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Quentin Tarantino: „Es war einmal in Hollywood“
Eine Mischung aus Straßenjargon und Hollywood-Zynismus

Vor zwei Jahren feierte der Film „Es war einmal in Hollywood“ von US-Starregisseur Quentin Tarantino bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere. Das Werk spielte rund 370 Millionen Dollar an der Kinokasse ein, gewann zwei Oscars. Nun ist das Buch zum Film auf deutsch erschienen, Tarantinos Debütroman.

Von Bernd Sobolla | 13.07.2021
Quentin Tarantino: "Es war einmal in Hollywood" Zu sehen sind das Buchcover und Quentin Tarantino bei der Berlin-Premiere des Films "Once upon a time in Hollywood"
Quentin Tarantinos bleibt sich in seinem ersten Roman „Es war einmal in Hollywood“ treu (Cover: Kiepenheuer & Witsch / Foto: IMAGO / Future Image)
Als 2017 bekannt wurde, dass Quentin Tarantino einen neuen Film vorbereitet, der 1969 in Hollywood spielt und in dem es um den Mord an der Schauspielerin Sharon Tate geht, dachten viele, dass der Regisseur ein blutrünstiges Massaker auf die Leinwand bringen würde. Schließlich eskaliert in allen Tarantino-Filmen die Gewalt, und bei den realen Ereignissen handelt es sich um einen der berüchtigtsten Morde der US-Geschichte: Mitglieder der sogenannten Manson Family hatten im Auftrag ihres Anführers Charles Manson nicht nur die hochschwangere Sharon Tate umgebracht, sondern auch vier Begleiter.
Doch Tarantino überraschte seine Fans wie so oft: Aus dem Mord wurde ein Mordversuch, wobei die Mörder nicht im Haus von Sharon Tate landen, sondern von Rick Dalton, gespielt von Leonardo di Caprio, wo sie am Ende des Films selbst umkommen. Soweit die Filmstory. Im Buch hingegen wird diese Szene schon im ersten Drittel und eher beiläufig erzählt. Nicht Gewalt, Rache und Mord stehen im Zentrum der Geschichte, sondern der Karriere-Überlebenskampf des Rick Dalton.
Der Western "Django Unchained" von Quantin Tarantino. Darsteller von links nach rechts: Jamie Foxx, Kerry Washington, Christoph Waltz, 2012.
Warum schwarze Sklavinnen und Sklaven Deutsch lernten
In seinem 2012 erschienenen Western "Django Unchained" lässt Regisseur Quentin Tarantino eine schwarze Sklavin deutsch sprechen. Damit greift er eine nur lückenhaft erforschte Beziehung zwischen deutschen Einwanderern und schwarzen Sklaven und Sklavinnen in den USA auf.
Wie so oft: Das Buch ist besser als der Film
Und obgleich der Film vielfach ausgezeichnet wurde, muss man sagen, dass das Buch besser ist als der Film. Die einzelnen Kapitel bauen systematischer aufeinander auf, die Story ist stringenter erzählt und die vielen Anspielungen auf das Hollywood-System sind verständlicher. So wird Rick Dalton gleich zu Anfang als Ex-TV-Star der Westernserie "Bounty Law" vorgestellt, der sich einen neuen Agenten sucht, Marvin Schwarz. Schwarz soll ihm zu einem Comeback verhelfen. Doch die erste Analyse ist ernüchternd. Denn schon einige Zeit spielt Rick nur noch Schurken, die schnell erledigt werden. Für Marvin Schwarz ein schlechtes Zeichen:
"‘Was das Publikum sieht, ist Bingo Martin, der dem Typen von Bounty Law den Arsch versohlt. […] Nächste Woche ist es dann Ron Ely in seinem Lendenschurz. Und die Woche darauf ist es Bob Conrad in seiner engen Hose, der Ihnen in den Arsch tritt. Wenn Sie noch ein paar Jahre lang den Prügelknaben für jeden Platzhirsch spielen, der neu im Geschäft ist‘, erklärt Marvin, ‚wird das einen psychologischen Effekt darauf haben, wie das Publikum Sie wahrnimmt.‘"
Doch Schwarz hat eine Idee: Er will Rick Dalton an italienische Produzenten vermitteln, die das Western-Genre gerade mit ihren Italo-Western neu erfinden. Sollte Rick Dalton auf diese Weise wieder in den Sattel steigen, würde das auch für seinen Stuntman Cliff Booth, im Film von Brad Pitt gespielt, mehr Einsätze bedeuten.
