Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Räuspern
Mehr Menschlichkeit im Pop?

Eigentlich ist es schlecht für die Stimmbänder: Trotzdem räuspern sich viele Rock- und Popkünstler, sobald sie sich vor ein Mikrofon stellen. Der Hörer bekommt davon im Radio selten etwas mit. Es sei denn, das Räuspern wird gezielt als Stilmittel eingesetzt.

Von Ina Plodroch | 16.12.2017
    Räusper!
    Das Räuspern wird zunehmend zum Stilmittel in der Popmusik (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Also es geht ums Räuspern. Leise, laut, völlig übertrieben, total künstlich oder total authentisch. Denn genau damit, mit diesem Räuspern, beginnt Taylor Swifts aktuelles Album. Was soll das denn?
    "Zum Beispiel auch auf meiner neuen Platte, da fängt ein Track so an", sagt Tim Purnell. Er verkauft gerade ein paar Schallplatten bei Groove Attack, einem Plattenladen in Köln.
    "Kann ich dir eben noch zeigen, wenn du willst. "
    Seine eigene steht in den Regalen. "Hay Luv", die hat er als Twit One veröffentlicht.
    "Ist mir auch erst dann aufgefallen, als du das gesagt hast." - "Echt, davor nicht?" - "Ich hab da gar nicht drüber nachgedacht."
    Über das Räuspern.
    "Der Track 'Ständertime' fängt so an."
    "Ah - ne, hier." - "Da war es schon."
    Fast verpasst? Deshalb nochmal.
    "Ich habe da nicht drüber nachgedacht. Ich glaube, Produzenten lassen das drin, wenn die vielleicht einen guten Humor haben. Oft werden ja Tracks aufgenommen und Leute machen sich, ihre Stimme, warm. Rapper machen 'Yeah' und 'Yo'."
    "Und wenn sie nicht zu eitel sind, dann lassen sie auch ein Räuspern drin. Ich dachte, das ist so eine Art Einzähler gewesen jetzt bei dem Track. Ist nicht das Beste für die Stimmbänder, aber ist total menschlich."
    Räuspern als wohlüberlegtes Stilmittel
    Wenn Musiker und Produzenten also wollen, dass es ein bisschen menschelt, dann nehmen sie den Hörer quasi mit in ihr Studio.
    "Wenn er jetzt nicht so Wert darauf legt und rohes Material abliefert oder Ehrliches, dann landet auch ein Räuspern auf der Platte."
    Ein bisschen wie das Making-of zur Aufnahme.
    Auch Noel Gallagher hatte 1995 noch einen kleinen Frosch im Hals, bevor er "Talk Tonight" einsingen konnte. Passiert ja jedem mal und spätestens jetzt weiß der Hörer: Hier sind noch echte Menschen am Werk.
    "Und seit DJ Kool 'Let me clear my throat', der Klassiker des Räusperns, da ist das sowieso erlaubt."
    Gesampelter Husten. Das hat auch die italienische Gruppe Scotch in den 80ern gewagt: Würfelhusten als Refrain. Der Song hat es sogar in die Charts geschafft. Und nun scheint sich dieses beiläufige Räuspern ins Formatradio zu katapultieren.
    Der Cloud-Rapper RIN. Wie er sich räuspert – das klingt nicht nach Zufall, sondern wohl überlegt. Darüber reden wollte er mit uns aber nicht. Der italienische Rapper Ghali treibt es aktuell auf die Spitze.
    Räuspern für mehr Aufmerksamkeit
    Das ist wohl die Kategorie Lehrer-Räuspern: Hört ihr bitte mal alle zu? Dieser Song ist in Italien ein großer Hit. Erstaunlich, denn eigentlich schneiden Produzenten in großen Popsongs alles raus, was nicht perfekt klingt.
    "Es gibt ja gerade in der Musik der Radiowelt, da werden Atmer abgeschnitten, De-sser eingesetzt und so und alles Menschliche wird weggeschliffen." - "Was sind De-sser?" - "Die machen so 's' und Zischlaute weicher."
    Räuspern und Lachen ist längst in der Popmusik angekommen
    All das trifft auf Taylor Swift zu. Einer der größten Popsternchen dieser Zeit, bei ihr scheint jeder Laut wohl überlegt. Und genau sie beginnt dann ein Album damit.
    Wird der Mainstream-Pop also menschlicher? Vielleicht will Taylor Swift auch einfach nur so lässig klingen wie all die Rapper, so authentisch wie ein Singer-Songwriter oder zeigen: Sie ist kein Cyborg. Dass selbst ein Lacher für einen Hit sorgen kann, hat schon Elvis Presley erlebt: Seine Lach-Version vom Cover "Are You Lonesome Tonight" ist viel erfolgreicher als die Studioversion.