Montag, 29. April 2024

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Ralf Stegner
"Wir wollen nicht die nettere Ausgabe der Union sein"

In der Großen Koalition komme es besonders auf die SPD-Parteilinke an, sagt Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein und designierter Vizevorsitzender der Bundespartei. Mit ihr behielten die Sozialdemokraten auch im Bündnis mit der Union ein eigenes Profil, um in vier Jahren die Regierung wieder selbst zu führen.

Ralf Stegner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 17.12.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Noch nie hat die Regierungsbildung in Deutschland so lange gedauert. Fast drei Monate wurde sondiert, dann Koalitionsverhandlungen geführt, dann die Mitgliederbefragung bei der SPD, und am Ende kam das heraus, womit viele schon am Wahlabend gerechnet hatten: die dritte Große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik. Heute stellt sich Angela Merkel zum dritten Mal als Bundeskanzlerin zur Wahl. Anschließend werden die Mitglieder der schwarz-roten Bundesregierung vereidigt. – Darüber sprechen wir jetzt mit Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein und designierter Vizevorsitzender der Bundes-SPD. Guten Morgen, Herr Stegner.
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Stegner, geht Ihnen die Frauenquote langsam auf den Geist?
    Stegner: Nein! Dass die SPD da besser ist, was die Gleichstellung angeht, als andere, das ist ja in Ordnung. Im Übrigen muss ich selbst als Landes- und Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein durchaus selbst meinen Teil leisten, dass Frauen auch in die erste Reihe kommen. Nein, nein, das ist schon nicht das Problem. Im Übrigen finde ich das ganz gut, wenn wir ausgeglichen das machen, und ich bin ganz zufrieden mit den Dingen, wie sie sich geregelt haben. Hier sitzt keiner, der verdrossen die Dinge betrachtet.
    Heckmann: Aber Sie hätten den Job schon ganz gerne gemacht?
    Stegner: Interessant wäre das gewesen, aber ich glaube, als stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD hat man durchaus auch noch ein paar andere Freiheiten, als wenn man der Angestellte der Partei ist. Aber hätte, wäre, würde, das zählt nicht in der Politik, und jetzt geht es nach vorne und ich bin schon gewillt, das, was ich bisher auch gemacht habe, nämlich mich zu kümmern um das Gerechtigkeitsprofil der SPD, auch in dem neuen Amt zu tun, denn auf die Parteilinke wird es, glaube ich, besonders ankommen in der Großen Koalition, denn unsere Mitglieder haben ja nun mit ganz großer Mehrheit einerseits den Regierungsmitgliedern und der Bundestagsfraktion den Rücken gestärkt, die Vereinbarung umzusetzen, aber andererseits erwarten sie natürlich auch, dass wir in vier Jahren wieder die Regierung selbst führen, und das wird nur gehen mit einem eigenen SPD-Profil. Das ist in einer Großen Koalition besonders wichtig.
    Große Unterschiede zwischen den Parteien
    Heckmann: Kommen wir mal auf das Agieren der SPD, der Sozialdemokraten und auch der Union. Wie ernst kann man Politiker eigentlich nehmen, die sich im Wahlkampf bis aufs Blut bekämpfen und anschließend beschwingt in eine gemeinsame Koalition eintreten? Ist der Wahlkampf also nur reine Show gewesen und das Ganze ein Beitrag zur Förderung der Politikverdrossenheit?
    Stegner: Nein, das ist überhaupt nicht so. Erstens geht es in Deutschland deutlich gemäßigter zu als anderswo. Von bis aufs Blut bekämpfen, das finde ich ein bisschen übertrieben. Zweitens, waren es nicht die Medien, die gesagt haben, die Parteien unterscheiden sich gar nicht im Wahlkampf, die seien alle so langweilig, die seien alle so gleich? Ich habe dem immer widersprochen. Nein, wir sind schon sehr unterschiedliche Parteien, und ich gehöre auch zu denen, die glauben, dass eine Auseinandersetzung notwendig ist in einer Demokratie. Wahlkämpfe gibt es nur in Demokratien. Wir wollen nicht die nettere Ausgabe der Union sein. Aber andererseits gilt in der Demokratie: Es entscheiden ja nicht die Parteien, was danach passiert, sondern die Bürgerinnen und Bürger, und die Bürgerinnen und Bürger haben uns eine Aufgabe hinterlassen. Die mag nicht jedem gefallen, aber die ist eindeutig, nämlich ein starkes Ergebnis für die Union, aber keine absolute Mehrheit für die Union. Die FDP ist rausgeflogen, also geht es nicht mit der Politik der Vergangenheit, und die SPD leider nur mit 25 Prozent.
    Öffnung für Bündnis mit Linkspartei
    Heckmann: Aber es hätte ja Alternativen gegeben für die SPD, gerade für die SPD?
