DLF: Aber Joschka Fischer lässt ja keinen Zweifel daran, dass er eine Strukturreform durchbringen will. Er hat jetzt davon gesprochen, er möchte einen Generalsekretär – einen solchen Posten – schaffen. Sie sind also doch im Grunde nur eine Parteisprecherin auf Abruf.
Radcke: Das sehe ich nicht so. Das sind möglicherweise Joschka Fischers Vorstellungen. Die decken sich nicht mit den Vorstellungen der gesamten Partei. So ist es zumindest meine Wahrnehmung. Es bleibt ihm unbenommen, für sein Modell auch zu werben. Ich würde sagen, das gelingt weniger über die Medien, als dann vielmehr parteiintern. Da müsste die Debatte dann auch wieder hin, da gehört sie hin. Und ich bin gewählt, genau wie meine Kollegin und der gesamte Bundesvorstand, bis Dezember 2000. Und bisher hat sich die Partei auch noch nicht anderweitig geäußert.
DLF: Haben Sie eigentlich einmal daran gedacht, die Brocken hinzuwerfen? Denn Joschka Fischer hatte Sie ja nicht eingeweiht in seine Pläne.
Radcke: Nein, also in diesem Amt muss man Nerven wie Drahtseile haben. Die habe ich mir im Laufe der Zeit auch wirklich erworben, und von daher habe ich nie daran gedacht, jetzt hinzuwerfen.
DLF: Und Sie wären auch nicht zurückgetreten, wenn Joschka Fischer den Mund gehalten hätte am vergangenen Wochenende oder in den Tagen zuvor?
Radcke: Nein, also weil die Verantwortung für die missratenen Wahlergebnisse der letzten Zeit, die ja schon seit der Niedersachsenwahl im Grunde begonnen haben, die Niederlagen, haben wir alle zu verantworten und nicht einzelne Personen. Wir haben Fehler gemacht, keine Frage. Wir haben den Koalitionsausschuss, den grünen, nicht genügend genutzt, unter anderem auch wegen der mangelnden Beteiligung von Kabinettsmitgliedern. Und das müssen wir jetzt ändern. Aber ich habe nicht die Verantwortung bei mir selbst gesehen, sondern bei uns allen. Und da müssen wir auch versuchen, dieses auch gemeinsam zu lösen.
DLF: Und das hat Ihre Kollegin Gunda Röstel ja offenbar anders gesehen. Sie soll ja bereit gewesen sein oder entschlossen gewesen sein, am vergangenen Montag zurückzutreten. Das war ja dann ein wenig bizarr: Erst hat Joschka Fischer den Rücktritt von Gunda Röstel provoziert, dann soll er sie überredet haben, doch zu bleiben. Hat er den eigenen Rückhalt in der Partei überschätzt?
Radcke: Also, die Situation von Gunda Röstel ist natürlich eine andere, da sie sich mit ihrer ganzen Person auch in den Wahlkampf in Sachsen geworfen hat. Das war ihr Wahlkampf, das war ein hervorragender Wahlkampf, und sie hatte selber die Spekulationen genährt, dass sie möglicherweise im Falle einer missglückten Wahl zurücktreten würde. Wir haben sie alle davon überzeugen können, dass auch das Ergebnis in Sachsen nicht einer Person und schon gar nicht ihr anzulasten ist. Ihr Erststimmenergebnis lag deutlich über dem Zweitstimmenergebnis. Also, sie als Person hat durchaus auch Menschen beeindruckt, aber es hat nicht für die Partei gereicht. Und das ist unser aller Problem und insbesondere auch ein Problem der Bündnis 90/Die Grünen im Osten.
DLF: Wenn sie möglicherweise zum Rücktritt bereit gewesen wäre, wenn sie Konsequenzen hätten ziehen wollen – sie hat es ja angedeutet, im Falle der Niederlage in Sachsen –, dann fragt man sich natürlich: Warum hat Joschka Fischer das vorher noch provoziert und das Ding im Grunde an die Wand gefahren?