Ein Mann fährt ein Taxi in New York.
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Mehr Tiefe für die Figuren
Tarantino nutzt die Möglichkeiten des Buchs und gibt seinen Charakteren viel mehr Hintergrund. So ist Cliff Booth nicht einfach nur ein Kriegsveteran, sondern ein vielfach ausgezeichneter Held des Zweiten Weltkrieges, der vor nichts Angst hat und im Gegensatz zu seinem Boss eine echte Filmaffinität besitzt: Er liebt Toshiro Mifune und Jean-Paul Belmondo und sieht sich gezielt ausländische Filme an - in Schwarz-Weiß und mit Untertiteln.
"‘Ich geh doch nicht ins Kino, um zu lesen‘, neckte Rick Cliff. Cliff lächelte nur über die Sticheleien seines Chefs, aber er war immer stolz darauf, dass er Untertitel las. Er fühlte sich schlauer. Er mochte es, seinen Verstand zu erweitern. Er mochte die Herausforderung, sich mit schwierigen Begriffen auseinanderzusetzen, die sich ihm anfangs nicht erschlossen. Nach den ersten zwanzig Minuten gab es nichts mehr über einen neuen Rock-Hudson- oder Kirk-Douglas-Film zu erfahren. Aber bei diesen ausländischen Filmen musste man manchmal den ganzen Film sehen, um zu kapieren, was man da eigentlich sah."
Tarantino wurde oft dafür kritisiert, dass seine Filmfiguren eine vulgäre Sprache benutzen. Wer hoffte, dass der Autor nun in seinem Debütroman einen anderen Ton anschlagen würde, wird enttäuscht. Die Begegnung von Actionstar Steve McQueen mit dem Regiestar Roman Polanski ist nur ein Beispiel dafür.
"Roman und McQueen können sich nicht leiden, aber weil Steve einer von Sharons ältesten Freunden in Los Angeles ist, tolerieren sie sich gegenseitig. Es liegt auf der Hand, dass Sharon und McQueen früher mal gefickt haben. Er hat Sharon nie darauf angesprochen, aber er weiß, dass McQueen so ein Typ ist, der nicht mehr mit Sharon befreundet wäre, hätte er sie in der Vergangenheit nicht ein paarmal gefickt."
Tarantino bleibt Tarantino
Es ist diese Mischung aus Straßenjargon, Hollywood-Zynismus und Pubertisten-Geprahle, die nicht nur einmal nervt. Quentin Tarantino - inzwischen 58 Jahre alt und frisch verheiratet - hätte die Chance gehabt, sich als Autor neu zu erfinden. Er hat sie nicht genutzt. Aber "Es war einmal in Hollywood" wirkt ohnehin nicht unbedingt wie ein Roman, sondern eher wie ein Drehbuch mit langen Regieanweisungen und Hintergrundinfos, inklusive genauem Musikeinsatz. Wobei man nie genau weiß, wo die realen Ereignisse und Personen enden und die fiktiven beginnen.
Großes Interesse dürfte bei Kinofans vor allem die Beschreibung der Hollywood-Gesetze wecken: Wie Stars aufgebaut, unter welchen Kriterien Schauspieler besetzt werden oder wie diese an sich selbst, an Produzenten oder dem Alkohol scheitern. Wer den Filmemacher Tarantino mag, wird auch das Buch mögen, inklusive der Gewaltfantasien des Autors. Darüber hinaus gelingt es Tarantino, durch die umfangreichen Beschreibungen dem Buch eine Tiefe zu geben, die der Film nicht erreicht. Nur ein einziges Mal vergaloppiert er sich in seinen Ausführungen, bei der TV-Serie "Lancer", in der Rick Dalton eine Gastrolle übernimmt. Doch das sei ihm verziehen. Denn bei den Dreharbeiten zur Serie lernt Rick Dalton die achtjährige Mirabelle kennen, ein intelligentes, zielstrebiges Mädchen. Mit ihr dreht er nicht nur eine Szene, in der sich die beiden selbst übertreffen. Die Episode verleiht dem Buch auch ein großartiges, fast poetisches Ende.
Quentin Tarantino: "Es war einmal in Hollywood", Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Stephan Kleiner und Thomas Meller, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 400 Seiten, 25 Euro.