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"Die Spekulationen über andere Koalitionen müssen aufhören"

Durak: Finanzminister Oskar Lafontaine wird heute entlassen, offiziell durch den Bundespräsidenten. Und Jürgen Trittin? - Er arbeitet dran, möchte man meinen. Den bündnis-grünen Umweltminister halten manche für den einzig übrig gebliebenen Linken in der Regierungsmannschaft. Andere auch aus den eigenen Reihen halten ihn schlicht für verrückt. Rot/grün als Reformprojekt ist tot; mit der SPD gibt es allenfalls noch eine Summe gemeinsamer Interessen. Ich zitiere: Nach dem Rücktritt Lafontaines unterschieden sich beide Volksparteien kaum noch. Mittelfristig spreche für die CDU als Partner genauso viel oder so wenig wie für die SPD. Sprachs gestern den Kollegen vom "Stern" in die Notizblöcke und mußte später nachbessern. Richtungsstreit nun bei den Grünen? Trittin gefährdet die Koalition? Lust auf Selbstzerstörung, wie gesagt, oder Pflöcke einrammen in die vermeintlich linke Leere? Am Telefon ist also der Fraktionschef der Bündnis-Grünen im Bundestag, Rezz9o Schlauch. Guten Morgen!

    Schlauch: Guten Morgen!

    Durak: Herr Schlauch, Sie haben es schwer!

    Schlauch: Natürlich hat man es schwer in einer Partei, in der es viele Meinungen gibt und in der dann auch die Meinungen mehr oder weniger unbefangen geäußert werden. Es ist aber nun nicht so, daß man dort nicht zurechtkommt, denn man hat ja damit auch eine langjährige Erfahrung.

    Durak: Herr Schlauch, Meinungsfreiheit und Vielfältigkeit der Meinung ist ja ganz gut und schön und das schmückt uns natürlich auch. Es wird aber etwas schwierig, wenn es sich nicht um Jedermann handelt, sondern um den Umweltminister beispielsweise, der über das eigene Regierungsprojekt urteilt?

    Schlauch: Ich hatte gestern zugegebenermaßen auch einige Schwierigkeiten, und zwar deshalb, weil ich glaube, daß nach dem Rücktritt Lafontaines nun alles andere auf der Tagesordnung steht als eine Auseinandersetzung um mögliche neue Machtkonstellationen oder Machtspielchen, sondern ich glaube, daß gerade wir Grünen in dem Zeitraum, in dem die SPD sich neu sortieren muß, gut beraten wären, wenn wir unsere Energie und unsere Konzentration darauf richten würden, die Reformprojekte, die wir ja im Koalitionsvertrag gemeinsam mit der SPD vereinbart haben, im Bereich der Energiepilitik, im Bereich beispielsweise der Wirtschafts- und Sozialpolitik, zu realisieren und nicht über mögliche neue Machtkonstellationen zu spekulieren.

    Durak: Die Bündnis-Grünen sind durch solche Art Querelen ja munter dabei, sich vielleicht selbst wegzusortieren, Herr Schlauch. Sie haben es ja sicherlich beobachtet. Die FDP braucht ja eigentlich nur noch zuschauen und ein paar Signale setzen. Wir haben von der Probeabstimmung gehört, was die Bundespräsidentschaft betrifft. 15 FDP-Wahlmänner/Frauen haben für Johannes Rau gestimmt, zehn braucht die SPD nur. Wann treiben denn die Bündnis/-Grünen die SPD endgültig in die Arme der FDP?

    Schlauch: Nun ja, gerade dieses Bild zeigt, daß die FDP nun nicht so attraktiv ist als Bündnispartner.

    Durak: Wieso denn nicht?

    Schlauch: Mit der FDP eine CDU-Koalition in Hessen, mit der FDP eine SPD-Koalition in Rheinland-Pfalz. Außerdem ist es ja nun auch so, daß das FDP-Ergebnis in Hessen knapp über der Fünf-Prozent-Grenze war und die FDP im Bundesrat keine Rolle spielt. Ich kann mir also nicht vorstellen, jetzt mal rein machtpolitisch, daß die FDP gerade eine attraktive Braut ist, aber auch inhaltlich sehe ich, jedenfalls was die SPD-Fraktion oder die SPD-Partei angeht, keine Übereinstimmung mit den Positionen der FDP. Das sehe ich aktuell jedenfalls nicht.

    Durak: Wetten, Herr Schlauch, daß die FDP ein weitaus bequemerer Bündnispartner wäre als die Bündnis-Grünen für die SPD?

    Schlauch: Das mag ja nun sein, daß die FDP bequemer ist, aber ob sie in Übereinstimmung zu bringen ist mit den Zielen der SPD. Die FDP hat sich ja nun in den letzten Jahren als eine Ein-Punkt-Partei profiliert, Steuern senken, Steuern senken, Steuern senken, jegliche soziale Verantwortung vermissen lassen. Ob mit einer solchen Partei die SPD Koalitionen eingehen kann, scheint mir doch sehr fraglich zu sein.

    Durak: Gehe ich richtig in der Annahme, daß die Bündnis-Grünen auch dabei sind, sich sozusagen mehr konkurrent auf die SPD zu bewegen, wenn sie wirtschaftsfreundlichere Signale setzen. Die haben Sie ja in der vergangenen Woche gesetzt und gleich auch "Dresche bezogen".

    Schlauch: Ich sehe nicht, daß wir irgendwelche Dresche bezogen haben.

    Durak: Kritik von den Linken!