    Stegner: Na ja, es ist so: wir haben vor der Wahl gesagt, wir werden nicht Rot-Rot-Grün machen. Ich habe das eher für einen Fehler gehalten, das auszuschließen, aber das haben wir nun mal gesagt und dann kann man nicht nach der Wahl das Gegenteil tun. Wir hätten das bitter bezahlt, wenn man in so einer zentralen Frage das Gegenteil tut. Aber die Konsequenz daraus lautet ja auch, dass wir künftig vor Wahlen nur noch ausschließen, mit Rechtsparteien zusammenzugehen, das verbietet sich für die SPD, aber dass wir nicht mehr automatisch ausschließen, eine Mehrheit diesseits der Union zu nutzen, denn das war ja bisher sehr bequem. Für Frau Merkel war es bequem, die konnte sich zurücklehnen, und für die Linkspartei war es auch bequem, sie musste überhaupt nicht in Richtung Regierungsfähigkeit sich verändern. Das wird sich künftig anders darstellen. Unser Ziel wird es sein, solche Dinge nicht automatisch auszuschließen, wenn die nächste Wahl 2017 stattfindet.
    Heckmann: Die Große Koalition, die jetzt ansteht, Herr Stegner, inwieweit dürfte die zum Konjunkturprogramm für die Linke werden bei der nächsten Bundestagswahl? Denn ein echter Politikwechsel, der fällt ja aus, sage nicht ich, sondern sagt die neue Chefin der Jungsozialisten.
    Stegner: Ja gut. Natürlich ist es etwas anderes, wenn man in eine Große Koalition geht mit 25 Prozent, als wenn man eine Regierung führt. Auf der anderen Seite ist die Linkspartei doch in keinem guten Zustand und es wird nur dann zum Konjunkturprogramm für die Linkspartei, wenn wir das nicht umsetzen, was wir vereinbart haben. Wir haben eine Menge konkreter Vereinbarungen, die für die Menschen gut sind in diesem Land. Ich nehme mal nur das Kapitel gute Arbeit, endlich flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, endlich gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen, endlich mehr Tarifbindung in Deutschland, Überwindung der prekären Beschäftigung, ordentliche Rente. Das sind alles Punkte, die ganz viele Menschen betreffen, und wenn wir da liefern und das machen, was wir vereinbart haben, dann weiß ich gar nicht, wo die Linkspartei hier Zuwächse hernehmen will, denn die polemisieren ja dagegen und sagen, sie könnten das alle besser, obwohl sie es in der Praxis ja gar nicht können. Die SPD muss das umsetzen, das haben wir den Menschen versprochen. Übrigens das ist der Grund auch, warum unsere Mitglieder Ja gesagt haben zu diesem Koalitionsvertrag.
    "Wir sind nicht die FDP"
    Heckmann: 75 Prozent. 25 Prozent haben nicht Ja gesagt, das muss man dazu sagen. Sie haben jetzt ein paar Punkte aufgezählt, Herr Stegner. Aber wenn man sich das genauer anschaut, dann ist ja nicht alles Gold, was glänzt. Es gibt keine Steuererhöhungen, also auch nicht aus Ihrer Sicht jedenfalls mehr Gerechtigkeit in der Steuerpolitik. Der Mindestlohn, den Sie gerade angesprochen haben, der kommt ja flächendeckend und für alle erst 2017, und dann stehen schon wieder die Neuwahlen bevor.
    Stegner: Nein, das stimmt nicht. Da muss ich Ihnen widersprechen. Der Mindestlohn kommt, der ist in einem Jahr flächendeckend im Gesetz in Deutschland.
    Heckmann: Aber nicht für alle!
    Stegner: Moment! Nur dort, wo es Tarifverträge gibt, laufen die noch aus. Oder da, wo wir Leute haben, die deutlich unter 8,50 Euro momentan bekommen – und das sind ganz viele - und jetzt Tarifverträge kommen, dann wird eine Brücke hingebaut, also eine Verbesserung für ganz viele Menschen. Ich sage Ihnen, ich weiß, wovon ich rede. Schleswig-Holstein, das Land, aus dem ich komme, ist das Niedriglohnland Nummer eins im Westen. Da wird es eine Menge Verbesserung geben für Menschen, für viele Menschen, und die werden wir bewirken. Also ich glaube nicht, dass das falsch ist. Und was die Steuererhöhungen angeht, da haben Sie recht. Wir wären der Meinung gewesen, wir hätten die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker belasten sollen, aus Gerechtigkeitsgründen, aber auch um mehr Einnahmen zu erzielen. Ich sage aber auch: Das was wir mit der Union verabredet haben, die Verbesserung bei Bildung, für die Kommunen, für Infrastruktur, all das steht nicht unter Finanzvorbehalt, sondern wir haben konkret verabredet, 23 Milliarden Euro werden dafür eingesetzt. Die Union meint, das geht ohne Steuererhöhungen, das haben die versprochen, nicht wir. Schauen wir mal! Aber gemacht wird das, da gibt es keinen Finanzvorbehalt. Wir sind nicht die FDP! Wir gehen nicht für ein paar Ministerposten in die Regierung und geben unsere Glaubwürdigkeit dran. Bei uns ist das anders, die Vereinbarungen sind konkret und das werden Sie sehen, und daran werden die Menschen uns 2017 auch messen.