Radcke: Also, er hat mir gegenüber versichert, dass das nicht seine Absicht gewesen sei, dass es auch nicht seine persönlichen Äußerungen gewesen sind, die diese Verbindung hergestellt haben zwischen seiner Strukturreform und dem Rücktritt der beiden Parteisprecherinnen. Darauf muss ich mich verlassen. Und dass die Diskussion so hochgekocht ist und dann noch eben vor dieser Landtagswahl, war natürlich mehr als unglücklich. Jetzt müssen wir versuchen, wie wir diese Diskussionen wieder einfangen. Ich fürchte nur, wenn ich mir die Äußerungen der letzten Tage in der Presse so zu Gemüte führe, die aus diversen Ecken kommen, dann wird es noch ein schweres Stück Arbeit werden, diese Diskussion dahin zu lenken, wo sie hingehört, nämlich in die Strukturkommission, in den Bundesvorstand und dann auf den Parteitag, der letztendlich über die Strukturreform zu entscheiden hat.
DLF: Bleiben wir noch ganz kurz bei Joschka Fischer. Er hat den 'Königinnenmord' versucht – das kann man so sagen. Wird ihm die Basis das verzeihen?
Radcke: Also, jeder Mensch in unserer Partei ist schlecht beraten, wenn er die eigene Basis völlig ignoriert. Ich glaube nicht, dass die Partei das nun nur gut gefunden hat, dass Joschka Fischers Vorschläge auf diese Art und Weise an die Öffentlichkeit gekommen sind, zumal wir alles dafür getan haben, dass diese Debatte um die Strukturreform – deren Notwendigkeit wir ja auch anerkennen – geordnet verläuft, nämlich in der Kommission und dann später im Bundesvorstand und auch im Länderrat. Ich fürchte, dass die Partei da doch recht ungehalten ist, dass sie mal wieder außen vor gelassen wurde. Eine Strukturreform kann nur dann Erfolg haben, wenn sie wirklich in der Partei auch breit diskutiert wurde, wenn wir alle, die auch in verantwortlichen Positionen sitzen, versuchen, die Partei auch von einer Strukturreform zu überzeugen. Das gelingt natürlich nicht, wenn wir das zuerst als 'Non-plus-Ultra' an die Öffentlichkeit verkünden und dann versuchen, die Partei mitzunehmen.
DLF: Frau Radcke, da stellt sich die Frage, ob es denn Joschka Fischer tatsächlich nur um Ihre Person geht, oder ob da nicht stellvertretend auch ein Kampf gegen die Linken in der Partei möglicherweise ausgefochten werden soll gegen Jürgen Trittin, von dem er sich möglicherweise mehr bedroht fühlt als von Ihnen.
Radcke: Ich kann nur davor warnen, solche Vorstöße dazu zu missbrauchen – muss ich sagen –, um Flügelstreitigkeiten wieder anzuheizen. Ich glaube, wir haben jetzt inzwischen ein breites Verständnis darüber hergestellt, dass dieser Flügelkampf aufhören muss. Wir brauchen die Flügel, das braucht jede Partei. Eine Partei wird unlebendig und bleibt starr, wenn sie nicht auch inhaltliche Diskussionen intern hat. Aber der Flügelkampf, der immer dazu führt, dass ein Flügel reflexartig auf den anderen reagiert, ohne sich genau zu überlegen, was eigentlich hinter den Vorschlägen des anderen Flügels steht, der muss aufhören. Er lähmt uns insgesamt und ich fürchte, dass diese Debatte, so wie sie angestoßen wurde – das ist meine Wahrnehmung –, doch die Flügelkämpfe wieder anheizen wird, weil sich jetzt wieder die einen mobilisieren und die anderen dagegen mobilisieren.
DLF: Das wollte ich gerade sagen. Der Flügelkampf ist doch wieder ausgebrochen.
