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Milz

Die meisten Menschen kennen weder Lage noch Funktion der Milz. Dabei stellt sie ein zentrales Organ für unser Immunsystem dar. Das Gewebe des elf Zentimeter großen Organs, das unterhalb des Zwerchfells im linken Oberbauch liegt, wirkt wie ein Filter für Blut und Krankheitserreger.

Von Andrea Westhoff | 16.05.2017
    Anatomischer Schnitt einer Milz.
    Etwa 500 mal täglich wird unser gesamtes Blut über eine dicke Schlagader durch die Milz hindurch gepumpt. (imago stock&people)
    Boxkampf:"Klasse Körpertreffer – wenn man nicht ordentlich anspannt, dann tut's halt richtig weh – zehn, aus! Ende!"
    Boxer wissen, wo die Milz liegt, und dass es einem Kraft und Atem raubt, wenn man an dieser empfindlichen Stelle im linken Oberbauch getroffen wird. Die meisten Menschen aber kennen weder Lage noch Funktion dieses bohnenförmigen, etwa elf Zentimeter langen Organs. Dabei ist es keineswegs unbedeutend, sagt Professor Bertram Wiedenmann, Leber- und Milzspezialist an der Klinik für Innere Medizin der Berliner Charité:
    "Es ist ein zentrales Organ unseres Immunsystems, und darüber hinaus hat es auch eine wesentliche Rolle für den Abbau unserer roten Blutkörperchen."
    Etwa 500 mal täglich wird unser gesamtes Blut über eine dicke Schlagader durch die Milz hindurch gepumpt. In dem schwammartigen Gewebe bleiben die überalterten Zellen wie in einem Filter hängen.
    "Andersrum ist es aber so, dass dieses Organ sicherlich für die Bildung von weißen Blutkörperchen einer Subgruppe, den so genannten Lymphozyten, eine entscheidende Rolle spielt, dass auch weitere andere weiße Blutzellen-Untergruppen, dabei in dem Organ untergebracht sind, dann eben in unserem Immunsystem entscheidende Aufgaben mit zu übernehmen haben."
    Verletzung des Organs kann lebensbedrohlich sein
    Einige Abwehrzellen warten immer schon in der Milz, und zusätzliche werden gebildet, wenn sich in dem durchgeleiteten Blut besonders viele Krankheitserreger befinden. Bei einer schweren Infektionskrankheit wie Drüsenfieber, Tuberkulose oder Malaria kann die Milz – eine Zeit lang – dann auch vergrößert sein, ein Zeichen, dass sie besonders viel arbeitet. Eine starke und langfristige Milzschwellung allerdings – die "Splenomegalie" – ist ein Begleitsymptom einiger schwerwiegender Erkrankungen:
    "Es gibt kompensatorische Vergrößerungen der Milz, wie wir dazu sagen, vor allem auch bei Patienten, die zum Beispiel eine Lebererkrankung haben, im Rahmen der Zirrhose ist ja der Leberfilter verstopft, und dabei versucht dann das Blut in einem Umgehungskreislauf den Weg über die Milz zu finden, was dann eben auch mit dazu führt, dass die Milz sich vergrößert. Und man weiß auch, wenn Patienten zum Beispiel eine Bluterkrankung haben, also vor allem eine Erkrankung der roten Blutkörperchen, dass dann die Milz sich vergrößern muss, weil sie einfach mehr Abräumleistung zu erbringen hat als eine normale Milz, und dann kann diese Milz sehr, sehr groß werden."
    Lebensbedrohlich wird es, wenn das Organ selbst verletzt wird, etwa durch einen Schlag, aber auch bei einem Unfall, wenn man auf den Fahrradlenker knallt oder von der Leiter fällt. Dann kann es zu einem kleinen Einriss mit gefährlichen Sickerblutungen kommen oder sogar zu einer kompletten Milzruptur:
    "Das ist ein Organ, was innerlich ganz weich ist wie Pudding, aber von einer bindegewebigen strammen und sehr elastischen Kapsel umgeben ist. Und man kann sich vorstellen, wenn man Pudding in einem Luftballon hat, dass natürlich vor allem bei schnellen Aufschlägen, es dazu kommt, dass dann diese Prellung zu einem Zerreißen der Membran, der Kapsel, der Milz führt, und dann natürlich sich sehr schnell das Blut im ganzen Bauchraum verbreitet, und da ist natürlich der Chirurg gezwungen, in kürzester Zeit diesen strömenden Wasserhahn abzustellen."
