Donnerstag, 28. März 2024

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Räumung bis 2020
Sisyphos-Arbeit im "Bombodrom"

Der Truppenübungsplatz Wittstock Kyritz-Ruppiner Heide wurde bis 2011 militärisch genutzt - anfangs von der sowjetischen Armee, dann von der Bundeswehr. Bis 2020 soll die explosive Hinterlassenschaft geräumt sein. Ein teures Unterfangen, aber auch eines, das dem Naturschutz zugute kommt.

Von Nana Brink | 04.12.2018
    Das ehemalige "Bombodrom" in Brandenburg
    Das ehemalige "Bombodrom" in Brandenburg: Die Szenerie erinnert an einen Science-Fiction-Film (dpa picture alliance)
    "Seltsame Landschaft nicht? Man sieht sehr viel Schwarz in der Fläche. Das vermittelt einem schon so ein bisschen ein geisterhaftes Bild, unwirklich. Wir sind geordnete Landschaften gewöhnt, mit Ackerkanten, Felder, mit Linien und wenn wir da reingucken, haben wir keine Ordnung mehr."
    Die Szenerie erinnert an einen Science-Fiction-Film. Die Erde nach dem Dritten Weltkrieg. Eine grau-schwarze Fläche, soweit das Auge reicht. Am Horizont kahle Baumreihen. In der Mitte ein paar verrostete Container. Das einzig Bunte sind Reihen von blauen und roten Fähnchen. Und die grüne Kluft von Rainer Entrup, dem Leiter des Bundesforstbetriebes Brandenburg-West.
    "Das ist eine abgebrannte Fläche. Die Männer, die hier mit den Sonden arbeiten, müssen ja ihre Sonden dicht am Boden führen. Wenn man aber sieht, wie hoch die Heide eigentlich ist, fast ein halber Meter, kann man unmöglich da drin in der Heide eine Sonde führen, also muss die Fläche vorbereitet werden - also wir müssen sie abbrennen."
    Sicher bewegt sich Förster Rainer Entrup zwischen den blauen und roten Fähnchen. "Passen Sie auf, wo Sie hingehen!", lacht er augenzwinkernd. Nicht ins Rote! - Seit 2016 überwacht Rainer Entrup die Räumungsarbeiten auf dem ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatz, im Volksmund auch Bombodrom genannt. - Plötzlich bückt er sich.
    "Das ist wieder ein Granatensplitter. Das ist so ein richtiger Brocken, so knapp unter der Grenze, was wir suchen."
    Niemals vergessen, dass es sich um Kriegsmunition handelt
    Eine Sisyphos-Arbeit. Hier im Kernbereich des Truppenübungsplatzes stand früher die Attrappe eines NATO-Flughafens. Die Flugzeuge der Roten Armee bombardierten zu Übungszwecken ihren Lieblingsfeind mit Fliegerbomben, Lenkraketen – und Streumunition. 40 Jahre lang.

    "Wir wissen, dass wir hier Streumunition in den verschiedensten Arten finden, entweder die detonieren oder sie liegen hier und haben nicht funktioniert: Und demzufolge müssen wir sie beseitigen."