Radcke: So sehe ich das auch. Ich habe allerdings mit sehr vielen Leuten darüber gesprochen, die jetzt auch versuchen – und zwar von beiden Flügeln –, dieses so zu steuern, dass wir das nicht als Flügelfrage verkommen lassen, sondern wirklich als Frage, die dem Interesse der Partei insgesamt dient.
DLF: Ist denn nun dieser Flügelkampf, der nun wieder ausbricht, nicht auch darauf zurückzuführen, dass Sie weiterhin an einer Doppelspitze festhalten wollen, wo es ja diese Flügel gibt, die ja da auch repräsentiert werden?
Radcke: Ich würde sagen, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wir müssen versuchen, eben diese Flügelkämpfe endlich zu beenden, damit die Doppelspitze funktioniert, gut funktioniert. Ich halte nach wie vor an der Doppelspitze fest, und nicht aus Flügelproporzgründen, was ja auch mal die Funktion dieser Doppelspitze war, sondern einzig und allein, weil es mir darauf ankommt, dem Prinzip der Grünen treu zu bleiben: Es muss immer zwingend eine Frau an der Parteispitze sein. Damit sind wir groß geworden, dafür werden wir auch gewählt, für unsere Form der Frauenpolitik. Und ich sehe schwarz, wenn wir nur eine Parteispitze haben, und dann, so wie die Männer ihre Machtpolitik teilweise zu machen pflegen, dann den Parteivorsitz in der Regel übernehmen werden. Ich will mich damit gar nicht kleiner machen als ich bin oder wie wir Frauen sind, aber auch bei den Grünen ist trotz der Frauenquote noch längst nicht das Stadium erreicht, wo die Frauen selbstverständlich dann auch in die entsprechenden Posten kommen. Deshalb halte ich daran fest, aber es setzt voraus, dass wir den Flügelkampf beenden, weil sonst die Doppelspitze tatsächlich auch immer ihr Scherflein dazu beiträgt, dass wir so ein uneinheitliches Bild in der Öffentlichkeit haben.
DLF: Nun sagt aber – was die Frauenquote anbelangt – Kristin Heyne zum Beispiel, ihre parlamentarische Geschäftsführerin in der Bundestagsfraktion, dass frauenpolitisch doch besser sein könnte, wenn eine Frau die Partei führt, dass sie dann eben die ganze Entscheidungskompetenz, die ganze Macht in der Hand hat.
Radcke: Dagegen habe ich ja gar nichts. Wenn wir eine Einzelspitze festschreiben würden, die selbstverständlich auf Frauen zuläuft, dann ist mit Sicherheit unser Prinzip auch gewahrt. Es heißt: Frauen immer auf Platz eins. Das haben wir ja bei allen Listenzusammenstellungen ja auch so. Wenn denn die Männer damit einverstanden wären, dann gerne. Ich fürchte nur, dass es da dann einen Aufstand der Männer geben wird, wenn quasi sie von der Parteispitze ausgeschlossen werden. Aber wenn es anders ist, lasse ich mich gern eines anderen belehren.
DLF: Man könnte ja auch eine Quotenregelung finden in dem Sinne, dass eine Frau der Partei vorsteht, ein Mann der Fraktion.
Radcke: Das wäre sicherlich möglich. Da muss man aber dann berücksichtigen, dass die Fraktion ja völlig anders zusammengesetzt ist, ein gewähltes Gremium, quasi vom Volk gewähltes Gremium. Und ob sich das dann immer durchhalten lässt, also wenn die Fraktion jetzt für sich eine Person als Fraktionsvorsitzenden bestimmt, dass das dann immer an die Quotenregelung zu binden ist, halte ich für schwierig. Ich würde es mir wünschen, wenn das funktionieren würde. Das wäre möglicherweise ein Weg, aber – wie gesagt – die Fraktion hat da eine andere Funktion, und das kann nicht gewährleistet sein.
