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Radsportler nach Corona-Infektionen
"In einer anderen Saison"

Das Coronavirus betrifft den Leistungssport nicht nur wegen Wettkampfabsagen, Geisterspielen und Geisterrennen. An Covid-19 erkrankte Athletinnen und Athleten müssen bei der Rückkehr in den Trainingsbetrieb auch Vorsicht walten lassen. Eine Bestandsaufnahme im Straßenradsport.

Von Tom Mustroph | 04.04.2021
Peter Sagan fährt über Kopfsteinpflaster
Peter Sagan (rechts) bei der Flandernrundfahrt (picture alliance/dpa/BELGA | Dirk Waem)
Es ist die Zeit der Radsport-Klassiker: In das große Duell zwischen den beiden Dominatoren des Frühjahrs - Wout van Aert und Mathieu van der Poel - möchte auch Altmeister Peter Sagan eingreifen. In diesem Jahr trägt er aber einen zusätzlichen Rucksack:
"Ich hatte das Pech, Covid in Gran Canaria zu bekommen. Ich musste dann drei Wochen lang mit allem aussetzen und begann danach ganz langsam wieder", erzählt der Slowake. Er war in Gran Canaria nicht nur lange in der Quarantäne. Er musste auch mit dem Training aussetzen.
Das beeinträchtigt ihn noch jetzt, findet er: "Mental habe ich mich gut erholt. Das Problem ist nur, dass ich all das, was ich im Winter trainiert habe, verloren habe. Das ist normal. Ich musste dann bei Null anfangen."
Doping im Radsport - Früherer Teamarzt von Sky soll Testosteron verabreicht haben
Der einstige britische Vorzeigerennstall Sky, der jetzt Ineos heißt, gerät weiter in Bedrängnis. Der frühere Teamarzt Richard Freeman muss wegen Testosterongaben und folgenden Vertuschungsversuchen um seine Zulassung als Mediziner fürchten. Der Rennstall selbst schiebt alle Schuld auf den früheren Teamarzt.
Sagan ärgert der verlorene Aufbau zwar. Aber aus sportmedizinischer Sicht hat sich der dreifache Weltmeister klug verhalten. Er setzt länger mit dem Training aus, kehrt auch später als geplant in den Wettkampfbetrieb zurück. Eines seiner Lieblingsrennen, den Sandstraßenklassiker Strade Bianche, hat er wegen der großen körperlichen Belastung ausgelassen - und verzichtet auch auf die Halbklassiker Ende März.

"Es ist ein langwieriger Prozess"

Stattdessen holt er sich sein Selbstbewusstsein mit einem Etappensieg bei der Katalonien-Rundfahrt. Dort musste er sich aber nicht jeden Tag voll belasten. Er beendet die siebentägige Rundfahrt mit anderthalb Stunden Rückstand auf Sieger Adam Yates.
Sagans Schicksal lenkt den Blick auf ein Problem für immer mehr Leistungssportler. Wie kommt man nach einer Corona-Infektion zurück? Einzelne Athleten waren sogar mehrfach positiv, wie der Kolumbianer Fernando Gaviria. Der empfiehlt:
"Man muss immer ruhig bleiben. Es ist ein langwieriger Prozess. Man muss aufpassen, dass es einen nicht zu sehr belastet, und langsam versuchen, wieder zur Form zu finden."
Die beiden Spieler kämpfen um den Ball, Awoniyis Hand liegt an Pongracics Kehle.
Rückkehr nach Corona-Infektion - "Der hätte nie spielen dürfen"
Wann können Profisportler nach einer Corona-Infektion wieder antreten? Sportmediziner haben dazu ein sogenanntes Return-To-Play-Schema entwickelt. Dass sich daran alle halten, daran lässt ein Vorfall beim VfL Wolfsburg vom vergangenen Bundesliga-Spieltag jedoch Zweifel aufkommen.
Insgesamt 54 positive Fälle hat die UCI bei den PCR-Tests in der letzten Saison in den Profiteams gezählt. Bei insgesamt 13.850 Tests liegt die Positivrate damit bei 0,34 %, also weit unter der durchschnittlichen Infektionsrate in der Normalbevölkerung. Die schwankte in Deutschland nach Angaben des RKI in den letzten 12 Monaten zwischen 0,59% im Juli und 15,91% im Dezember 2020.

