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Zunge

Sie ist ein Multitalent des menschlichen Körpers und ein extrem bewegliches Muskelpaket: die Zunge. Eigentlich ist sie ständig im Einsatz, beim Essen, Schlucken oder Schmecken und wenn sie sich verändert, sollte das abgeklärt werden.

Von Mirko Smiljanic | 29.11.2016
    Eine schreiende junge Frau
    Die Zotten oder Papillen der Zungenoberfläche haben zwei Aufgaben. (picture alliance / CTK)
    Welcher Arzt sieht die Zunge als erstes? Der Hals-Nasen-Ohrenarzt? Der Hautarzt? Falsch!
    "Die Patientin ist heute da, weil sie Beschwerden hat, die letzte Routineuntersuchung ist auch schon eine Weile her, das heißt, wir werden auch mal gucken, ob neben den Beschwerden etwas zu sehen ist, ob alles in Ordnung ist", erklärt der Kölner Zahnarzt Dr. Oliver Kämmerer und bittet seine Patientin in den Behandlungsstuhl.
    "Ja, kälteempfindliche Zähne, sehr unangenehm."
    Dr. Kämmerers Assistentin hat alles für die Untersuchung vorbereitet, alle notwendigen Instrumente liegen bereit, sie schaltet die Lampe ein. Helles Licht strahlt mitten in den Mund der Patientin. Und was sieht der Zahnarzt dort?
    "Die Zunge ist das erste, auf die der Blick fällt, wenn wir die Untersuchung machen. Die Zunge ist das zentrale Organ in der Mundhöhle, ist ein Muskel, der verschiedenste Aufgaben erfüllt. Er ist zuständig für das Sprechen, er ist zuständig für den Schluckakt, die Geschmacksempfindungen laufen über die Zunge, im Laufe des Wachstums ist er auch mitverantwortlich dafür, dass die Zahnbögen mit ausgeformt werden, das erfolgt auch über den muskulären Druck, eine Reihe von Dingen sind Aufgabe der Zunge in der Mundhöhle, das ist ein recht komplexes Organ."
    Kräftig und voller Nerven
    Die Zunge ist ein extrem bewegliches Muskelpaket, das sich aus zehn einzelnen Muskeln zusammensetzt. Sie ist kräftig, gut durchblutet und mit vielen Nerven versehen. Auf dem länglichen Muskel befindet sich eine straffe Bindegewebsplatte, darüber bildet eine besondere Schleimhaut die Oberfläche der Zunge. Und die fällt beim Blick in den Mund sofort auf.
    "Das ist in der Tat so. Die Zunge hat viele kleine Zotten oder Papillen, die je nach Person unterschiedlich stark ausgeprägt sein können, zum Teil hat man fast den Eindruck, dass da so kleine Haare oder ein Bart wachsen kann, das variiert sehr stark."
    Die Zotten oder Papillen der Zungenoberfläche haben zwei Aufgaben. Zunächst einmal dienen sie als Tastsinn. Kleine Wunden an der Wangenschleimhaut, winzige Schäden an den Zähnen – die Zunge kann im Mundraum jeden beliebigen Punkt ertasten. Und sie analysiert während des Kauens unentwegt, ob sich in der Nahrung Fremdkörper befinden.
    "Dazu muss die Speise im Mund bewegt werden, dazu brauchen wir eine bewegliche Zunge, die den Speisebrei immer zwischen die Zähne drückt und die sie zum Schluss mit Speichel vermengt wie ein Kolben sozusagen hinten in den Rachen runterdrückt in die Speiseröhre."
    Professor Karl-Bernd Hüttenbrink, Direktor der Hals-Nasen-Ohren-Klinik am Universitätsklinikum Köln. Die zweite Aufgabe der Papillen auf der Zungenoberfläche betrifft das Schmecken. Die Geschmackspapillen sind über die Geschmacksknospen mit den Geschmacksnerven verbunden.