DLF: Also Sie sind immer noch skeptisch, was die Aufhebung der Frauenquote und die Aufhebung der Doppelspitze anbetrifft. Wie sieht es aus mit der Trennung von Amt und Mandat? Da haben Sie ja am vergangenen Montag beschlossen, dass man da zu Veränderungen kommen will. Können Sie sich damit anfreunden, dass man diese Aufhebung wirklich durchsetzen wird?
Radcke: Also zunächst einmal wehre ich mich dagegen, eine Strukturreform auf den Weg zu bringen, die so gestrickt ist, dass man bestimmte Wunschpersonen dort unterbringt. Das darf es nicht sein. Wir dürfen keine Strukturreform beschließen, die dazu dient, irgendwelche Leute mit Posten zu versorgen. Den Anstrich hatte es ein bisschen mit den Vorschlägen, die bekannt geworden sind . . .
DLF: . . . Sie meinen jetzt zum Beispiel Renate Künast . . .
Radcke: . . . es ist egal jetzt, um welche Personen es geht, aber es hatte ja hinter diesen Reformvorschlägen, die Joschka Fischer vorschweben, ein ganzes Tableau an Menschen auch gestanden. Wir brauchen eine Strukturreform, die wirklich auch tauglich ist, um den Anforderungen der Grünen als Regierungspartei a) – gerecht zu werden und b) – aber auch unser Demokratieverständnis weiterhin auch zur Geltung kommen zu lassen. Also, die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat ist für mich nicht zwingend notwendig. Ich habe immer eine gewisse Skepsis davor, zu viel Macht auf einzelne Personen zu vereinen. Und jemand, der gleichzeitig beispielsweise in der Bundestagsfraktion ist und Parteisprecher ist – da bleibt ein Amt garantiert auf der Strecke. Und vor allen Dingen verhindert das auch den Nachwuchs. Wir sind immer in der Pflicht gewesen, auch Menschen durchaus zu überreden – ich gehöre ja auch dazu, ich habe mir vor einem Jahr noch gar nicht vorstellen können, dass ich Sprecherin der Bundespartei werde. Das hat immer dann aber den Vorteil, dass wir da dann gezwungen sind, auch nach guten Leuten zu suchen. Ich halte aber nicht völlig dogmatisch daran fest. Ich möchte nur verhindern, dass sich die ganze Macht in unserer Partei auf einige wenige Personen konzentriert. Und deshalb sollten wir darüber nachdenken, wie diese Trennung von Amt und Mandat vorsichtig aufgehoben werden könnte für Mitglieder des Bundesvorstandes. Und das ist das, worüber ich diskutieren würde, ohne mich festzulegen.
DLF: Ist das denn nicht dringend geboten? Muss man denn nicht sagen, dass gerade die Trennung von Amt und Mandat auch die Parteiarbeit, die Arbeit des Bundesvorstandes häufig gelähmt hat in dem Sinne, dass Sie zwar wissen, was die Parteifreunde an der Basis wollen, aber dass Sie häufig nicht wissen, was in der Regierung, was in der Fraktion vorbereitet wird?
Radcke: Das liegt aber auch daran, dass offensichtlich teilweise der Bundesvorstand oder auch die Parteisprecherinnen sich in die Rolle begeben haben und auch in diese Rolle gedrängt wurden, so etwas ähnliches wie Pressesprecherin der grünen Regierungsarbeit zu sein. Da haben wir selber einen Fehler gemacht, aber es war auch wenig Bereitschaft da, den Bundesvorstand und damit auch die Partei wirklich zu stärken – also auch seitens der Fraktion und auch teilweise von Kabinettsmitgliedern. Also entweder haben wir den Anspruch, dass die Partei auch ein starkes Gewicht spielt – dann kann man aber auch dafür etwas tun. Der Koalitionsausschuss ist genau das Gremium, wo diese drei Ebenen zusammenarbeiten und wo auch eine Aufgaben- und Rollenverteilung vorgenommen werden könnte. Das ist nicht geschehen. Ich hoffe, dass jetzt, wo Joschka Fischer angekündigt hat, regelmäßig am Koalitionsausschuss teilzunehmen, weil auch die Lage für unsere Partei wirklich dramatisch ist, dass sich das wirklich ändert.