    Schlauch: Ich sehe das nicht. Selbst meine Kollegin Kerstin Müller hat dies als konstruktiven Beitrag gewertet. Im übrigen hat die Linke auf dem Parteitag in Erfurt gesagt, wir wollen keine Strukturdebatten, sondern wir wollen inhaltliche Debatten. Diese inhaltlichen Debatten kann man jetzt angesichts dieses Papiers führen. Ich kann nur sagen, es ist überhaupt nichts Neues, was in diesem Papier formuliert ist, sondern es sind die Positionen, die die Grünen-Fraktion in der alten Legislaturperiode im Bereich der Strukturreformen, der sozialen Sicherungssysteme, im Bereich der Steuerreform entwickelt hat und mit denen die Grünen, auch unser Kollege Trittin, mit und zwar erfolgreich, teilweise erfolgreich in die Koalitionsverhandlungen gegangen sind. Wir glauben, daß gerade mit diesem Papier wir jetzt in der Lage sind, das Profil zu schärfen in einer SPD, die genau an diesem Punkt, in der Frage Wirtschafts- und Sozialpolitik, eigentlich mit zwei Zungen spricht, genau an diesem Punkt uns zu positionieren. Insofern sind wir dort, glaube ich, ganz gut angetreten.

    Durak: Wenn das so gar nichts Neues ist, Herr Schlauch, was in diesem wirtschaftsfreundlichen Papier steht, dann hätte es ja erst gar nicht geschrieben werden müssen. Dann hätten Sie eigentlich nur den Koalitionsvertrag mehr ausgestalten können in der Praxis.

    Schlauch: Warum soll man Positionen, die man gehabt hat, die man entwickelt hat, nicht neu beleben, insbesondere dann, wenn wir nun in der Koalition zurecht einen Teil der Gerechtigkeitslücke, die die alte Koalition aufgerissen hat, geschlossen haben, indem wir die unteren und mittleren Einkommen entlastet haben, indem wir das Kindergeld erhöht haben. Wir haben sozusagen die Nachfrageseite gestärkt. Ich denke, es ist notwendig, wenn wir zu einem sinnvollen Mix der Politik kommen wollen - und das ist ja auch im Koalitionsvertrag festgehalten -, daß man jetzt die Angebotsseite ins Visier nimmt und eben auch positive Signale an die Wirtschaft ausstrahlt durch eine Unternehmenssteuerreform. Auch das ist überhaupt nichts Neues. Die haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgehalten. Wir wollen sie jetzt nur realisieren!

    Durak: Mehr Angebot, weniger Nachfrage?

    Schlauch: Nicht weniger Nachfrage. Wir haben die Nachfrage bedient. Wir haben die unteren und mittleren Einkommen entlastet. Wir haben den Steuerfreibetrag erhöht. Wir haben das Kindergeld erhöht. Das heißt nicht weniger, sondern mehr Nachfrage. Wir haben eine für meine Begriffe wirklich akzeptable Tarifrunde gehabt. Das heißt, wir haben die Nachfrageseite erheblich gestärkt. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, sich auch auf die Angebotsseite, auch auf die Frage Wettbewerb, auf die Frage Investitionssicherheit oder Anreize zu neuen Investitionen zu konzentrieren.

    Durak: Man kann es auch anders lesen: Jetzt wo Lafontaine weg ist, können wir auch zum Angebot kommen.

    Schlauch: Das ist ja der Irrtum an dieser ganzen Geschichte. Wir haben an diesem Papier schon gearbeitet, als Lafontaine noch Finanzminister war. Ich bin sicher, wenn er geblieben wäre, daß wir mit ihm zusammen diese Reform und auch diese Signale hätten senden müssen und auch gesendet hätten. Das hat nun mit dem Rücktritt nichts zu tun.

    Durak: Die Bündnis-Grünen halten sich selbstverständlich - wie kann es anders sein - für reformfähig. Das ist ganz klar. Ist die SPD reformfähig?

    Schlauch: Die SPD ist nun ein viel komplexeres Gebilde als die Grünen. Sie hat eine viel längere Geschichte hinter sich. Ich glaube, daß es in diesen Zeiten, in denen wir leben, wenn Sie jetzt auch an die Europa-Diskussion denken, die ja unmittelbar vor der Tür steht, "Agenda 2000", Osterweiterung und so weiter, gar kein politisches Überleben gibt, wenn man nicht als Partei reformfähig ist. Soweit noch Defizite sowohl bei uns wie bei der SPD vorhanden sind, müssen sie geschlossen werden. Nur eines stelle ich wirklich fest, wenn ich mich in der Parteienlandschaft umgucke: Wenn ich mir die Konservativen, die CDU angucke, dann ist im Vergleich zu Anfang und Mitte der 90er Jahre von einer weiteren Reformfähigkeit nicht viel zu sehen.

    Durak: Herr Schlauch, wenn ich richtig weiß, dann haben die Bündnis-Grünen das nächste Vorschlagsrecht für einen EU-Kommissar, eine EU-Kommissarin. Werden Sie dieses Vorschlagsrecht nutzen? Es werden in Brüssel gute Umweltpolitiker gesucht.

    Schlauch: Wir werden selbstverständlich dieses Vorschlagsrecht nutzen. In welche Richtung wir das nutzen werden, um welche Person es dort geht, das ist auch schon in der Diskussion. Das heißt, wir haben zwei Kandidatinnen: die Frau Künast und die Frau Vollmer. Die Diskussion wird es erweisen, auf wen sich die Nominierung zuspitzt.

    Durak: Aller guten Dinge sind drei. Wie steht es mit Herrn Trittin?

    Schlauch: Das glaube ich nicht, daß Herr Trittin als EU-Kommissar zur Verfügung steht.

    Durak: Das war Rezzo Schlauch, der bündnis/grüne Fraktionsvorsitzende. Vielen Dank für das Gespräch!