    Heckmann: Das sehen die Jungsozialisten ein bisschen anders. Sie, die SPD, Sie haben ja auch die Rente mit 63 durchgesetzt für Leute, die 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben beziehungsweise versichert waren. Was aber ist, fragt beispielsweise Gregor Gysi gerade eben bei uns im Programm, mit den ganzen prekär Beschäftigten? Die haben davon nichts.
    Stegner: Was die prekär Beschäftigten angeht, kann ich nur sagen: All das, was wir beim Thema Arbeit machen, nämlich endlich für gute Arbeit, für Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen, das wird denjenigen helfen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit übrigens auch. Das bedeutet für Frauen eine deutlich größere Verbesserung als jeder Eingriff an der Rentenformel.
    "Das ist ein Zweckbündnis auf Zeit"
    Heckmann: Das gilt dann für die Zukunft?
    Stegner: Politik wird für die Zukunft gemacht. Wir können nicht alles verbessern, was in der Vergangenheit falsch gewesen ist. Die SPD hat aber durchaus gelernt und Herr Gysi ist ja durchaus argumentationsstark und ein netter Kerl ist er auch, aber was das Liefern angeht, muss ich sagen, gibt es da keine besonders konkreten Konzepte von der Linkspartei. Insofern: Ich glaube schon, dass wir da Verbesserungen hinbekommen werden. Im Übrigen: Als ich bei den Jusos war, war ich auch generell gegen Große Koalitionen. Ich verstehe da die neue Juso-Vorsitzende durchaus. Das ist ja nicht unsere Traumkonstellation. Wir wollen die Union auch nicht heiraten, sondern das ist ein Zweckbündnis auf Zeit.
    Und wenn wir das gut machen – und das ist der Kern -, dann sind wir weder braver Juniorpartner, noch sind wir Opposition in der Regierung, sondern wir sind das Gegengewicht mit der Perspektive, die nächste Regierung selbst zu führen, und da muss man bei den Gerechtigkeitsfragen was tun. Das ist im Übrigen ja nicht nur Arbeit und Rente, sondern das ist auch mehr für die Pflege. Das bedeutet Begrenzungen bei den Mieten, das bedeutet eine Energiewende, die bezahlbar auch ist für die Menschen und nicht nur versorgungssicher und ökologisch vernünftig. Also eine Menge Punkte, um die die SPD sich zu kümmern hat, und im Übrigen mit einer neuen Staatsministerin für Integration und Flüchtlinge auch eine andere Form von Integrationspolitik für Menschen, die zu uns gekommen sind.
    Heckmann: 2017 stehen die nächsten Bundestagswahlen an, wenn die Koalition bis dahin hält. Davon gehen wir jetzt mal aus. Wie werden Sie das dann anstellen, Wahlkampf gegen den Koalitionspartner? Oder stellen Sie sich insgeheim schon auf die Große Koalition Nummer vier ein?
    Stegner: Nein! Wer für eine Große Koalition im Wahlkampf wirbt, der kann auch gleich eine Familienpackung Schlaftabletten verteilen für den Wahlkampf. Das ist nicht das, was wir wollen, sondern natürlich wollen wir die nächste Regierung wieder selbst führen. Das werden wir aber nur schaffen, wenn wir ordentlich in der Regierung arbeiten. Man kann nicht von vornherein so tun, als sei man jetzt die Opposition. Und dass man Wahlkampf macht gegen diejenigen, mit denen man eine Koalition gebildet hat, das ist nicht ungewöhnlich in einer Demokratie. Das machen wir schon beim Europawahlkampf im nächsten Jahr, weil wir eine andere Vorstellung von Europa haben, weil wir ein soziales Europa wollen und keines, wo die Banken entscheiden, weil wir was gegen Jugendarbeitslosigkeit tun wollen, weil wir mehr Gerechtigkeit in Europa brauchen. Da haben wir andere Vorstellungen als die Union. Noch mal: Wir wollen nicht fusionieren, sondern das ist ein Zweckbündnis auf Zeit. Das ist eine Lebensabschnittspartnerschaft und die endet 2017 und hoffentlich wieder mit einem sozialdemokratischen Kanzler.
    Heckmann: Schauen wir mal, wie es ausgeht. Herr Stegner, besten Dank für das Interview. Ralf Stegner war das, der designierte Vorsitzende der Bundes-SPD, live hier im Deutschlandfunk.
    Stegner: Sehr gerne. Tschüß, Herr Heckmann.
    Heckmann: Danke, Ihnen einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.