DLF: Das heißt also, er hatte kein Interesse, die Partei und Sie persönlich auch zu informieren im Koalitionsausschuss?
Radcke: Also, er war immer durch Mitarbeitende dort vertreten, so dass schon Informationen hin- und herliefen. Das ist gar nicht so das Problem, dass wir nicht informiert werden, was da läuft. Das Problem war, dass wir nicht gemeinsam zu einer Linie gekommen sind, also dass man eine Strategie hätte absprechen können: Welchen Konflikt fahren wir jetzt, wie konfliktbereit sind wir? Vor allen Dingen aber, was bisher nicht richtig gelungen ist – und das sieht man an den Wahlergebnissen: Unsere Ziele zu vermitteln. Zu sehr haben Einzelpersonen im Hintergrund mit Kanzler Schröder und sonstigen aus der SPD verhandelt, ohne dass das eine gemeinsame Linie der Partei, der Fraktion und der Kabinettsmitglieder gewesen wäre. Und das müssen wir dringend ändern, damit wir uns insgesamt ein Profil erhalten, was dann auch erkennbar ist und die Leute motiviert, uns zu wählen.
DLF: Hat denn möglicherweise Joschka Fischer auch durch diese Strukturdebatte, die er ja nun angestoßen hat, versucht, damit auch von eigenen Mängeln, eigenen Fehlern abzulenken, denn – Sie haben es ja angedeutet – die Fehler, die zur Malaise der Grünen geführt haben, liegen doch zu einem großen Teil auch in dem schlechten Bild, dass sie abgeben in der Regierungsarbeit, in der Koalition?
Radcke: Was er im einzelnen jetzt beabsichtigt hat, darüber kann ich nur spekulieren. Deshalb lasse ich das lieber. Ich denke aber, dass bei allen Verwirrungen, die dadurch gestiftet wurden - und auch Zerwürfnissen teilweise -, doch eines Positives bei dieser Debatte herausgekommen ist: Es haben jetzt alle Beteiligten gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Und durch dieses reinigende Gewitter, was am vergangenen Wochenende stattgefunden hat - glaube ich - ist jetzt das Bewusstsein dafür einfach geschärft, dass, wenn wir so weitermachen, wir die nächsten Wahlen auch nicht überstehen werden mit einigermaßen Anstand. Und von daher hatte diese Debatte auch etwas Positives.
DLF: Warum verlaufen die Koalitionsrunden zwischen Grünen und Sozialdemokraten immer so harmonisch?
Radcke: Das habe ich mich auch manchmal gefragt. Und die ersten Male, als ich daran beteiligt war, war ich immer etwas erschüttert, dass das so harmonisch verläuft, weil ich das aus Hamburg beispielsweise ganz anders kannte. Das hängt damit zusammen, dass wir keine gemeinsame Strategie besprochen haben und dass viele Verhandlungen mit der SPD vorher schon auf ganz anderem Wege geführt wurden. Das heißt, wenn wir in die Koalitionsrunden gingen, war es in der Regel – von Ausnahmen abgesehen, es hat auch schon Themen gegeben, über die wir uns richtig gestritten haben – aber in der Regel waren die Sachen vorher schon in irgendwelchen Hinterzimmern ausgedealt und wir saßen dann nur noch mal da und haben das noch mal bekräftigt oder noch mal geguckt, ob es noch irgendwelche Feinheiten gibt, die wir übersehen haben. Und ich denke, auch das muss sich ändern. Die Koalitionsrunde mit der SPD muss auch dann tatsächlich eine Runde werden, in der wir uns durchaus auch streiten – ohne diesen Streit zelebrieren zu wollen. Aber ohne sich zu streiten, kann man auch nicht zu einem Kompromiss kommen, der dann auch tatsächlich tragfähig ist.
