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Ramadan in der Schule
Fasten bis zum Umfallen

Beim muslimischen Ramadan machen auch Schülerinnen und Schüler machen mit. Für manche hat das Wettbewerbscharakter. An einer Hamburger Schule erklärt ein Islamwissenschaftler, warum es für Kinder und Jugendliche keine Pflicht zum Verzicht gibt - und wie man mit Augen und Ohren fasten kann.

Von Mechthild Klein | 06.05.2019
ARCHIV - ILLUSTRATION - Schüler aus Syrien werden am 12.12.2016 in einer Schule in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) im Rahmen eines Projektes zur Gesundheitserziehung unterrichtet. Ein Mädchen mit Kopftuch sitzt dabei an einem Tisch und hält einen Bleistift. (zu dpa «Studie «Chancenspiegel»: Jeder achte Ausländer bricht die Schule ab» vom 01.03.2017) Foto: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Kinder und Jugendliche, die im Ramadan fasten, sind in der Schule oft unkonzentriert und müde (dpa / dpa-Zentralbild / Sebastian Willnow)
Der Fastenmonat Ramadan liegt in diesem Jahr in der weitgehend ferienfreien Zeit. Er beginnt in dieser Woche und endet Anfang Juni. Wer fastet, verzichtet für rund 15 Stunden auf Getränke und Nahrung.
"Und das bringt einfach Probleme mit sich", sagt Astrid Sanders. "Die Schüler kommen zum Teil müde zur Schule, weil sie abends das Fastenbrechen mitmachen, weil sie aufgeregt sind, haben sie vielleicht keine Hausaufgaben. Sie sind nicht leistungsfähig, weil sie fasten, kippen zum Teil um im Unterricht – das sind alles Sachen, die uns beschäftigen. Wo wir überlegt haben, dass wir einen Rahmen brauchen, um im Schulalltag damit umzugehen."
"Können nur bedingt Rücksicht nehmen"
Astrid Sanders ist Lehrerin an der Hamburger Nelson-Mandela-Schule im Stadtteil Kirchdorf. Sie ist dort didaktische Leiterin. Mehr als 1000 Kinder und Jugendliche aus 50 Nationen gehen an diese Schule. Religiöse Vielfalt ist dort Alltag. Schätzungsweise 85 Prozent gehören islamischen Traditionen an. Viele von ihnen fasten.
Sanders erzählt: "Was den Schulalltag angeht, gerade jetzt ist auch die Prüfungszeit. Die ESA, die frühere Hauptschulprüfung und die MSA, die frühere Realschulprüfung, stehen an, das Abitur ist jetzt gerade geschrieben, aber die mündlichen Prüfungen stehen auch noch an. Das sind alles Sachen, da können wir im Schulalltag auch nur bedingt drauf Rücksicht nehmen. Weil das auch Termine sind, die von der Behörde vorgegeben sind. Und wo wir gesagt haben, da müssen sich die Schüler dem Schulalltag anpassen. "
Serdar Kurnaz sagt: "Generell gilt, dass in der islamischen Tradition auch nur diejenigen fasten können, die auch dazu in der Lage sind, den ganzen Tag fasten zu können. Ein genaues Alter wird in den Quellen nicht angegeben, so dass man von Fall zu Fall und individuell sehr gut betrachten kann und entsprechend auch bewerten kann."
Serdar Kurnaz ist Imam und Professor für Islamische Theologie an der Universität Hamburg.
Kurnaz lehnt es ab, dass auch Grundschulkinder fasten. Sie könnten allenfalls ausprobieren auf Süßigkeiten zu verzichten. Für Jugendliche ab 14 Jahren sei es aber durchaus denkbar, dass sie zeitweise fasten - solange schulische Leistungen nicht darunter leiden. Denn es gibt vielfältige Möglichkeiten in den islamischen Traditionen, das Fasten auszusetzen oder nachzuholen.
