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Gehhilfe für viele – der Rollator

Der Rollator ermöglicht Mobilität. Senioren und alle, die beim Gehen körperlich beeinträchtigt sind, können mit seiner Hilfe mehr am Leben teilhaben. Die Krankenkassen zahlen einen Anteil bei der Anschaffung, doch der Umgang damit will gelernt sein.

Von Andrea Westhoff | 25.02.2014
    Er ist eine schwedische Erfindung aus dem Jahr 1978 und eine weibliche dazu: Aina Wifalk, die aufgrund von Kinderlähmung gehbehindert war, wollte zunächst einfach sich selbst das Leben ein bisschen erleichtern und baute sich eine "Krücke mit Rädern". Dann aber produzierte eine Firma den "Rollator" in Serie. Eine wirklich tolle Idee, findet die Fachberaterin im Sanitätsgeschäft: "Die Leute früher sind zuhause geblieben, kamen nicht mehr aus ihren eigenen vier Wänden heraus, weil sie eben keine Hilfe hatten für unterwegs. Und heute ist es so, mit einem Rollator kann man eben auch selber unterwegs sein, auch wenn man nicht mehr gut laufen kann. Man kann sich ja auch draufsetzen zwischendurch und ausruhen, und man ist auf fremde Hilfe nicht angewiesen."
    "Gehwagen" heißt er im Amtsdeutsch oder "fahrbare Gehhilfe", der Volksmund nennt ihn eher „Rentner-Porsche". Dabei ist der Rollator keineswegs nur für ältere Menschen, sagt Dr. Annett Reißhauer, Leiterin der Abteilung für Physikalische und Rehabilitative Medizin der Berliner Charité: "Rollatoren kommen zum Einsatz, wenn Patienten eine Unterstützung zum Gehen benötigen. Das kann mangelnde Muskelkraft sein, kann aber auch eine Schmerzsituation sein, es geht hier darum, dass man die Funktion unterstützt. Und die Funktion kann bei der chronischen Lungenerkrankung gestört sein, letztlich aber auch bei einer Stenose des Wirbelkanals im Rahmen von Abnutzungserscheinungen in der Wirbelsäule, nach einer Knieendoprothese, nach einer Hüftendoprothese, nach anderen Wirbelsäulenoperationen, aber letztlich auch Erkrankungen, die sich im Zentralnervensystem abspielen und in der Peripherie eine Kraftminderung mit sich bringen."
    So wie auch bei Schlaganfall-, Multiple-Sklerose-, oder Parkinson-Patienten. Auf jeden Fall müssen die Betroffenen aber noch selbst laufen können – und sie brauchen auch eine gewisse Kraft in den Armen, worauf Dr. Reißhauer hinweist: "Ein Rollator hat auch ein bestimmtes Gewicht und muss auch mal transportiert werden: in die Wohnung über zwei drei Treppenstufen, gegebenenfalls auch in ein Auto gelegt werden können, also insofern ist es auch notwendig, den Rollator auch anheben zu können."
    Sonderausstattung kostet extra
    Bei entsprechender Indikation ist er ein anerkanntes medizinisches Hilfsmittel, das ärztlich verordnet werden kann. Allerdings gibt es sehr unterschiedlich ausgestattete Rollator-Modelle. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen zwischen 70 und 100 Euro dazu, für Extras muss man selbst aufkommen. Da gibt es Einkauftaschen oder -körbe in allen Varianten, Halterungen für den Gehstock oder Trinkbecher, lederne Sitze, auch mit Rückenlehne, oder einen festmontierten Schirm, denn man muss sich ja auch im Regen mit beiden Händen festhalten. Bis zu 1000 Euro kann eine fahrbare Gehhilfe heute kosten. Aber was ist unbedingt nötig? Dr. Annett Reißhauer: "Unerlässlich ist, dass der Rollator anzubremsen geht, dass man auch eine gewisse Stabilität hat, wenn man ihn nimmt zum Aufstützen, unerlässlich ist auch der Sitz, so dass der Rollator auch für eine Pause eingesetzt werden kann. Und da beginnen häufig schon die Probleme, dass die Standardrollatoren mit einer Sitzbreite in der Regel von 45 cm ausgestattet sind, bei etwas adipöseren Patienten – und das ist ja nicht selten so – diese Sitzfläche aber schon zu klein ist, und dann eine Sonderausstattung notwendig wird, und bei der Krankenkasse zu beantragen ist."