DLF: Da könnten Sie eigentlich lernen von der F.D.P., die in der Koalition mit den Christdemokraten immer wieder mal auf den Putz gehauen hat und wo es dann hieß: Der kleine Koalitionspartner hat sich durchgesetzt. Ist das jetzt in Ihrem Sinne, wenn Sie sagen: 'Wir wollen wieder mehr Profil zeigen in der Koalition?'
Radcke: Das Wichtigste ist, dass wir überhaupt erst mal deutlich machen, mit welchen Zielen wir in Verhandlungen gehen. Bei uns ist zu sehr die Angst verbreitet, dass, wenn wir uns ein Ziel setzen, wo die SPD möglicherweise nicht mitziehen mag, dass wir dann nachher als die großen Verlierer dastehen. Ich behaupte aber, dass die Kunst des Regierens ist – gerade als kleinerer Koalitionspartner –, das Ziel ganz klar zu benennen, auch in der Öffentlichkeit dafür zu werben, klarzumachen, wofür die Grünen stehen, und mit dieser Position auch in Verhandlungen gehen, ohne da gleich die Koalitionsfrage zu stellen - das kann man ja auch nicht überstrapazieren -sondern ganz klar dann um die Position zu ringen. Dann wird am Ende ein Kompromiss herauskommen, der entfernt ist von dem Ziel – keine Frage –, aber es muss uns dann gelingen zu vermitteln, dass das nicht eine Niederlage ist, sondern dass das ein notwendiger Prozess ist. Und es muss natürlich vermittelt werden können, dass dieser Kompromiss ein Schritt genau auf dem Weg zu diesem Ziel ist. Ich bin der Meinung, das können wir leisten. Wir müssen es nur wollen.
DLF: Können sie das denn auch noch vermitteln, wenn es beispielsweise beim Atomausstieg, dem urgrünen Thema, da nicht zu einem Erfolg kommen sollte?
Radcke: Also, wir arbeiten momentan auf Hochtouren daran, dass es einen Erfolg gibt. Das müssen wir auch zwingend. Erstens ist es eines unserer wichtigsten Themen – unter anderem. Aber der Atomausstieg ist das Thema, mit dem wir auch identifiziert werden, für das wir auch gewählt wurden, für das wir angetreten sind, für das es im übrigen auch eine Mehrheit in der Gesellschaft gibt . . .
DLF: . . . aber auch da – Entschuldigung – suchen Sie jetzt nicht unbedingt den Konflikt. Was Jürgen Trittin jetzt vorgeschlagen hat, das läuft doch hinaus auf einen Kompromiss – flexiblere Restlaufzeiten beispielsweise. Da hat man den Eindruck, der Atomausstieg wird doch wieder auf die lange Bank geschoben.
Radcke: Das sehe ich anders. Wir als Grüne haben durchaus ein Interesse, mit den Energieversorgungsunternehmen dieses im Konsens zu lösen, wenn es denn geht. Wichtig ist, dass der Konsens, der dabei rauskommt, auch tragfähig ist. Aber das muss erst einmal das Ziel sein. Ich halte eines solche Regelung – ohne dass ich sie jetzt schon im einzelnen auch mit unseren Leuten aus der Fraktion oder dem Kabinett durchgesprochen hätte – für denkbar. Sie schreibt ganz klar das Ende der Atomenergie fest, sie schreibt ganz klar in dieser Legislaturperiode den Anfang des Atomausstiegs fest . . .
DLF: . . . wie soll der aussehen, wie viel Reaktoren müssen abgeschaltet werden in dieser Legislaturperiode?
