Die Ohren eines Menschen sind in Form, Größe und Stellung am Kopf fast so individuell wie ein Fingerabdruck. Dennoch gibt es eine allgemeine Vorstellung von "Normalität" des Aussehens, und abstehende Ohren weichen davon deutlich sichtbar ab.
"In unserem Kulturkreis werden abstehende Ohren dann eher so mit schlichten Gemütern ein bisschen in Zusammenhang gebracht, aber im asiatischen Raum ist es zum Beispiel ein Zeichen für Glück, und kein Asiate käme auf die Idee, sich die Ohren anlegen zu lassen."
Erzählt Dr. Uwe von Fritschen, Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie am Berliner Helios-Klinikum Emil-von-Behring. Für manche sind sie sogar ein Markenzeichen, man denke nur an Prince Charles oder den Schauspieler Dominique Horwitz, ergänzt der Berliner Kinder- und JugendarztDr. Ulrich Fegeler:
"Ein abstehendes Ohr muss nicht von vorneherein unangenehm, sondern es kann auch besonders keck, vorwitzig wirken, es muss hier abgewogen werden, also so eine ganz klare Indikation gibt es eigentlich nicht."
Abstehende Ohren sind zwar eine – vergleichsweise leichte – Fehlbildung des Ohrknorpels, jedoch ohne Krankheitswert, weil sie das Hören nicht beeinträchtigt. Eins von 2000 Neugeborenen kommt damit zur Welt. Es gibt eine familiäre Häufung, aber keine direkte Vererbung – und viele verschiedene Varianten:
Fehlbildung ohne Krankheitswert
"Die beiden häufigsten Gruppen sind zum einen die mit einer Winkelfehlstellung, also das Ohr hat ja von der Ohrmuschel zum Rand des Ohres einen Knick, der so um die 90 – 100 Grad ungefähr betragen soll, dieser Knick kann nicht voll ausgebildet sein, und das Ohr steht ab, es kann aber auch sein, dass die eigentliche Ohrmuschel bei korrektem Knick vergrößert ist und das Ohr dadurch etwas absteht."
Diese kleine Fehlbildung kann jedoch zu gesundheitlichen Problemen führen, wenn die Kinder deswegen gehänselt und in ihrer seelischen Entwicklung behindert werden. Eltern kommen mit dieser Sorge meist schon recht früh in die Praxis, sagt Ulrich Fegeler. Er empfiehlt aber, sich bei der Entscheidung für eine Behandlung vor allem auf die Kinder zu konzentrieren:
"Wenn die Kinder selber sagen: 'Ah, die sagen immer, ich hab ja solche Segelohren', und 'pass auf, dass der Wind nicht von hinten kommt' oder wie auch immer, Kinder sind da ausgesprochen grausam und erfindungsreich in ihrer Häme, sodass also hier tatsächlich das individuelle Leiden bezüglich der Indikation eines Ohrmuschelanlegens im Vordergrund steht."
Mit dieser "psychologischen Indikation" – und Fotos zur Dokumentation – übernehmen die Krankenkassen die Behandlungskosten, allerdings nur bei Kindern bis 12, maximal 14 Jahren. Die heute übliche Methode ist das operative Ohrenanlegen, aber es gibt auch "unblutige Verfahren". Dr. Uwe von Fritschen:
Kostenübernahme bei "psychologischer Indikation"
"Der Knorpel ist ja, wenn das Kind geboren wird, noch nicht ausgehärtet, noch nicht ausgewachsen. Und seine Härte erreicht es so in den ersten Tagen bis Wochen. Und das heißt natürlich auch, wenn ich eine dezente Fehlbildung oder einfach nur ein etwas abstehendes Ohr habe, kann ich die ersten Tage und Wochen nutzen, um den Knorpel tatsächlich durch einen Splint oder Ähnliches in die korrekte Form zu bringen und in dieser gehaltenen Form ihn dann aushärten zu lassen."
Studien zufolge ist dieses Verfahren aber wirklich nur bei Neugeborenen erfolgreich. Ansonsten muss operiert werden. Relativ einfach lassen sich die Ohren anlegen, wenn sie wegen einer sehr großen Ohrmuschel zu weit vom Kopf abstehen:
"Und das kann man einfach dadurch behandeln, dass man einen Teil dieser Ohrmuschel entfernt, also jetzt nicht die Haut, sondern lediglich den Knorpel, und die Ohrmuschel dann an dem Schädelknochen fixiert. Das ist also so ein kleiner Schnitt hinterm Ohr, mit dem man das Problem lösen kann."