    "Die Zunge hat nicht alleine die Geschmackspapillen, Geschmacksrezeptoren, auf der Zunge sind sie aber gehäuft, das sind die vier oder fünf wie man heute weiß, süß, sauer, salzig, bitter und aus dem Japanischen kommend Kumami, das ist so eine Fleischwürze, wie man sie von Maggi kennt."
    Mittlerweile hat sich Dr. Oliver Kämmerer von der Zungenoberfläche zum Zungenboden heruntergearbeitet. Bei der Zungenunterseite fällt auf, dass es dort keine Papillen gibt.
    "Die Oberfläche ist ähnlich wie auf dem Mundboden glänzend, man sieht die Blutgefäße durchscheinen, denn die Unterseite und der Mundboden sind stark durchblutet, und das ist auch ein interessanter Bereich, den es abzuklären gilt, auch durchaus bei den Routineuntersuchungen."
    Zungenfarbe - von weißlich bis schwarz
    Schwieriger ist die Beurteilung der Zungenfarbe. Ein dünner weißlicher Belag ist ein gutes Zeichen. Er signalisiert, dass der Magen die Nahrung ordnungsgemäß verdaut. Himbeer- oder erdbeerfarbene Zungen deuten auf Infektionskranken hin; und schwarzer Zungenbelag entsteht als Folge einer Antibiotikatherapie.
    "Man muss dann abklären, ob vielleicht im Moment Erkrankungen vorliegen, ob bestimmte Medikamente eingenommen werden, es könnte sich beispielsweise auch um einen Pilzbefall handeln, es gibt bestimmte Erscheinungen in der Mundhöhle, die sehen im ersten Moment vielleicht dramatisch aus, haben aber keinen Krankheitswert."
    Zu den häufigsten Krankheitssymptomen der Zunge zählt ein schmerzhaftes Brennen, so Professor Karl-Bernd Hüttenbrink vom Universitätsklinikum Köln.
    "Man muss bei den internistischen Ursachen nachgucken, ob dort eine Eisenmangelanämie oder ein Vitamin-B12-Mangel oder eine andere Vitaminstörung vorliegt, dann kann es auch zu Oberflächenveränderungen kommen, die dadurch, dass dann die Schleimhaut nicht mehr so widerstandsfähig ist, dazu führt, dass Substanzen von außen einen brennenden Eindruck hinterlassen."
    In den meisten Fällen sind die Ursachen zwar harmlos, auf die leichte Schulter sollte Zungenveränderungen aber trotzdem niemand nehmen. Es könnten auch Tumore sein.
    "Das ist schon eine Erkrankung des höheren Lebensalters, häufig auch verknüpft mit Alkoholkonsum, mit Nikotin, aber das lässt ja in der Bevölkerung deutlich nach, wie wir gehört haben."
    Einer der bekanntesten Zungenkrebspatienten war Sigmund Freud, der Zeit seines Lebens Zigarren rauchte. Natürlich hat er sich dem damaligen Stand entsprechend operieren lassen, allerdings mit wenig Erfolg. Und auch heute gibt es bei Zungenoperationen durchaus Grenzen.
    "Wir können jetzt nicht die gesamte Zunge herausschneiden, das darf man nicht machen, weil der Patient dann praktisch nicht mehr essen und trinken und sprechen kann. Aber wir können dann heutzutage sehr gut mit Chemotherapie und Bestrahlung in einer großen Zahl der Fälle den Tumor zurückdrängen, dass er entweder komplett geheilt wird oder doch zumindest so lange in Schach gehalten wird, dass er an der Zunge selber keine bösen Sachen mehr macht."
    Gegen Ende der Inspektion schaut sich Dr. Oliver Kämmerer noch die Zungenränder seiner Patientin an:
    "Da kann es sein, dass die Zungenränder so Eindrücke vorweisen, was dafür spricht, dass vielleicht der Patient mit der Zunge presst auf der einen oder anderen Seite, oder vielleicht auf beiden, das ist hier nicht das Fall."
    Überhaupt macht der rote Muskel mitten im Mund einen ausgesprochen guten Eindruck.
    "Die Zunge sieht gut aus und wird wohl nicht für die Beschwerden verantwortlich sein."
    Das Bohren kann beginnen.