Radcke: Das wird sich zeigen. Wenn tatsächlich die Energieversorgungsunternehmen ein solches Modell akzeptieren könnten - eine Gesamtlaufzeit von 25 Jahren, die sie dann aber flexibel auf die einzelnen Atomkraftwerke verteilen können - dann wird es mit Sicherheit einige Atomkraftwerke geben, die in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden. Das sind Atomkraftwerke, die vom Sicherheitsstandard nicht die besten sind, wo man große Summen reinstecken müsste, um sie auch wieder wettbewerbsfähig zu machen.
DLF: Also es muss keine festgelegte Zahl im Raume stehen, dass gesagt wird: Wir schalten wirklich sechs Reaktoren in dieser Legislaturperiode ab?
Radcke: Also wenn man das ernst meint mit dem Konsensangebot an die Energieversorger, zu sagen: 'Ihr bekommt pro Atomkraftwerk 25 Jahre Gesamtlaufzeit, wie Ihr die aber auf die einzelnen Atomkraftwerke verteilt, ist dann Eure Sache', dann gehe ich davon aus, dass einige abgeschaltet werden. Aber um das Vertrauen dann auch wirklich zu rechtfertigen, das uns natürlich auch die Energieversorger entgegenbringen müssen, muss man ihnen die Verteilung dieser 25 Jahre dann auch überlassen.
DLF: Kommen wir noch auf ein anderes Feld zu sprechen: Die Rentenpolitik. Auch da haben Sie versucht, Flagge zu zeigen. Die Grünen sagen schon seit Jahren: Wir müssen einen demographischen Faktor einbauen in die Rentenstrukturreform. Aber dann haben Sie schnell wieder einen Rückzieher gemacht, als es nämlich darum ging, ob nach den zwei Jahren Abkopplung der Rentenanpassung von den Nettolöhnen – ob man dann wieder zum alten System hin zurückgeht.
Radcke: Wir haben ganz klar gesagt, dass wir als ersten Schritt das Konzept von Herrn Riester unterstützen, dass wir uns aber nicht daran beteiligen an Versprechungen, die lauten: 'Nach zwei Jahren wird alles wieder so, wie es früher war'. Das kann es nicht sein. Wir wissen genau, dass die Bevölkerungsentwicklung eine solche Prognose überhaupt nicht mehr zulässt. Wir müssen ein Rentensystem entwickeln, was der Bevölkerungsentwicklung Rechnung trägt. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht immer weniger junge Leute für immer mehr Menschen im Rentenalter aufkommen müssen. Da fordern wir einfach die Solidarität zwischen den Generationen. Und das heißt für uns, dass wir uns ein Modell vorstellen könnten, was zwar die Rückkehr zur Anpassung an die Nettolöhne durchaus beinhaltet, aber bereinigt durch das, was jetzt durch das Familienlastenurteil an zusätzlichen Vergünstigungen für Familien mit Kindern quasi mit auf die Nettolöhne draufkommt, dass das rausgerechnet wird, weil Rentner und Rentnerinnen ja nun im Rentenalter keine Kinder mehr zu betreuen haben. Und dafür waren die Leistungen gedacht – so dass man dann also die Nettolöhne quasi nach unten korrigiert. Und das wäre eine Basis. Wichtig ist für uns aber auch beim Rentensystem, dass wir eine Absicherung für Frauen haben im Alter, die in der Regel sehr viel weniger an Jahren gearbeitet haben – auch wegen Kindererziehung, und dass wir die Grundsicherung eingeführt haben. Das ist ein großer grüner Erfolg, dass niemand im Rentenalter mehr zum Sozialamt gehen muss.
DLF: Frau Radcke, wie soll es nun weitergehen bei den Grünen? Wann wird die große Strukturreform kommen?
