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Quarantäneregeln bei Kindern
"Du blickst nicht mehr durch"

An Schulen und Kindergärten kommt es immer wieder zu vereinzelten Corona-Ausbrüchen. Doch die Regelungen zur Quarantäne unterscheiden sich offensichtlich von Kommune zu Kommune. Viele Eltern bleiben ratlos, frustriert und verunsichert zurück.

Von Vivien Leue | 11.12.2020
Ein Mädchen sitzt lustlos vor ihren Hausaufgaben (gestellte Szene).
Die Quarantäne-Regeln bei Kindern erscheinen vielen Eltern nicht transparent und nicht konsequent (picture alliance / dpa / Mascha Brichta)
"Gute zehn Tage nachdem das Kind das letzte Mal in der Einrichtung war, gab es die Mitteilung, dass das Kind positiv getestet wurde und die Kita jetzt erst mal geschlossen sei."
Svenja Streich aus Gladbeck im nördlichen Ruhrgebiet ist Mutter von zwei Kindergartenkindern. Beide mussten bereits zwangsläufig in Quarantäne. Oder zumindest konnten sie zwei Wochen lang nicht in den Kindergarten gehen, weil dieser geschlossen war, "davon war die Quarantäne aber bei uns nur drei Tage tatsächlich angeordnet."
Das wusste Svenja Streich aber auch erst recht spät, denn zu Beginn der Kita-Schließung war erstmal gar nichts klar: "Die Kita hat uns mitgeteilt, dass alle Kinder zunächst in Quarantäne seien. Es hat sich dann natürlich herausgestellt, dass die Kita das ohnehin nicht aussprechen kann, sondern nur das Gesundheitsamt. Und da auch nur das Gesundheitsamt des gewöhnlichen Aufenthalts, und nicht das, wo die Kita ist. Und das weicht in unserer Kita bei einigen Eltern ab. Sodass wir erst drei Tage vor Ende dieser 14 Tage tatsächlich informiert worden sind, durch einen Anruf."
Ähnliche Fälle häufen sich, sagt Franziska Reiß aus Düsseldorf von der Initiative "Familien in der Krise". Aktuell wüssten viele Familien mit Kindern in Kitas oder Schulen nicht, wer wann und warum in Quarantäne muss: "Das ist alles nicht durchgängig und transparent. Das machen einfach auch alle Gesundheitsämter unterschiedlich und ob dann innerhalb eines Gesundheitsamtes immer alle die gleichen Maßstäbe ansetzen, das ist auch nicht ganz klar."
Es fehlen klare Richtlinien
So passiert es in NRW, das in einem Ort jeweils ganze Klassen oder Kitas zu Hause bleiben müssen, sobald es einen positiven Fall in der Gruppe gibt, im Nachbarort aber möglicherweise nur die Sitznachbarn oder eine einzelne Kita-Gruppe in Quarantäne kommen.
"Aus meiner Sicht bräuchten Familien klare Richtlinien, wonach die Gesundheitsämter entscheiden, wen sie in Quarantäne schicken."
Diese klaren Richtlinien fehlen häufig oder sie seien viel zu rigoros, weil eben direkt ganze Klassen oder Einrichtungen geschlossen werden, sagt Reiß.
"Wenn man bedenkt, dass die Quarantäne die einschneidendste Maßnahme ist, die das Infektionsschutzgesetz kennt, ist es natürlich ein ganz schönes Gießkannenprinzip, wo man sich fragt, ob man da nicht differenzierter vorgehen könnte."
Kinder in Corona-Quarantäne
Zehntausende Kinder befinden sich derzeit in Corona-Quarantäne - ihre Eltern müssen sie auch tagsüber betreuen. Insbesondere für Alleinerziehende birgt das ein finanzielles Risiko.

Die Personaldecke ist entscheidend
Im größten Gesundheitsamt der Bundesrepublik, in Köln, versuchen die Mitarbeiter genau das: Jeden Fall einzeln zu bewerten.
"Bisher gehen wir so vor, dass wir gezielt nachfragen, mit wem hat das Kind Kontakt gehabt, wer hat im Klassenraum innerhalb oder unterhalb von anderthalb Metern gesessen", erklärt der Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, Johannes Nießen.
"Da beauftragen wir den Lehrer und nicht den Schüler, das herauszufinden. Der benennt uns die Kontaktpersonen."
Die Schule schicke dann ein Schreiben an die betroffenen Familien, in dem die Quarantäne erklärt wird, "und das wird dann gültig, wenn wir vom Gesundheitsamt auch noch unsere Ordnungsverfügung hinterherschicken."
Da das aber schon mal ein paar Tage dauern kann, sei das Schreiben von der Schule wichtig – auch wenn das keine behördliche Anweisung ist. Johannes Nießen hat Verständnis dafür, dass nicht überall so differenziert vorgegangen werden kann.
"Der Unterschied innerhalb der Gesundheitsämter ist einfach ein Personalproblem. Wir haben ja allein 450 Leute, die sich nur um die Corona-Nachverfolgung kümmern, hier in der Millionenstadt Köln. Das ist in anderen Städten leider nicht immer so."
Raus trotz positivem Coronatest
Aber selbst dort, wo die Gesundheitsämter nach dem Einzelfall-Prinzip arbeiten, bleiben Lücken im System, wie der Fall der Familie Schmunkamp zeigt.
"Du blickst nicht mehr durch", sagt Mira Schmunkamp. Sie sitzt in ihrem Wohnzimmer in Düsseldorf und zeigt auf einen ausgedruckten Kalender vom November. Vor etwa vier Wochen wurde die 47-Jährige positiv auf das Coronavirus getestet, kurz zuvor auch ihr Mann. Ihre elfjährige Tochter erhielt ein negatives Ergebnis – aber blieb natürlich zwei Wochen lang mit den Eltern zu Hause, in Quarantäne. An einem Donnerstag hätte sie wieder in die Schule gehen dürfen.
"Das Gesundheitsamt, wir haben die darauf hingewiesen, von wegen: Sie hatte ein negatives Ergebnis, wir aber beide ein positives. Und wir sind natürlich auf engstem Raum. Ob da nicht nochmal ein Test nötig wäre, weil sie ja dann wieder zur Schule gehen soll. Nee, nee, der ist nicht nötig."
Es bleibt ein unsicheres Gefühl
Familie Schmunkamp war das zu riskant, sie bat einen befreundeten Kinderarzt, die Tochter doch noch einmal zu testen. Ergebnis: Positiv. "Hätten wir diesen Test nicht gemacht, wäre sie jetzt schön in der Schule und hätte das Virus verteilt."
Letztlich bleibt für Familien aktuell ein unsicheres Gefühl: Mal kommen die Kinder in Quarantäne, obwohl sie keinen engen Kontakt hatten, mal sollen sie zur Schule, obwohl sie möglicherweise positiv sind. Franziska Reiß von "Familien in der Krise" wünscht sich eines:
"Ich denke, dass es auf jeden Fall Sinn macht, die Gesundheitsämter einfach besser auszustatten. Personell, das wäre in Zeiten einer Pandemie wirklich der wichtigste Schritt."