter Silbernagel im Gespräch mit Kate Maleike |
    Kate Maleike: Was schlagen Sie denn konkret vor?

    Peter Silbernagel: Also angesichts der Tatsache, dass G8, also die Schulzeitverkürzung, natürlich auch für Schülerinnen und Schüler unbestritten eine Arbeitsverdichtung mit sich bringt und auch immer wieder die Situation aufkommt, dass über die hohe zeitliche Belastung gesprochen wird, haben wir den Vorschlag gemacht, darüber nachzudenken, ob die Zahl und auch die Art der Leistungsüberprüfungen so bleiben muss, wie es beispielsweise unter G9 der Fall war. Wir machen jetzt den Vorschlag, konkret von der Zahl sechs beispielsweise in einem gesamten Schuljahr an Klassenarbeiten in den Klassen fünf bis sieben, zum Teil acht, zum Teil neun abzugehen und eine Klassenarbeit beziehungsweise zwei Klassenarbeiten weniger zu schreiben, das heißt an dieser Stelle auch eine gewisse Entspannung herbeizuführen.

    Maleike: Und die Entspannung für die älteren Semester, sprich für diejenigen, die dann aufs Abitur zugehen?

    Silbernagel: Da machen wir den Vorschlag, genau hinzuschauen, ob denn der zeitliche Umfang so bleiben muss und soll wie bisher und ob man sich da nicht ein bisschen daran orientiert, dass auch in den Hochschulen die Überprüfungszeit eine begrenzte ist. Es muss nicht immer vier Unterrichtsstunden umfassen, eine Klausur, es können auch mal drei sein, und statt zwei kann man sich auch da, wo der Spielraum ist, auf eine einstündige Klausur zu gehen, auch darauf beispielsweise konzentrieren. Das bedeutet natürlich, dass man andere Leistungsüberprüfungen, zum Beispiel die mündliche Mitarbeit gerade in der unteren Mittelstufe, stärker auch in den Blick nehmen muss. Und es bedeutet auch, dass man deutlicher herausstellen muss, wie es formal gegeben ist, dass am Ende des Schuljahres die Note über das gesamte Schuljahr gegeben wird, nicht über ein Halbjahr nur, sodass also eigentlich dann zugrunde liegen kann bei der Gesamtnote am Ende des Schuljahres die Grundlage von vier Klassenarbeiten beispielsweise.

    Maleike: Sie waren ja in der Vergangenheit als Philologen-Verband eigentlich immer der Verfechter der gymnasialen Qualitätsausbildung, deshalb überrascht dieser Vorschlag aus Ihrem Verband schon ein wenig. Wie kommt’s?

    Silbernagel: Wobei ja nicht die Quantität ein Kriterium für Qualität sein muss. Die Zahlen der Klassenarbeiten, die Länge der Klausuren ist nicht ein Indikator dafür, dass der Level der Standard am Gymnasium – bei G8 wie bei G9 – gehalten wird, auch bei steigenden Übertrittsquoten. Und gerade der Philologen-Verband ist ja immer ein Streiter auch dafür, dass die Qualität das entscheidende Kriterium sein muss auch in der schulischen Ausbildung. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht in kürzerer Zeit verdichtet alles hineinpacken können, was vorher in einer längeren Zeit möglich war, und wir müssen auch uns mit dem Gedanken anfreunden, dass es auch andere Formen der Leistungsüberprüfung gibt. Und es ja nicht in den Zehn Geboten verankert, dass wir sechs Klassenarbeiten in der Fünf, Sechs, Sieben oder Acht schreiben – insofern darf man darüber nachdenken, welcher Weg pädagogisch verantwortbar ist, und dann gemeinsam mit Eltern und Schülern auch gegangen werden kann.

    Maleike: Natürlich hätte man vielleicht auch schon etwas früher auf diese Idee kommen können, aber lassen Sie uns noch auf Ihre, ich sag mal Ausweichmöglichkeit zu sprechen kommen. Sie haben die mündliche Mitarbeit noch mal angesprochen, mit der eben Schüler die Möglichkeit haben sollen, aus schlechteren schriftlichen Ergebnissen dann doch bessere zu machen. Nun sieht Schulpraxis aber oft anders aus. Wenn man sich mal so umhört, sind die mündlichen Leistungen bei vielen Lehrern doch noch nicht so gleichwertig wie die einer Klassenarbeit. Sehen Sie das auch so?

    Silbernagel: Ich sehe das auch so, Frau Maleike, deshalb ist das auch, ich sag mal eine Aufforderung an die eigene Klientel, an die Kollegen und Kolleginnen, diesen Bereich gleich gewichtet in den Blick zu nehmen. Rein rechtlich, rein formal ist es so, dass das Mündliche und das Schriftliche gleichbedeutend sind, aber Sie haben völlig recht, in den Augen vieler ist es so, dass das, was nicht im Schriftlichen, zumindest in der unteren Mittelstufe, dokumentiert werden kann, vielleicht weniger dazu führt, dass einer eine bessere oder zufriedenstellende Note bekommt. Das muss sich auch ändern, das ist richtig. Und neben dem Mündlichen insgesamt gibt es ja auch noch andere Formen. Es gibt Formen der Hausarbeit oder der eigenständigen Arbeit, die gewichtet werden kann, es gibt Formen der Gruppenüberprüfung, wie es auch beispielsweise im universitären Bereich möglich ist. Das hat auch etwas mit einer Umstellung zu tun, aber man darf an dieser Stelle kreativ sein.

    Maleike: Wann genau wird denn Ihr Vorschlag Realität werden, was hören Sie aus dem zuständigen Ministerium?

    Silbernagel: Das Ministerium ist erstaunlicherweise an dieser Stelle nicht ablehnend oder blockierend. Wir sind schon seit vielen Monaten im Gespräch, auch zum Teil mit anderen Verbänden, in dieser Thematik, aber es ist ein wenig mühsam und es ist ein wenig zäh, und ich hoffe einmal, dass wir in den nächsten Monaten weiterkommen.

    Maleike: Also dann vielleicht zum nächsten Schuljahr?

    Silbernagel: Das wäre wünschenswert.

    Maleike: Peter Silbernagel war das, der Landesvorsitzende des Philologen-Verbandes in Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank für das Gespräch!

    Silbernagel: Bitte sehr!


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