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Ralf Stegner
"Wer einfache Antworten gibt, kann gleich zu den Rechtsradikalen gehen"

Die neuen Vorschläge der CDU-Politikerin Julia Klöckner seien ein Anti-Merkel-Plan, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner im DLF. Es nütze nichts, täglich neue Vorschläge zu machen, solange die bereits beschlossenen Maßnahmen nicht umgesetzt würden. Zugleich warnte er vor Populismus.

Ralf Stegner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 25.01.2016
    Ralf Stegner, stellvertretender Vorsitzender der SPD
    Ralf Stegner, stellvertretender Vorsitzender der SPD (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner, zugleich Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, fordert, die außenpolitische Bemühungen der Kanzlerin durch nationale Maßnahmen zu flankieren. Sie fordert Grenzzentren, in denen über die Aufnahme von Flüchtlingen oder deren Zurückweisung entschieden wird.
    Stegner sagte, dieser Plan sei ein Anti-Merkel-Plan ebenso wie Finanzminister Schäubles "Flüchtlingsmaut", der Rhetorik von CSU-Chef Horst Seehofer und Briefen von CDU-Politikern an die Kanzlerin. Vier Registrierzentren seien längst beschlossen - die Frage an Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sei, wieso die nicht funktionierten. Es nütze nichts, täglich neue Vorschläge zu machen, solange die Hausaufgaben im Land nicht erledigt seien. Klöckner wolle mit ihrem "Plan A2" über fallende Umfragewerte in Rheinland-Pfalz hinwegtäuschen.
    Warnung vor Populismus
    Man könne bereits vielerorts Flüchtlinge tagesaktuell registrieren. Das Problem liege beim BAMF, wo monatelange Wartezeit Integration verhindere. Wer einfache Antworten gebe, könne gleich zu den Rechtsradikalen gehen, so Stegner. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer rede "schon wie die von der AfD".
    Kanzlerin Merkel könne froh sein, dass die SPD in der Regierung sei, und sie dadurch überhaupt noch Unterstützung für ihre Politik habe. "Im Kampf gegen Seehofer sind wir eher auf der Seite von Frau Merkel."

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Wie lange soll Deutschland noch warten auf eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise? Wie lange noch, bis sich andere EU-Länder dafür entscheiden, dass Flüchtlinge innerhalb Europas umverteilt werden? Viele Politiker fragen sich das in Berlin in diesen Tagen. Ab heute ist wieder Sitzungswoche im Bundestag. Da wird der Druck wieder groß werden. Deutschland sollte gar nicht länger warten, sondern einen eigenen Plan entwickeln. Das sagt Julia Klöckner, die stellvertretende CDU-Chefin. Sie hat am Wochenende einen eigenen Plan vorgestellt, in dem sie vorschlägt, dass sich Deutschland erst mal selbst um eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen kümmern muss.
    Mitgehört hat Ralf Stegner, SPD-Vize und Landeschef der Partei in Schleswig-Holstein. Schönen guten Morgen, Herr Stegner.
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    "Es bleibt beim Chaos in der CDU"
    Armbrüster: Herr Stegner, wir haben es schon gehört: Dieses Papier von Frau Klöckner, das genießt in der Union bereits viel Zustimmung. Geht auch die SPD da mit?
