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"(R)evolution" am Thalia Theater
Futuristisches Gewitzel über die Digitalisierung

Selbstfahrende Autos, Smart Home, Designer-Babys: Künstliche Intelligenz wird zunehmend unser Leben bestimmen - eine Entwicklung, mit der sich die Regisseurin Yael Ronen am Hamburger Thalia Theater auseinandersetzt. Doch das Stück "(R)Evolution" bleibt zu oberflächlich.

Von Michael Laages |
Das Foto aus dem Theaterstück "Evolution" zeigt ein überdimensioniertes Auge vor dem zwei Menschen, mit dem Rücken zum Publikum, stehen
Als ein mäßig guter Witz und völlig harmlos kommt die "(R)Evolution" am Hamburger Thalia Theater daher (Krafft Angerer)
Mit geschrieben an Yael Ronens Stück-Text hat diesmal nicht wie üblich das ganze Ensemble, sondern der Schauspieler Dimitri Schaad - über viele Jahre eine der herausragenden Persönlichkeiten auf der Bühne des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. Schaad ist ein grandioser Entertainer und gibt der szenischen Zukunftsforschung zwischen Evolution und Revolution als Moderator die Stimmung vor.
Zum einen legt er Spuren aus zu all den technologischen Entwicklungen, die längst auf den Weg gebracht wurden und bekanntlich darauf angelegt sind, dass der Mensch sie für Erleichterungen im Alltag hält und sich in der Konsequenz ein bequemeres Leben erhofft. Schaad weist natürlich auch darauf hin, dass mit immer mehr Erleichterung und Bequemlichkeit immer seltener unser aller mehr oder weniger selbst bestimmte Entscheidung gefragt ist.
Theatersessel bald mit Sensoren?
Schließlich hebt Schaad gedanklich die Grenzen zwischen Gebrauch und Missbrauch auf – und zeigt das am Beispiel des Theaters: In den Sitz sind neuerdings Sensoren eingebaut, die unsere körperlichen Reaktionen registrieren, also was wir mögen und was nicht auf der Bühne. Und in die Kameras, die den Zuschauerraum beobachten, sind Programme zur Gesichtserkennung eingebaut: Lachen wir? Sind wir erschreckt? Schauen wir während der Vorstellung lieber aufs Smartphone? Oder schlafen wir schon?
Dieser pointenstarke Monolog zur Eröffnung bewirkt zweierlei: Er alarmiert, und er beruhigt zugleich. Denn wir wissen ja, dass es den Sensor unterm Hintern nicht gibt im Theater und Gesichtserkennung auch nicht. Was jetzt kommt, sagt uns damit der Satiriker Schaad, müssen wir fürs Erste also nicht sonderlich ernst nehmen. Und tatsächlich ist nicht viel mehr als szenischer Schnickschnack für den futuristischen Boulevard entstanden.
Kinder nach Wunsch
Drei Motiv-Stränge werden ausgelegt. Erstens will ein Paar will noch ein Kind, besser geplant als beim ersten Mal:
"Ja, das wird unser Erstes mit Erbgut-"
"-Optimierung, ja! Ganz wunderbar. Es freut mich wirklich sehr, dass Sie sich dazu entschieden haben, Ihrem zweiten einen besseren Start ins Leben zu ermöglichen mit uns. Das ist ganz wunderbar!"
"Wir haben uns nicht 'entschieden'."
"Bitte fang nicht damit an."
"Unser Gen-Pool verträgt sich offensichtlich nicht mit den Vorlieben unserer Versicherung."
"Sein Gen-Pool."
"Schauen wir doch einfach mal rein!"
Die beiden informieren sich in einem Institut, das Kinder nach Wunsch verspricht. Sie ist ganz wild auf’s Baby-Design, er eher konservativ, hat aber zuweilen auch noch Kontakt zur früheren Partnerin, die ihrerseits per Zufall in ein Gebiet gerät, das von "Naturalisten" besetzt ist - Leuten also, die der total durchtechnologisierten Zukunft das Leben entgegen setzen, wie es bislang war. Diese Gruppe verübt auch Anschläge auf technologische Kern-Bereiche. Das ist der zweite Teil der Story.
Zukunft als digitale Existenz
Der dritte nimmt den Berater im Design-Verein ins Visier. Der ist schwul und hat Probleme mit dem Partner, der sich seinerseits als "trans" outet – aber nicht etwa transsexuell.
"Ich will nicht mein Geschlecht ändern."
"Sondern?"
"Ich gehöre nicht in diesen Körper. Ich will ihn loswerden, vollständig. Ich will nicht mehr aus Fleisch sein – ich will digital werden."
"Wie?"
"In der Schweiz gibt es Kliniken, da kann man in ein paar Jahren hinfahren; die scannen dein Gehirn ein und laden es hoch, auf die Cloud."
Ziel also: Das "Leben", wenn wir das mal so nennen wollen, in der "Cloud" - digital als reiner Geist.
Diese drei Geschichten verbindet die vierte: Immerzu und in allen Spiel-Konstellationen spielen Computerin und Computer mit. "Alekto" analysiert die Beziehung, installiert das Update für den Staubsauger oder wird zum terroristischen "Big Brother" wie George Orwells "1984" entsprungen, wenn es um die Jagd auf "Naturalisten" geht. Überwiegend aber ist "Alekto" ulkig - der Computer, der uns abschaffen wird, als niedliches Spielzeug.
Zu viel Ulk, zu wenig Tiefgang
Und so unterkomplex, wie der Text und die Inszenierung sind, wird leider auch gespielt. Aufwändig ist nur Wolfgang Menardis schwebende Bühne mit ganz viel Projektion drauf. Wer allerdings Yuval Noah Harari ernstnehmen wollte, den umstrittenen Visionär der Wissenschaft, müsste mehr Recherche betreiben: speziell in sozialen Fragen, aber auch mit Blick auf die Zukunft gesellschaftlicher und politischer Repräsentation.
Angesichts dieser gedanklichen Herausforderung aber ist der Abend erstaunlich dumm. "Revolution" wie "Evolution" sind bei Yael Ronen und Dimitri Schaad ein mäßig guter Witz und völlig harmlos.