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Rätsel um Schliemanns Tod

Die Lebensleistung Heinrich Schliemanns ist weltbekannt: Gemeinsam mit seinem Assistenten Wilhelm Dörpfeld entdeckte er 1870 das antike Troja, grub es aus und belegte damit, dass die Epen von Homer keinesfalls der Fantasie entsprangen. Schliemanns Tod allerdings gibt den Historikern Rätsel auf. Offiziell hieß es, er sei 1890 an einem langjährigen Ohrenleiden gestorben – in Neapel. Ein gerade in Italien erschienenes Buch präsentiert eine neue These, der Deutsche wurde demnach ein Opfer der Camorra.

Von Thomas Migge |
    Er soll durch das nächtliche Neapel getaumelt sein, ohne Geldbörse und Dokumente. Als er schließlich aufgegriffen und zur Polizei gebracht wurde, konnte er sich nicht ausweisen. Die Beamten dachten zunächst, dass der wie ein Stadtstreicher ausschauende ältere Mann geistesgestört oder sonstwie durcheinander sei. Doch dann zog er ein Rezept seines Arztes aus der Hosentasche und die Polizeibeamten holten den Mediziner hinzu. Der kam auch gleich mit zur Wache und identifizierte den heruntergekommenen Mann als den Deutschen Heinrich Schliemann, berichtet Mario La Ferla:

    "Eine Mischung aus nachweisbarer Geschichte und Legende rankt sich um die letzten Tage des berühmten Archäologen. Nach einer schweren Ohrenoperation war er zunächst nach Paris gefahren und machte sich dann nach Italien auf - nach Neapel. Von dort aus wollte er, so schrieb Schliemann in einem Brief an seine Frau in Athen, noch vor Weihnachten nach Griechenland zurückreisen. Dazu kam es aber nicht. Zu den letzten Tagen Schliemanns gibt es keine klaren Dokumente."

    Der Journalist und Historiker Mario La Ferla versucht in seinem neuesten und in Italien für Aufsehen sorgenden Buch "L'ultimo tesoro - La vita segreta e la morte sospetta di Heinrich Schliemann" ("Der letzte Schatz - Das geheime und verdächtige Leben des Heinrich Schliemann"), diese letzten Tage zu rekonstruieren. So wohnte Schliemann im neapolitanischen Grand Hotel und blieb nicht nur zwei Tage, sondern mehr als zwei Wochen bis zu seinem geheimnisumwitterten Tod. La Ferla, der sich in seiner Untersuchung auf bisher noch nicht ausgewertete und der Öffentlichkeit unzugängliche Dokumente im Privatbesitz beruft - ohne allerdings die Namen der Eigentümer dieser Archive zu nennen - vermutet, dass Schliemann nach seinem Zusammenbruch in Neapel im Hotel vergiftet worden sei. Zusammen mit einem Medikament das ihm zur Stärkung verabreicht wurde, so La Ferlas Hypothese, habe man ihm wohl auch ein tödliches Gift zu schlucken gegeben. Am 26. Dezember 1890 starb Schliemann. Als offizieller Grund wurde ein "natürlicher Tod" angegeben:

    "Ich legte die Geschichten und Legenden zusammen und versuche, den Tod Schliemanns durch seine persönlichen Beziehungen in Neapel zu erklären. Der Archäologe war ja auch ein Kaufmann, ein ganz gewiefter Kaufmann. Er versuchte, Funde aus seinen Grabungen gewinnbringend zu verkaufen. Dafür suchte er intensiv nach entsprechenden Kontakten."

    Die scheint er, so Mario La Ferla, in Neapel gefunden zu haben. Dem Autor der vieldiskutierten Schliemann-Studie zufolge wurde der deutsche Archäologe zum Opfer der Camorra, wie man in Neapel die organisierte Kriminalität nennt. Anscheinend, so das Fazit von La Ferlas Recherche, wurde Schliemann zum Opfer eines undurchsichtigen Kunstdeals mit kriminellen aber einflussreichen Elementen, denen der Archäologe zum Störenfried geworden war.

    La Ferla berichtet in diesem Zusammenhang auch von Schliemanns Grabungen auf der süditalienischen Insel Mozia, wo er nach dem sagenhaften Schatz der Phönizier suchte, den dieses Volk dort kurz vor der Ankunft der Griechen vergaben haben soll. Während dieser Grabungen, so La Ferla, hätten lokale Camorra-Bosse nichts unterlassen, um dem Deutschen die Arbeit schwer zu machen, denn sie selbst wollten in den Besitz der kostbaren Funde gelangen.

    Für die italienische Archäologin Clara Albini von der Universität im apulischen Bari, handelt es sich bei La Ferlas Schlussfolgerungen um eine spannende These:

    "Das ist immer noch ein ungelöstes Problem, eine offene Fragestellung. Was trieb Schliemann in Neapel? Wir wissen, dass er mit den führenden gesellschaftlichen Kreisen verkehrte. Wir wissen auch, dass er mit seinen Funden Geld machen wollte, viel Geld, und sich deshalb auch mit undurchsichtigen Interessenten für seine Schätze getroffen hat. Dass Schliemann als Privatgräber nach antiken Schätzen vor nichts zurückschreckten, um zu Geld und zu Ruhm zu gelangen, darf nicht außer Acht gelassen werden."

    Schliemanns Ruf war umstritten, nicht nur, weil er ständig nach Käufern seiner Funde Ausschau hielt, sondern auch, weil er sich gern über vertragliche Vereinbarungen in Bezug auf die Teilung seiner Funde hinwegsetzte, erklärt der römische Archäologe Antonio Baldioli, für den La Ferlas Thesen aber recht abenteuerlich sind:

    "Die Person Schliemanns spricht für sich selbst. Schliemann brach Verträge, behielt Funde für sich, die er gar nicht hätte behalten dürfen, und er wollte immer reicher werden. Aber was tatsächlich in seinen letzten Tagen in Neapel geschah und ob er wirklich vergiftet wurde, bleibt ein Geheimnis, solange wie keine eindeutigen Dokumente vorliegen haben. Sicherlich sind La Ferlas Studien ein willkommener Anlass, uns verstärkt mit den Geschäften Schliemanns und seinem Tod zu beschäftigen."