    Stegner: Na ja, die Zustimmung kann ja nur was damit zu tun haben, dass man verkleistert, um was es eigentlich geht. Schauen Sie, das sind die alten Transitzonen. Die heißen jetzt nur anders. Pro Tag 2.500 Leute, das bedeutet 75.000. Das wären riesige Grenzlager. Wir haben einen individuellen Anspruch auf Asyl. Das heißt, das funktioniert auch gar nicht. Das heißt, das ist diese Art nationale Obergrenze, von der Herr Laschet sagt, die gibt es niemals. Die heißt jetzt hier nur tagesaktuelle Kontingente. Das ist Wahlkampf ohne Verantwortung und hat nichts mit dem zu tun, was zur Lösung beiträgt, und ist auch das Gegenteil dessen, was in der Regierung vereinbart worden ist. Denn wenn Sie sich erinnern: Wir haben uns damals verständigt im November auf vier Registrierzentren mit schnelleren Verfahren, mit Datenaustausch. Nichts davon klappt. Herr de Maizière hat noch überhaupt nichts geliefert, was das angeht. Und statt sich zu kümmern, dass die Probleme gelöst werden, wird jeden Tag ein neuer Vorschlag gemacht. Man nennt das dann anders. Mit Einigung in der Union hat das nichts zu tun. Eigentlich ist das ein Anti-Merkel-Plan, der zu Seehofers Obergrenze, zu Schäubles Flüchtlingsmaut oder zu den Briefen passt, die man liest von der CDU. Es bleibt beim Chaos in der CDU.
    "Das ist Wahlkampf ohne Verantwortung"
    Armbrüster: Aber auch die SPD muss ja anerkennen, dass sich nicht allzu viel getan hat bei der Lösung dieser Krise in den vergangenen Monaten, auch dass die Flüchtlingszahlen nach wie vor hoch bleiben. Deshalb ist ja die Frage schon interessant, warum nicht Flüchtlinge gesammelt erfassen und dann je nach Möglichkeiten an die Kommunen weiterleiten. Es spricht ja niemand davon, dass diese Menschen monatelang in den Lagern festgehalten werden sollen.
    Stegner: Aber wenn das so einfach wäre, dann frage ich Sie, warum klappt das mit diesen Registrierzentren nicht, die wir vereinbart haben. Das ist doch eine Frage, die sich an Herrn de Maizière richtet. Natürlich brauchen wir eine bessere Steuerung, weil wir es auf Dauer nicht schaffen, aber es gibt keine einfachen Antworten, wo man den Menschen suggeriert, wir haben jetzt einen Schalter, den drehen wir um und dann klappt das, sondern wir haben neben der großen Mühe, an den Fluchtursachen was zu ändern, in den Flüchtlingslagern zu helfen, eine europäische Einigung herbeizuführen - das ist ja alles sehr, sehr kompliziert und schwierig -, wir müssen doch wenigstens unsere Hausaufgaben im Lande machen. Und da spielt es keine Rolle, über Grenze oder nicht Grenze zu reden. Exterritorial geht auch gar nicht. Sondern warum machen wir nicht diese Registrierzentren, von denen wir gesprochen hatten? Aber da tut sich bei Herrn de Maizière überhaupt gar nichts, und für dieses Defizit im Handeln nützt es nichts, wenn man täglich neue Vorschläge macht.
    Und schauen Sie: Die praktischen Vorschläge, die kommen doch von der SPD. Malu Dreyer hat zusammen mit Manuela Schwesig und Andrea Nahles einen Integrationsplan vorgelegt, wo drinsteht, was wir zu tun haben bei Kitas, bei Schulen, bei Sprachkursen, bei Berufsausbildung, bei Wohnungsbau, bei Arbeitsmarkt. Das braucht Konzepte, das braucht Geld, das braucht Stellen. Das muss man machen, damit es vorangeht, und nicht Sprüche klopfen. Das ist Wahlkampf ohne Verantwortung. Und es soll ja auch - und deswegen passiert das ja auch gestern - über die fallenden Umfragewerte in Rheinland-Pfalz hinwegtäuschen. Die sind in Panik und deswegen machen sie solche Geschichten.
    Armbrüster: Ja, Herr Stegner. Nur es bleibt ja dabei: Viele Städte und viele Landkreise in Deutschland sind an den Grenzen ihrer Belastbarkeit. Da muss man ja überlegen, was man tun kann, um diesen Städten und Kommunen zu helfen. Und da kommt natürlich dieser Vorschlag gerade recht, der vorsieht, wir schicken diese Flüchtlinge nicht einfach blind zu euch mit einstündiger Vorwarnung, sondern wir fragen erst mal nach, ist bei euch Platz, und dann kommen sie.