    Ingo Rückerts Signalweste sieht man schon von Ferne. Der gelernte Feuerwerker leitet die Baustelle der Firma "Röhll Munitionsbergung". Er nennt sie gern sein "Reich", rund 1.000 Quadratmeter verkohlte Heide-Landschaft.
    Räumungsarbeit mit Hochdruck
    Nein, ich sag mal immer, wir machen unseren Job. Man könnte jetzt davon ausgehen, es wird zur Routine, wird es aber nicht. Wir müssen uns täglich vor Augen halten, - ja ich muss meinen Job durchführen, aber ich darf nicht vergessen, es handelt sich hier um Kriegsmunition."
    Als ehemaliger NVA-Soldat kennt Ingo Rückert fast alles, was er im Boden findet. Fast alles, denn die russische Armee verweigert bis heute genaue Angaben, welche Waffen sie benutzt hat. Und vor allem: wie viele. Vorsichtige Schätzungen gehen von 1,5 Millionen Bomben und Granaten aus. In seinem Baucontainer, erhöht auf einem Gerüst, überblickt Feuerwerker Rückert sein "Reich" und führt penibel Buch. An der Wand hängt eine riesige Karte des Geländes, wie ein Schachbrett aufgeteilt, markiert mit blauen und roten Fähnchen. Blau bedeutet: geräumt, rot: noch belastet. Für jedes Quadrat ist ein zweiköpfiges Räumungsteam zuständig. Bis zu 50 solcher Teams arbeiten hier. Unter Hochdruck, denn bis 2020 soll das Gebiet geräumt sein.
    "Streumunition ist fies, ist wirklich fies. Als Firma legen wir sehr viel Wert auf Sicherheit. In jedem Bauwagen hängen Bilder, 'Jungs wenn ihr so etwas findet, bitte nicht anfassen! Holt den verantwortlichen Feuerwerker ran!' Das bleibt in der Erde, wird gekennzeichnet bis zum Termin der Vernichtung."

    Förster Rainer Entrup steuert seinen Jeep flott durch die Fähnchenreihen. "Nein, es ist noch nie etwas passiert", sagt er wie beiläufig. Und parkt an einem riesigen Container, voll mit rostigen Bombenteilen.
    Eine Aussichtsplattform, halb zerfallen, und Blick auf das sogenannte Bombodrom, einen der größten Übungsplätzee der sowjetischen Luftwaffe
    Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die sowjetische Luftwaffe einen ihrer größten Übungsplätze ein, das sogenannte Bombodrom (Nana Brink)
    "Schrott! - Hoher zweistelliger Millionenbetrag. Wir gehen von 30 bis 40 Millionen aus, für diese Verdachtsfläche. Das ist eine Schätzung heute, muss man vorsichtig benutzen."
    So viel könnte die Räumung der explosiven Hinterlassenschaften des Kalten Krieges kosten. Die Heide wäre dann wenigstens wieder frei für alle. - Förster Entrup schüttelt den Kopf.
    "Nein, das wird nicht frei gegeben, weil wir nur bis 30 Zentimeter räumen, also die Fläche ist nicht kampfmittelfrei im Sinne öffentlicher Nutzbarkeit. Es ist für unsere Naturschutzgründe ideal, weil wir die Heide langfristig pflegen können, weil wir dann auch Sicherheit auf der Fläche haben, also das Unternehmen Pflege der Heide durch Feuer, dass können wir wunderbar machen."
    Eine der größten Heideflächen Europas dauerhaft erhalten
    Fast liebevoll nimmt Förster Rainer Entrup einen verkohlten Heide-Strunk in die Hand. Alle paar Jahre wird die Heide im Februar oder März abgebrannt, - um sie zu erhalten. Fachleute nennen es das "kalte Feuer", weil der Boden dafür gefroren sein muss. Für Entrup hat die Kampfmittel-Räumung auch sein Gutes.
    "Wir haben ja hier die größte Heidefläche oder eine der größten Heideflächen Europas, und das sind heute noch 6.000 Hektar. Wir haben das Ziel, das wir 4000 dauerhaft erhalten."
    Vielleicht – irgendwann in ein paar Jahren – wird die verkohlte Räumungsfläche wieder Heidelandschaft sein. Happy End im Science-Fiction-Film. Den allerdings werden außer Förster Rainer Entrup wenige zu sehen bekommen. "Militärisches Sperrgebiet – Betreten verboten. Lebensgefahr!", warnen die Schilder. Nur am Rande führt ein 13 Kilometer langer Sandweg um Teile des Geländes. Und lässt einen Blick zu in das geheimnisvolle Innere.
    "Man kann hier Ruhe hören und durch die Weite der Landschaft verstärkt sich dieser Eindruck noch. Viele empfinden das als eintönig, Birke, Kiefer, Heidekraut, das war's. Trotzdem, allein durch das sich ändernde Wetter, morgens ein anderes Licht als am Abend und toll, wenn man dann noch mal einen Wolf sieht, weil die schweben förmlich durch die Heide."