    Das heißt: Die Milz muss entfernt werden. Und das ist glücklicherweise möglich, sagt Professor Wiedenmann, weil andere Organe ihre Aufgaben übernehmen können.
    "Also von daher ist es ein Organ, was jetzt nicht funktionslos bei uns in der linken Hälfte unseres Oberbauches einfach liegt, aber es ist ein Organ, was jetzt nicht so essenziell ist wie unser Herz."
    "Organ der Mitte" in der TCM
    Anders sieht man das in der traditionellen chinesischen Medizin, die sich auch in Deutschland immer größerer Beliebtheit erfreut. Die Milz gilt hier als "Organ der Mitte" und spielt deshalb eine besonders große Rolle für die Gesundheit. Allerdings ist das Körperkonzept der TCM ein völlig anderes, erklärt Dr. Lutz Liese vom Zentrum für Naturheilkunde des Immanuel-Krankenhauses in Berlin:
    "Die Milz oder überhaupt die Organe der chinesischen Medizin haben rein gar nichts erst mal mit den schulmedizinischen Organen zu tun, das sind nur Benennungen. Es ist einfach eine Zusammenfassung von funktionellen Aspekten. Wie wir das auch im alltäglichen Leben kennen: also zum Beispiel Schlaf ist nicht ein Organ, Verdauung ist auch nicht ein Organ, das ist eine Funktion des ganzen Organismus, die man aber durchaus abgrenzen kann. Und die Milz ist ein funktionelles System, das im Gespann mit dem Magen die Mitte bildet nach chinesischer Sicht, die sehr viele regulierende Funktionen hat, die dafür da ist: Chi und auch das Blut zu bilden, und eine ganz zentrale Funktion hat in der Nahrungsaufnahme, in der Verarbeitung von Reizen und vieles andere mehr."
    Das Milz-System spielt eine zentrale Rolle für den Stoffwechsel und den Energiehaushalt:
    "Chinesisch gesprochen bezieht sich das nicht nur auf die Nahrungsaufnahme und Umwandlung, sondern auch auf die Umwandlung aller möglichen anderen äußeren Faktoren, die auf uns einwirken. Also beispielsweise Stressfaktoren oder gedankliche Sachen, also man stellt sich vor, dass einerseits bei einer Schwäche der Milzfunktion man dazu neigt, dass man sehr viel ins Grübeln kommt, und andererseits, dass übermäßiges Nachdenken, Grübeln, Gedankenkreisen, was ja auch vielleicht durch äußere Faktoren verursacht sein kann, dass das eben eine Schwäche der Milz nach sich ziehen kann."
    Ein Leben ohne Milz ist möglich
    Und – anders als in der modernen Medizin – glaubt man in der chinesischen Medizin, dass sich die Milz durch Ernährung und Entspannungstechniken beeinflussen und stärken lässt – weil sie eben als funktionelles System und nicht als einzelnes Organ gesehen wird. Das bedeutet übrigens auch, dass die TCM kein Problem darin sieht, wenn das Organ Milz zum Beispiel nach einer Verletzung entfernt werden muss, versichert Dr. Lutz Liese:
    "Selbstverständlich nein – also da hat absolut die konventionelle Medizin Vorrang, das sind ja auch meistens Fälle, wo wirklich dann eben große Gefahren drohen könnten und wo man die Milz entnimmt, und das hat – nach chinesischer Sicht – keine mir bekannten großen Nachteile."
    Und das wiederum gilt auch in der naturwissenschaftlich-medizinischen Sicht auf die Milz. Denn unser Körper fährt hier mehrgleisig: Die Blutzellenproduktion und die Filterfunktion können vom Knochenmark beziehungsweise der Leber übernommen werden, die Lymphknoten helfen bei der Abwehr von Krankheitserregern mit; und gegen eine erhöhte Infektanfälligkeit nach der Milzentfernung kann man sich zusätzlich durch Impfungen schützen. Noch einmal Professor Bertram Wiedenmann von der Charité:
    "Fakt ist natürlich heutzutage, dass man ohne Milz auch leben kann, und Patienten haben auch nach der Entfernung des Organs die gleiche Lebenserwartung wie derjenige, der mit seiner Milz fröhlich weiterlebt."