    Stegner: Aber entschuldigen Sie! Das ist doch Steine statt Brot für die Kommunen und hat doch mit der realen Lösung von Problemen gar nichts zu tun. Es ist doch heute schon so, in einem Land wie Schleswig-Holstein zum Beispiel, dass wir mitnichten den Kommunen die Flüchtlinge mit Stundenfrist Vorwarnung schicken, sondern wir haben hohe Aufnahmekapazitäten aufgebaut für Erstaufnahmen und die Länder schaffen es inzwischen auch, die Flüchtlinge dort tagesaktuell zu registrieren. Das Problem liegt immer noch beim Bundesamt. Sie warten in Deutschland teilweise sieben, acht Monate auf einen Anhörungstermin. Und wenn das so lange dauert, ist eben nichts mit Integration in den Arbeitsmarkt, ist nichts mit der Fragestellung, dass man herausfindet, wer bleiben kann und wer nicht. Wir haben sogar Vereinbarungen getroffen, was wir mit den wenigen tun, die Straftaten begehen, damit das schneller gehen kann, dass sie zurück müssen. Es passiert überall nichts und das ist die Verantwortung, ich sage es noch mal, des Bundesinnenministers und nicht der SPD.
    "Wer einfache Antworten gibt, der kann gleich zu den Rechtsradikalen gehen"
    Armbrüster: Sie reden jetzt wieder über Fragen der Integration. Aber ich glaube, was die Union vor allem umtreibt ist ja die Frage, was tun wir, um diese hohen Flüchtlingszahlen einigermaßen in den Griff zu bekommen, sie möglicherweise abzusenken. Darüber will die SPD gar nicht nachdenken?
    Stegner: Das stimmt überhaupt nicht. Das tun wir. Aber die Antworten sind eben nicht einfach. Schauen Sie, wer einfache Antworten gibt, der kann gleich zu den Rechtsradikalen gehen. Die geben einfache Antworten: Wir drehen einen Schalter um, schicken die Leute einfach an der Grenze zurück. Herr Scheuer von der CSU redet schon wie die von der AfD, man brauche gar keinen Rechtsstaat mehr für so was. Das geht aber nicht. Was wir brauchen ist ein Bemühen, dass es in den Flüchtlingslagern besser wird, ein Bemühen in Europa, Verhandlungen mit der Türkei. All das tun wir. Frau Merkel kann doch froh sein, dass die SPD in der Bundesregierung ist, sodass sie überhaupt noch eine Unterstützung dafür hat, so schwierig wie das ist. All die Antworten in diesem Plan, wie immer der jetzt heißt, die nützen nichts, weil sie kein einziges praktisches Problem lösen.
    Armbrüster: Aber wenn wir über Flüchtlingszahlen sprechen, Herr Stegner, wie zuversichtlich sind Sie denn, dass diese Möglichkeiten, die da angedacht werden, die sie auch erwähnt haben, dass die tatsächlich funktionieren, beispielsweise Abkommen mit der Türkei oder eine gemeinsame Lösung mit unseren Partnern in der EU? Gibt es da wirklich Anzeichen, dass sich etwas ändert?