Radcke: Also, die Strukturkommission wird aller Voraussicht nach jetzt in der nächsten Woche ihre Vorschläge auf den Tisch legen, auf den Tisch des Bundesvorstandes. Der Bundesvorstand wird darüber beraten. Wir werden dann eine erste Beratung dieser Vorschläge dann auf dem Länderrat im Oktober haben. Dann geht das in die Parteigliederungen, damit dort in den Kreisverbänden auch Zeit ist, darüber zu debattieren, dass wir auch die Möglichkeit haben, in die Kreisverbände zu fahren, um mit den Basismitgliedern darüber zu diskutieren, um auch noch einmal die Notwendigkeit deutlich zu machen. Und dann ist der planmäßige Parteitag, auf dem die Strukturreform verabschiedet werden soll, im März . . .
DLF: . . . und der wird nicht vorgezogen?
Radcke: Wir haben uns da noch nicht ganz entschieden. Wir haben gesagt, wir fragen jetzt alle Landesverbände, welche Einschätzung sie dazu haben. Es gibt sehr viele Argumente dafür, aber auch sehr viele dagegen. Die Tendenz ist eher, es beim März zu belassen, aber das kann ich noch nicht abschließend sagen.
DLF: Werden die Grünen – wie die SPD – einen Generalsekretär bekommen?
Radcke: Dieser Vorschlag, der ja von Joschka Fischer gemacht wurde, hat bisher meines Wissens keinen Eingang gefunden in die Überlegungen der Strukturkommission, die zu dem Zeitpunkt, als Joschka Fischer seine Vorschläge an die Öffentlichkeit gebracht hat, auch schon viel weiter waren – was den Bundesvorstand betrifft. Auch der Parteirat hat dieses Modell des Generalsekretärs nicht aufgenommen. Von daher weiß ich nicht, welchen Weg dieser Vorschlag gehen wird. Ich bin sicher, dass Joschka Fischer ihn auch weiterhin einbringen wird - von der Stimmungslage würde ich sagen: Nicht unbedingt.
DLF: Wäre es denn richtig, einen ostdeutschen Parlamentarier da einzubinden? Werner Schulz ist im Gespräch?
Radcke: Dass wir ein Problem im Osten haben, mit unserer Partei uns dort zu verankern, ist eine ganz klare Erkenntnis, eine bittere. Das heißt auch, dass wir umgekehrt Menschen aus dem Osten auch stärker mit einbinden müssen, wie – umgekehrt – Menschen aus dem Westen präsenter sein müssen im Osten. Und von daher bin ich immer dafür, dass auch in einem Gremium des Bundesvorstandes Menschen aus dem Osten sind. Wir haben mit Gunda Röstel aber eine hervorragende Repräsentantin aus Ostdeutschland.
DLF: Und da könnte auch ein Präsidium, das ja geschaffen werden soll, helfen?
Radcke: Ja. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Parteirat im Vergleich zum Bundesvorstand viel zu groß ist. Da musste ich mich selber eines besseren belehren lassen. Ich habe für dieses Parteiratsmodell ursprünglich gekämpft. Der Bundesvorstand mit fünf Leuten ist in vielen Bereichen überfordert, alle Themenbereiche abzudecken. Der Parteirat ist zu unflexibel, als dass er das irgendwie ausgleichen könnte. Ein Präsidium – deutlich verkleinert – könnte genau so ein flexibles handlungsfähiges Gremium sein, das auch mal ad hoc zusammentreten kann, wenn es wichtige Entscheidungen zu treffen gilt, und damit die Partei stärken. Darauf kommt es mir an.
DLF: Abschließend noch ein Wort zu Ihrer Person. Fühlen Sie sich gestärkt nach dieser Auseinandersetzung mit Joschka Fischer?
Radcke: Ja, ich habe sehr viele Solidaritätsbekundungen erhalten und ich glaube, für mich persönlich war das auch durchaus mal nötig, mich mit Joschka Fischer zu streiten.
DLF: Wo sehen Sie Ihre Zukunft in der Partei?
Radcke: Ich bin bisher Sprecherin und das macht mir sehr viel Spaß. Und das möchte ich auch noch eine Weile bleiben.