    Wenn man sich Extras leisten kann und will, sollte man zuerst auf das Gewicht achten, rät die Fachverkäuferin: "Das Grundmodell ist aus Metall, lässt sich zwar zusammenklappen, bleibt aber nicht in dieser Position, wenn Sie es loslassen. Und das hier ist ein Leichtrollator, den können Sie sich nur privat kaufen." Je leichter, je besser, aber eben auch teurer, ebenso wie mehr Sicherheit und eine bequemere Handhabung: "Sie haben z.B. Katzenaugen, dass Sie im Dunkeln gut gesehen werden, Sie haben eine Tritthilfe rechts und links, das heißt wenn Sie Hindernisse haben, die Sie überwinden müssen, dass Sie das leicht überwinden können, indem Sie hinten auf diese Tritthilfe drauf treten und der Rollator sich leicht vorne hebt."
    Fachgerechte Einweisung sinnvoll
    Doch auch wenn man den geeigneten, gut ausgestatteten Rollator gefunden hat, ist eine gründliche Einweisung, besser noch ein kleines Training sinnvoll, meint Dr. Reißhauer, denn oft landen die teuren Hilfsmittel ungenutzt im Keller, weil viele Patienten damit im Alltag doch nicht zurecht kommen: "Deshalb ist in der Regel die Idealsituation, dass der Patient, solange er sich in einer Klinik oder in einer Tagesklinik befindet, auch ein Rollatorentraining durchgeführt wird, damit der Patient mit der notwendigen Sicherheit auch ausgestattet ist, das Hilfsmittel auch sinnvoll einzusetzen."
    Ein offensichtliches und gravierendes Problem ist die Haltung beim Rollator-Fahren. Die meisten Menschen schieben ihn mit gebeugten Rücken zu weit vor sich her – oft eine falsche Gewohnheit, oder die Griffe sind falsch eingestellt. "Ja, das sehe ich selbst auch ganz oft beim Einkaufen, und da möchte man eigentlich immer gleich anhalten und sagen „Wir stellen das mal um", also der Rollator sollte schon so eingestellt sein, dass man eine aufrechte Körperposition einnehmen kann, nun gibt es aber Patienten, die vielleicht durch osteoporotische Frakturen eine Veränderung der Wirbelsäule schon erfahren haben, so dass dann die vollständige Aufrichtung auch mit dem Rollator nicht mehr gelingt, aber in der Regel sollte doch das aufrechte Gehen möglich sein."
    Auch das Spurhalten, zum Beispiel auf Kopfsteinpflaster, oder das gleichmäßige Bremsen kann und muss man trainieren. Inzwischen bieten vielerorts Kliniken und physiotherapeutische Praxen eine Art "Rollator-Gymnastik" an mit Gleichgewichts- und Kräftigungsübungen sowie ein paar "Tricks" für das leichtere Überwinden von Bordsteinen und Schwellen. In einigen Großstädten gibt es auch schon spezielle Schulungen durch die Polizei zum Umgang mit der fahrbaren Gehhilfe im Straßenverkehr. Alte Menschen mit Rollator sind nämlich ähnlich gefährdet wie Fahrradfahrer: schutzlos – ohne „Knautschzone" – dafür aber recht schnell unterwegs, was Autofahrer oft falsch einschätzen.
    Körperliche Mobilität mobilisiert auch die Lebensgeister
    Sie werden eine immer größere Gruppe im öffentlichen Raum – und das ist gut so: Denn Mobilität entspricht nicht nur dem Zeitgeist, sondern ist auch aus medizinischer Sicht wichtig, sagt Dr. Annett Reißhauer, die Leiterin für Physikalische und Rehabilitative Medizin an der Charité: "Regelmäßige Bewegung oder mobil zu sein, das spielt natürlich eine Rolle, nicht nur für das Herz-Kreislauf-System, für die Muskulatur, für die Knochenfestigkeit, eben auch für die Psyche. Es gibt eine Reihe von Studien, jetzt völlig unabhängig von Rollatoren, dass einfach ein Lauftraining auch eine antidepressive Wirkung haben kann. Und ein weiterer Aspekt ist natürlich, dass durch Mobilität das soziale Umfeld wieder ein größeres ist."
    Da ist es schon bedauerlich, dass derzeit nur etwa 30 Prozent der Rollatorbenutzer Männer sind. Offenbar fällt es ihnen noch schwerer, Hilfsbedürftigkeit nach außen zu zeigen, und viele bleiben dann lieber zuhause – vor dem Fernseher. Aber vielleicht sehen sie dann den Schauspieler Larry Hagman, wie er als alter J. R. Ewing in der letzten Dallas-Staffel mit einem rot lackierten Rollator durch die Szenerie düst!