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Rainald Grebe
Mythos West-Berlin auf der Bühne

Der Regisseur und Kabarettist Rainald Grebe ist Anfang der 90er-Jahre nach Berlin gekommen. Die Mauer war gefallen und er ging direkt in den wilden Osten der Stadt. Er hat also das alte West-Berlin als besetzte Insel nicht mehr erlebt. An der Berliner Schaubühne hat er trotzdem dieses urbane Gebilde auf die Bühne gebracht.

Von Alexander Kohlmann |
    Kabarettist Rainald Grebe
    Musiker und Kabarettist Rainald Grebe (picture alliance / dpa / Foto: Stephanie Pilick)
    Wer zu diesem Abend aus dem Westen Deutschlands anreist, für den kann schon die Anfahrt zum Teil der Inszenierung werden. Da geht es vorbei an den ehemaligen Grenzanlagen in Marienborn, dann lange Zeit Transit über die A2. Irgendwann tauchen die Ruinen der Gaststätte Dreilinden am Straßenrand auf. Das war das erste Gebäude, das die Besucher West-Berlins einst nach der langen Fahrt durch die DDR zu sehen bekamen. Dann weiter über den legendären Ku'Damm - in die Schaubühne.
    Bar der Gespenster
    Hier, im Herzen des alten Westens, hat Rainald Grebe eine Bar der Gespenster auf die Bühne gebaut. Einen vergessenen Ort, mit einer schmuddeligen Theke und umgekippten Stühlen. Und Zwei Altbaufenstern, vor denen die grauen Betonplatten der Mauer die Sicht versperren.
    "Guten Abend meine Damen und Herren, willkommen hier in Berlin oder sollte ich besser sagen in West-Berlin. Die Frage des Abends ist, sind wir reif für die Insel? Die Insel, das ist das alte West-Berlin, das es so leider nicht mehr gibt."
    Um fühlbar zu machen, wie das eigentlich war, damals, hat Grebe einen Chor der West-Berliner auf die Bühne gebracht. Sechs Frauen und zwei Männer sind das, die den alten Westen noch erlebt haben.
    "1983 bin ich mit 30 frischgeräumten Besetzern in die Fuhlstraße 5 gezogen, das war ein alter Getreidespeicher direkt an der Spree. 1.100 Quadratmeter, freier Raum und freie Platzwahl", erzählt eine Frau um die 50, die immer noch wie ein Teenager auftritt - mit viel Schminke, langen, blondierten Haaren und zu engen Hosen. Ein anderer hat schon als Jugendlicher die Freiheiten der Berliner Schwulenszene schätzen kennengelernt.
    "Ich war in der Tomsbar, in der Scheune, im Eldorado, bei Hans, Tabasco, Pinocchio."
    Und dann ist da noch eine alte Frau mit roten Haaren, die wie übrig geblieben zwischen den verstaubten Tischen sitzt. Und sich noch heute ganz genau an die Luftbrücke erinnern kann.
    "Die viele Flieger, die da gekommen sind, alle zwei Minuten hat es gebrummt. Und die Lebensmittel, die die gebracht haben, das war ganz wichtig."
    Was war West-Berlin? Wie rekonstruiert man im Theater ein urbanes Gebilde, das es nicht mehr gibt, ein vergangenes Lebensgefühl und für viele auch ein Sehnsuchtsort? Grebe nähert sich dem Mythos von ganz verschiedenen Seiten. Neben den Zeitzeugen lässt er eine Gruppe von Schauspielern Stationen aus der Geschichte der Stadt nachstellen. Den Sprung des Grenzsoldaten Conrad Schumann in die Freiheit zum Beispiel. Oder die Ermordung Benno Ohnesorgs durch einen westdeutschen Polizisten. Ikonografische Momente sind das, die wir alle längst kennen, und mit deren Rekonstruktion Grebe nichts wirklich Neues auf die Bühne bringt.
    Das Spiel mit den Zeitzeugen ist deutlich interessanter. Auch wenn die sich mal versprechen, oder den Text suchen. Man spürt die Authentizität und lernt die verschlungenen Lebenswege kennen, die sich so nur in dieser Stadt an der Schnittstelle von Ost und West ergeben konnten.
    Das Tor zur Welt: Fluglinien
    Da ist die Tochter eines amerikanischen PAN-AM-Piloten. Im blauen Kostüm der längst untergegangenen, amerikanischen Fluglinie steht die Dame auf einer gigantischen, weißen Gangway. Mit amerikanischen Akzent erzählt sie von einem sorgenfreien Leben.
    "Wir sind in Berlin in einer Art amerikanischer Blase groß geworden. Wir hatten zu keiner Zeit Angst hier zu sein, da wir wussten, sollte irgendetwas mit West-Berlin passieren, würden wir zu den ersten gehören, die entweder mit PAN AMERICAN oder mit der Airforce ausgeflogen werden würden."
    PAN AM, es war das Tor zum Westen. Nur englische, französische und amerikanische Fluglinien durften die eingemauerte Stadt anfliegen. Sie brachten Stars und Sternchen in die besetzte Insel.
    "Herzlich willkommen meine Damen und Herren, hier auf dem Rollfeld vom Tempelhofer Flughafen. Ja, es ist Sommer in Berlin und das heißt, es ist wieder Berlinale Zeit."
    Grebe lässt sie alle noch einmal auftreten, die fast vergessenen Gesichter von Gestern, die deutsche Schauspielerin Maria Schell zum Beispiel oder den amerikanischen Regisseur Orson Welles. Als Karikaturen laufen sie vorbei an der echten PAN-AM-Tochter. In solchen Momenten fängt die Inszenierung an, zu flimmern. Da vermischt sich der Postkarten-Mythos mit der Geschichte der Menschen, die hier wirklich ihr Leben verbracht haben. Und dabei nicht immer nur glücklich waren.
    Nostalgie wird ironisch gebrochen
    Auch ein Gespenst torkelt mit verfilzten Haaren und weiten Pupillen durch den Abend. Eine Schauspielerin spielt die drogenabhängige Christiane F., die einst mit dem Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" die dunkle Seite des Mythos gezeichnet hat. Eine florierende Drogenszene, Heroin-Junkies, der Babystrich. Irgendwann ganz zum Schluss sagt sie, ich habe es überlebt und bin weg aus Berlin zu meiner Mutter aufs Land gezogen. Christiane F. denkt mit Sicherheit nicht mit Wehmut zurück, an den alten Berliner Westen, der inzwischen längst Bestandteil der kollektiven Berlin-Verklärung ist.
    Und es ist eine große Stärke der Inszenierung, dass Grebe diese Nostalgie immer wieder ironisch bricht. Da wird dann schon einmal ein Zeitzeuge in einem Sarg entsorgt, der flexibel unter der Theke hervorgefahren werden kann. Auch die alten West-Berliner werden eben täglich weniger, was bleibt sind die Geschichten - aus einer Stadt, die es nicht mehr gibt.