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Räumung aus der billigen Mietswohnung

In Berlin hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, die mit Sitzblockaden Zwangsräumungen verhindern möchte. Der Grund für viele Räumungen: Viele Mieter können sich die zum Teil drastisch erhöhten Mieten nicht mehr leisten.

Von Peter Kessen |
    Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschen an diesem grauen Wintermorgen in Berlin-Kreuzberg. Knapp 20 Polizeiwagen parken vor der Lausitzer Straße, die Polizei hat schon um sechs Uhr den Zugang für weitere Demonstranten gesperrt. Doch viele sind längst da, wo sie hinwollen: Rund 150 Menschen versammeln sich ab sieben Uhr vor dem vierstöckigen Altbau in der Lausitzer Straße. Heißer Tee und wärmende Sitzunterlagen für die Blockade werden verteilt. Die Demonstranten setzen sich vor den Hauseingang, mit ihrer Sitzblockade wollen sie der Gerichtsvollzieherin den Weg versperren und so verhindern, dass die Wohnung der Familie Gülbol zwangsgeräumt wird. Die Aktivisten sehen das als zivilen Ungehorsam in einer Notlage, erklärt die Sprecherin des Bündnisses, Julia Schmitdtbauer:

    "Wir sagen immer: Zwangsräumung ist die gewalttätigste Form der Verdrängung. Alle in dieser Stadt wissen, was das Problem ist. Die steigenden Mieten. Die Leute wissen, dass es immer mehr Menschen gibt, die aus der Innenstadt verdrängt werden. Und es passiert aber nichts. Und bei ganz vielen Menschen herrscht so eine Ohnmacht vor. Und das bietet die Form der Blockade zu durchbrechen. Das ist eine Möglichkeit tatsächlich zu sagen, uns reicht es."

    Julia Schmidtbauer ist Ende 20 und arbeitet im Bildungsbereich. Sie ist, wie viele Mitstreiter im Bündnis gegen Zwangsräumung, auch von Mietsteigerungen betroffen. Entstanden ist das Bündnis vor gut einem Jahr als Antwort auf den Immobilienboom in Berlin, der besonders Menschen mit kleinen Einkommen trifft. Wie die Familie Gülbol: Ali Gülbol ist angestellter Maler in Berlin, seine Frau Nedmir arbeitet als Erziehungshelferin in einer Kreuzberger Kita. Die drei Kinder, Aylin, Amirjan und Akim sind zwischen 16 und 20 Jahre alt und warten noch auf eine Ausbildung. Bereits die Eltern von Ali Gülbol waren schon 1977 in das Haus in der Lausitzer Straße 8 gezogen.

    "Ja, das ist unsere Heimat, das ist unser Lebensmittelpunkt. Unsere Sozialisation hat hier stattgefunden. Ich fühle mich wie ein Baum mit Wurzeln. Und ich bin hier verwurzelt mit diesem Bezirk, dieser Straße und diesem Haus auch. Ich möchte mir keine andere Wohnung suchen. Weil ich hier zuhause bin. Und ich verstehe immer noch nicht, warum ich hier weg soll."

    Die heruntergekommene Wohnung, erzählt Herr Gülbol, habe er für 20.000 Euro saniert – dafür habe der alte Vermieter auf Mieterhöhungen verzichtet. Nun soll die Familie ausziehen, das haben insgesamt vier Gerichtsurteile ergeben. 2006 erhöhte ein neuer Hauseigentümer die monatliche Miete um rund 90 Euro auf 560 Euro Kaltmiete für fast 130 Quadratmeter. Dagegen klagte Herr Gülbol. Nach jahrelangem Rechtsstreit verkündete das Berliner Landgericht im September 2011 das Urteil – 5800 Euro Miete seien nachzuzahlen. Der Malermeister zahlte aufgrund eines Missverständnisses zu spät – und erhielt die Kündigung und den Zwangsräumungsbescheid. Dann hat die Familie über einen Sozialarbeiter Kontakt zur Initiative gegen Zwangsräumung aufgenommen. Im Oktober 2012 konnten rund 200 Menschen mit einer Sitzblockade die Zwangsräumung verhindern.

    Inzwischen sind rund 1000 Menschen zur Lausitzer Straße gekommen, die Polizei lässt die Menschen aber nicht bis zur Blockade vordringen. Eine Sambagruppe trommelt. Die Initiative hat im Kiez viele Unterstützer gewonnen. Rund 100 Organisationen, Geschäfte und Einzelpersonen haben ihre Solidarität bekundet. Darunter der Fußballverein Türkiyemspor, der Bezirksverband der Grünen, aber auch ein Blumenladen. Einer der Blockierer vor dem Haus ist ein junger Student aus Berlin.

    "Ich sehe das hier schon länger, dass die Mieten eklatant steigen, die Stadtgebiete aufgewertet werden, die Leute, die Stadtgebiete verlassen müssen, die hier ewig gewohnt haben. Und gerade in dem Fall hier, da kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, wie es überhaupt zu einer Räumung kommen kann. Das ist eigentlich eine Unverschämtheit. Und ich hoffe, dass wir mit diesem Protest ein Zeichen gegen diese Zwangsräumung setzen können."

    Auch im Kiez um die Lausitzer Straße steigen die Mieten rasant. Nach dem aktuellen Mietenreport eines Berliner Immobilienunternehmens stiegen die Neuvermietungen dort im letzten Jahr um gut 25 Prozent. Die durchschnittliche Kaltmiete pro Quadratmeter liegt jetzt bei 9,50 Euro. Trotzdem haben rund ein Viertel der Kiezbewohner noch langjährige Mietverträge mit rund fünf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Viele Vermieter oder auch Neueigentümer versuchen, diese Mieten zu steigern – und sie nutzen im Zweifel jede Chance, um Zwangsräumungen durchzusetzen. Auch in der Lausitzer Straße 8 gelang es der Polizei heute, die Gerichtsvollzieherin über Hinterhöfe zur Wohnung der Familie Gülbol zu führen. Die Wohnung wurde geräumt.

    "Dann hab ich ihr den Schlüssel übergeben und ihr meine Meinung gesagt, dass das ungerecht ist, was hier passiert. Es geht mir sehr gut damit, dass ist super, für die Solidarität, ich möchte mich auch bei allen Menschen bedanken, die da sind. Und der Kampf geht auf jeden Fall weiter, gegen diese Ungerechtigkeit."