"Viele Bedenken, die man klären muss"

Wer aber betroffen ist, für den kann Corona gravierende Folgen haben. "Wie ein Sportler das verkraftet, hängt natürlich ganz individuell ab" meint Christopher Edler, Mannschaftsarzt bei Sagans Team Bora hansgrohe. "Es ist natürlich ganz viel, was sich nicht nur auf der gesundheitlichen Ebene abspielt, sondern auch emotional, wenn man weiß, was Covid 19 mit einem anrichten kann. Dann sind da nicht nur die rein physiologischen und anatomischen Sachen, die man abklären muss, sondern tatsächlich auch viel Bedenken, die man klären muss."
Edler nimmt aber auch den Athleten selbst in die Pflicht und fordert "...eine gewisse Sensibilisierung während und nach einer solchen Infektion, weiterhin vorsichtig zu sein, und mit offenen Augen auf den eigenen Körper zu schauen, ob das Ganze auch spurlos an einem vorbei gegangen ist."
Der niederländische Radrennfahrer Mathieu Van Der Poel fährt mittels der Plattform Zwift auf dem Hometrainer und nimmt damit an einem virtuellen Rennen teil. 
Virtueller Radsport - Ein betrugsanfälliger Trend
E-Racing boomt. Einen Weltmeistertitel im virtuellen Radsport gab es kürzlich, eine ganze Bundesliga-Rennserie wurde virtuell ausgetragen. Das macht es andererseits auch wichtiger, Betrug zu verhindern. Fünf virtuelle Radsportler wurden wegen Manipulationen bereits gesperrt. Wie geht die Branche damit um?
Die Faktenlage hinsichtlich Folgeschäden ist derzeit eher unsicher. Claire Rose, eine frühere Radsportlerin, die jetzt als Ärztin in der Notaufnahme eines britischen Krankenhauses arbeitet sagt:
"Momentan wissen wir, dass 20 Prozent der Patienten, also jeder Fünfte, der im Krankenhaus behandelt werden muss, später an Herzschäden leidet. Die Sorge ist, wie sich das auf Sportler auswirkt. Es handelt sich dabei um Myokarditis, eine Entzündung des Herzmuskels."
Claire Rose hat in einem Seminar der Cyclists Alliance, einer Vertretung der weiblichen Radprofis, auch auf die Gefahren von Long Covid hingewiesen:
"Zehn Prozent der Leute, die komplett asymptomatisch waren oder nur milde Verläufe hatten, haben dann später Symptome, vier Wochen später, zwölf Wochen später. Auch hier ist noch unbekannt, warum das auftritt, wer am stärksten betroffen ist und was das für Sportler bedeutet."

Sechsstufiger Plan für die Rückehr

Wegen all dieser Unsicherheiten ist nach einer Covid-Infektion daher Vorsicht geboten. Ex-Radsportlerin und Ärztin Rose empfiehlt einen sechstufigen Rückkehrplan. Er wurde von einer britischen Forschergruppe entwickelt und bereits im vergangenen Jahr im British Journal of Sports Medicine veröffentlicht.
"Die erste Phase ist eine Ruhephase. Bei milden Symptomen sollten nach dem Ende der Erkrankung zehn Tage Ruhe erfolgen, mindestens sieben Tage davon ohne Symptome. Während dieser Zeit trainiert man nicht, geht bestenfalls spazieren", meint Rose.
Phase 2 beschrieb sie so:"Man kann jetzt mit leichtem Training beginnen, weniger als 15 Minuten lang und unterhalb von 70 Prozent der normalen Herzfrequenz. Das sollte man einige Tage machen und wenn keine Symptome auftreten, zum nächsten Schritt übergehen."

Nicht besorgt, nur in einer anderen Saison

Dann kann das Training auf eine halbe Stunde Dauer und maximal 80% der Herzfrequenz erhöht werden. Tags darauf werden 30 Minuten Training empfohlen. Phase 4 erlaubt 60 Minuten Training pro Tag. Die Belastung sollte auch hier aber nicht über 80 Prozent der vorher üblichen Herzfrequenz beim Training hinausgehen. Einzelne Phasen sollten mehrere Tage andauern. Nach frühestens 17 Tagen wird eine Rückkehr zum normalen Trainingsbetrieb empfohlen.
Geht man von einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von zehn Tagen aus, beträgt der Trainingsausfall also selbst bei milden oder asymptomatischen Verläufen vier Wochen.
Der wieder genesene Sagan beschreibt seine Situation ganz prägnant so: "Ich bin nicht besorgt. Ich befinde mich eben nur in einer anderen Saison als die anderen."