Ein bisschen aufwendiger wird es, wenn der Ohrwinkel nicht stimmt, erklärt der Chirurg weiter:
"Dafür gibt es zahllose Techniken – was immer ein Indiz dafür ist, dass die perfekte noch nicht gefunden ist – und wir legen den Knorpel in dem Bereich frei und schleifen den mit einer Diamantfräse so dünn, dass er sich schön leicht formen lässt, fixieren das noch mit zwei kleinen Nähtchen, damit es erst mal eine gewisse Stabilität hat und verschließen die Haut dann wieder, und das kann man entweder von vorne oder von hinten operieren, das kommt auf den Fall an, was dann günstiger ist."
Die Operation dauert eine bis eineinhalb Stunden. Im Prinzip reicht eine lokale Anästhesie, weil man das Ohr sehr gut betäuben kann. Aber kleinere Kinder bekommen doch meistens eine Vollnarkose, weil dieses Schneiden, Schleifen und Nähen am Kopf ihnen zu viel Angst macht und sie zu aufgeregt sind.
Das wirft die Frage des richtigen Zeitpunkts auf: Viele Eltern, wollen den Eingriff möglichst früh, um ihre Kinder vor dem Spott in der Schule zu bewahren. Aber man darf auch nichts überstürzen, weil das Ohr erst im 5., 6. Lebensjahr ausgewachsen ist, warnt Dr. Ulrich Fegeler, der auch Bundespressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte ist:
Routineeingriff Ohrenanlegen
"Weil es, wenn man das zu früh operiert, zu Vernarbungen kommen kann im operierten Bereich und dann zu Verziehungen auch; also inder Regel erfolgt es meistens so um das 9., 10. Lebensjahr, also bei den Kindern, die ich so kenne und verfolgt habe, oder auch das Kind sagt, 'jetzt möchte ich das aber dringend haben.'"
Im Prinzip ist das Ohrenanlegen ein Routineeingriff. Ein gewisses Risiko gibt es wie immer bei einer Narkose – und sonst?
"Es gibt noch so die allgemeinen Risiken, dass sich mal was entzünden kann oder so was, aber das ist im Gesicht tatsächlich sehr selten, spezifische Komplikationen - zum Glück in unseren Breitengraden sehr sehr selten – sind überschießende Narbenbildung, und es gibt Regionen am Körper, die dafür prädestiniert sind und leider eben auch das Ohr."
Es gibt noch ein paar normale Nachwirkungen des Eingriffs wie ein paar Schwellungen und leichte Schmerzen sowie eine bläuliche Verfärbung der Haut am Ohr. Und man sollte sich insgesamt ein bisschen ruhiger, vorsichtiger bewegen, um Nachblutungen zu vermeiden. Deshalb sei es auch besser, Kinder nicht ambulant, sondern ein bis zwei Tage stationär zu behandeln, meint Dr. Uwe von Fritschen, Chefarzt der Plastischen und Ästhetischen Chirurgie am Berliner Helios-Klinikum Emil-von-Behring:
"Kinder fangen natürlich gleich an zu toben, es tut nicht weh der Eingriff, die fühlen sich nicht behindert, und wenn man tobt, treibt man den Blutdruck hoch, und dann fängt es an zu bluten, und dann kann man auch Ärger haben."
Etwa für eine Woche bleiben die Ohren fest bandagiert, und etwa zwei bis vier Wochen lang nach der OP sollten Kinder immer, Erwachsene nur nachts ein Stirnband tragen, um die empfindlichen Ohren vor dem Abknicken zu schützen. Die Narben, sofern sie nicht ohnehin unter der Haut versteckt sind, verschwinden in der Regel fast völlig – und mit ihnen sicher auch der Spott – und der Kummer - wegen der "Segelohren".
Deshalb ärgert sich Dr. von Fritschen wie viele seiner Fachkollegen auch ein bisschen über die Initiative von CDU und SPD im Dezember 2013, "medizinisch nicht notwendige Schönheitsoperationen" bei Jugendlichen zu verbieten. Die Fachgesellschaft der Ästhetisch-Plastischen Chirurgen gab zu bedenken, dass die allermeisten dieser "ästhetischen" Operationen bei Kindern das Ohrenanlegen betriff:
"Ja, warum sollen die sich jetzt mit abstehenden Ohren rumquälen, und wenn die darunter leiden, dann würde ich das jetzt nicht als ästhetischen Eingriff bei Kindern so verwerfen, wie das im Augenblick gemacht wird. Und ansonsten kommt das ja kaum vor in Deutschland, dass Kinder ästhetisch operiert werden, das ist im Promillebereich."