Kurnaz: "Da gilt es zu berücksichtigen für die Eltern, dass sie das Gespräch erst suchen müssen mit den Kindern oder den Jugendlichen. Und dann auch einen möglichen Plan entwickeln können, dass nur an gewissen Tagen gefastet wird. Dass, wenn Klausuren geschrieben werden, überhaupt nicht gefastet wird. Denn es gilt in der muslimischen Tradition ohnehin, dass man sich nicht zu sehr verausgaben soll, um zu fasten. Sondern das Fasten sollte der Gesundheit nicht schaden. Denn zum Fasten gehört nicht nur, dass man auf das Essen und Trinken verzichtet, sondern auch eine gewisse innere Haltung."
Wett-Fasten und Mobbing
Die innere Haltung müssen sich junge Gläubige vielleicht auch erst erarbeiten. Schülerinnen und Schüler, die nicht fasten, berichten immer wieder davon, dass sie gemobbt werden. Zwischen denjenigen, die auf Essen und Trinken verzichten, kann es zu einer Konkurrenz kommen, wer länger durchhält. Serdar Kurnaz sieht das kritisch:
"Beim Fasten geht es nicht darum, einen Wettbewerb zu starten, wer der wahre Muslim ist oder der bessere Muslim. Sondern das Fasten soll genau jemanden dazu erziehen, dass man nicht nach diesen Gedanken strebt. Sondern nur mit seinen eigenen Fehlern, mit seinen eigenen Handlungen beschäftigt ist."
Der islamische Theologe verweist auf die spirituelle Erfahrung, die der Fastende machen könnte. Dass man an die Menschen denkt, die weniger haben als man selbst. Dass die Gläubigen aufgerufen seien einander zu vergeben und ...
"…. auch Liebe gegenüber denjenigen zu zeigen, die nicht in der Lage sind zu fasten oder die nicht fasten möchten, aus welchem Grund auch immer."
Die Hamburger Nelson-Mandela-Schule kennt die unliebsamen Auswüchse im Ramadan. Damit die Schülerinnen und Schüler weder um die Wette fasten noch andere als angeblich schlechte Muslime mobben, lädt die Schule seit drei Jahren einen Islamwissenschaftler ein, der über die Hintergründe des Fastens aufklärt. Das Gespräch ist für alle sechsten Klassen und wird vom Schülerrat moderiert.
Astrid Sanders sagt: "Uns ist ganz wichtig, dass der Fokus darauf liegt, dass es nicht darum geht oder nicht nur darum geht, dass man nichts isst, sondern dass es eigentlich um innere Einkehr geht. Der Islamwissenschaftler hatte es so schön formuliert, dass man auch mit Mund, Augen und Ohren fastet. Dass man keine Schimpfwörter benutzt und nicht in Streits verwickelt wird und ähnliches. Dass es eine Sache ist zwischen sich selbst und Allah und nicht auf Außenwirkung bedacht ist."
Durchweg gute Erfahrungen
Die Erfahrungen der Schule sind durchweg gut, berichtet Astrid Sanders. Die Schülerinnen und Schüler diskutieren darüber, wie sie sich während der Fastenzeit verhalten wollen. So entwickeln die Sechstklässler ein Bewusstsein für Toleranz und Verständnis auch für Nicht-Fastende. Was den Unterricht während der Ramadan-Zeit angeht, appelliert die Schule besonders an die Eltern. Die Schulleitung hat einen deutlichen Brief an Erziehungsberechtigte geschrieben, dass die Schüler trotz Ramadan pünktlich zu sein haben und leistungsfähig. Prüfungen und Klausuren könnten nicht verschoben werden.
Sanders sagt: "Einerseits eine klare Ansage - wir wollten aber auch gleichzeitig mit dem Brief unserer Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen und haben parallel in diesem Brief, Eltern und Schüler zu uns in die Schule eingeladen, dass wir einmal gemeinsam während dieser Fastenzeit den Iftar feiern, den Abschluss des Fastentags. Es wird ja immer abends das Fastenbrechen begangen zusammen nach Sonnenuntergang.
Das haben wir dann einmal zusammen in der Schule gefeiert. Das war uns auch ganz wichtig, dass da eben nicht nur die Muslime kommen können, sondern alle, die an unserer Schule beteiligt sind. Das gehört alles an unserer Schule dazu, genauso wie bei uns auch ein Adventskranz ist. So wie der Schulchor Weihnachtslieder singt, gehört auch der Iftar zu unserem Schulleben dazu."