    Stegner: Nein, sehr zuversichtlich bin ich nicht. Das ist alles sehr schwierig. Aber es nützt doch nichts, wenn die Dinge schwierig sind davonzulaufen und mit Scheinlösungen zu kommen. Wissen Sie, das Problem ist ja nicht Frau Klöckner. Das was sie sagt hat keinen Einfluss auf die Bundespolitik und das mag sie machen wie sie will. Das Problem ist nur, wenn die Menschen den Eindruck haben, die Bundesregierung handelt nicht - nicht mal das Asylpaket II kommt, weil die Union nicht in der Lage ist, die Vereinbarungen umzusetzen, nur ständig neue Forderungen draufsattelt -, dann müssen die Bürger doch den Eindruck haben, ich muss zur AfD oder zu anderen rennen, und das tun sie ja leider auch. Das ist das Ärgerliche jetzt an solchen Vorschlägen. Ich glaube, wenn man jetzt beherzt das umsetzt, was vereinbart worden ist - das muss doch auch in Deutschland gehen, nicht nur in Holland -, wenn wir endlich Datenaustausch hinkriegen, wenn wir endlich die Verfahren beschleunigen, dann kommt Druck vom Kessel. Dass wir eine andere Steuerung brauchen, dem widerspricht doch überhaupt niemand. Ich finde nur, die Antwort muss was mit dem Problem zu tun haben. Reine Interview-Politik ohne Verantwortung, das taugt nichts, und das unterscheidet eben Frau Klöckner von Frau Dreyer, die einen Integrationsplan vorgelegt hat.
    Armbrüster: Herr Stegner, Sie haben jetzt das Asylpaket II erwähnt. Da sagt die CDU uni sono in den letzten Tagen, das blockiert vor allem die SPD.
    "Herr Seehofer will das eine, Frau Klöckner will das andere, Frau Merkel will das Dritte"
    Stegner: Aber das stimmt doch nicht, denn wir hatten da eine Vereinbarung. Und wenn man zwischen erwachsenen Menschen eine Vereinbarung hat, dann setzt man die eins zu eins um. Warum ist das noch nicht gekommen? Weil die Union nachverhandelt, weil sie zusätzlich Flüchtlinge beteiligen will an Sprachkursen, mehr als wir das verabredet haben, damit die am Ende das gar nicht machen, aber dabei ist das für Integration wichtig, und weil die beim Familiennachzug härtere Bedingungen haben will, als wir sie miteinander vereinbart haben. Ausgerechnet die christliche Union sagt das. Dabei wissen wir sehr genau, wenn junge Männer hier sind, dass es viel besser ist, die zu integrieren, wenn ihre Frauen und Kinder eben nicht in den Bombengebieten bleiben müssen.
    Dieses ständig Nachkarten und nicht umsetzen, was man will, weil die sich nicht einig sind, das ist doch das Problem in der Union. Schauen Sie sich das doch mal an. Herr Seehofer will das eine, Frau Klöckner will das andere, Frau Merkel will das Dritte. Es herrschen doch Chaostage in der Union. Die können sich nicht einigen. Mit der SPD wäre die Einigung ganz schnell zu haben, und ich höre in den letzten Tagen, dass es wohl jetzt auch zu einer Einigung über das Asylpaket II kommen wird, denn das muss ja auch sein, wenn wir nicht den Rechtsradikalen hier den Platz überlassen wollen.
    Armbrüster: Aber eigentlich muss Sie das ja als SPD-Vize auch freuen, dass sich Ihre Koalitionspartner da so gegenseitig behaken und sogar die Beliebtheitswerte von Angela Merkel mit runterziehen?
    Stegner: Es würde mich freuen, wenn das momentan die Zeit für taktische Spielereien wäre. Aber es ist bitter ernst. Wir haben eine große Herausforderung zu lösen. Viele Menschen sind verunsichert und es droht bei den Landtagswahlen, dass sich die politische Rechte erstmals wieder etabliert in Parlamenten. Das kann einen nicht freuen. Wir haben an Frau Merkel auch einiges zu kritisieren, dass sie keine Einigung in der Union hinbekommt, dass sie in Europa nichts erreicht, und auch, dass das nicht klappt mit den Verfahren bei de Maizière. Aber in den wichtigen Fragen kritisieren wir nun Frau Merkel wirklich nicht. Von rechts und im Kampf gegen Herrn Seehofer sind wir eher auf der Seite von Frau Merkel.
    Armbrüster: ... sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Ralf Stegner, der stellvertretende SPD-Vorsitzende. Vielen Dank, Herr Stegner, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Stegner: Sehr gerne. Tschüss, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.