Mittwoch, 01. Mai 2024

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Ramelow kritisiert Seehofer
"Wahlkampfverlagerung in die politischen Gremien"

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat die Vorstellung der Pläne zur Migration von Bundesinnenminister Horst Seehofer als CSU-Wahlkampfpropaganda bezeichnet. Er sei gespannt, wann die Bundesregierung die Maßnahmenpakete vorlege, die wirklich umgesetzt werden sollen, sagte Ramelow im Dlf.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Silvia Engels | 11.07.2018
    Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) im Landtag in Erfurt
    Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) im Landtag in Erfurt (Imago)
    Silvia Engels: 63 Punkte umfasst der Masterplan Migration, den Innenminister Horst Seehofer gestern vorlegte. Die SPD ärgerte sich anschließend darüber, dass darin wieder von Transitzentren die Rede war und der im Koalitionsausschuss gefundene Asylkompromiss zum Thema Flüchtlingsabweisung nicht komplett eingearbeitet war. Doch dieser Streit umfasst nur einen kleinen Teil der Migrationspolitik, die Seehofer ja generell umbauen will – zum einen mit Hilfe von bilateralen Abkommen, also europäisch, zum anderen aber auch mit Veränderungen im Inland. Mitgehört hat Bodo Ramelow. Er ist der Ministerpräsident des Landes Thüringen und er gehört der Linken an. Guten Morgen, Herr Ramelow.
    Bodo Ramelow: Guten Morgen!
    Engels: Sie haben es gerade mitgehört. Da ist ein ganzer Katalog dabei, wo eigentlich die Länder zustimmen müssen, damit das überhaupt kommt: verschärfte Abschiebehaft, jetzt doch wieder in normalen Gefängnissen zum Beispiel, dann mehr Sachleistungen statt Sozialleistungen, nur mal diese beiden herausgegriffen. Gehen Sie da mit?
    Ramelow: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den Rechtsstaat von innen her aushöhlen, indem wir sagen, es gibt einzelne Gruppen, für die gelten unsere rechtsstaatlichen Normen nicht oder immer weniger. Und in dem Fall ist es so: Wenn ich das Wort Haft und Lager höre, dann höre ich, dass wir etwas machen sollen, vornehmen sollen, was eigentlich nur ein Gericht anordnen kann und ein Richter. Wir haben eine Gewaltenteilung. Und die Frage, ob wir einem Menschen die Freiheit nehmen können in unserem Land, hängt davon ab, ob es eine rechtsstaatlich normierte Verurteilung vorher gibt, und nicht, ob wir über Innenpolitik einfach sagen, wir bilden Lager und aus diesen Lagern nehmen wir den Menschen die Freiheit, sich frei zu bewegen. Deswegen gab es ja auch diesen absurden Streit, ob es ein Transitzentrum oder das Transitverfahren sein soll. Und ganz bockig sagt dann der Bundesinnenminister, das ist mir doch egal, was wir mit dem Koalitionspartner vereinbart haben, ich lege mal mein altes Papier vor - das er aber vor 14 Tagen zum Beispiel den Ministerpräsidenten nicht vorgelegt hat. In der Ministerpräsidentenkonferenz wäre Zeit gewesen, über angemessene Maßnahmen miteinander zu reden, aber dem haben sich sowohl der Ministerpräsident von Bayern als auch der Bundesinnenminister einfach entzogen, indem beide nicht anwesend waren.
    "Schlechter Stil"
    Engels: Verstehe ich Sie recht, dass der Bundesinnenminister in den genannten Punkten, sei es Haftbedingungen, sei es Sozialleistungen und mehr Nutzung von Sachleistungen, nicht die Zustimmung der Ministerpräsidenten bekommen wird?
    Ramelow: Das kann ich Ihnen nicht sagen! Wir haben es nicht diskutieren können, weil das Bundesland Bayern sich hingestellt hat und hat gesagt: Wir unterstützen den Masterplan des Bundesinnenministers. Und auf die Frage von 15 Ministerpräsidenten, und zwar aller parteipolitischer Couleur, ob man uns den Masterplan mal vorlegen könnte, wurde uns mitgeteilt, nein, man habe ihn nicht. Und als wir später ins Kanzleramt kamen, um die gemeinsame Runde aller Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung durchzuführen, war Herr Seehofer auch nicht da und niemand konnte uns Aufklärung von der Bundesregierung darüber geben, was ist denn die Beschlusslage und was soll gesetzgeberisch umgesetzt werden. Insoweit ist das, was Herr Seehofer gestern gemacht hat, nicht nur ein schlechter Stil. Es ist einfach die Wahlkampfverlagerung in die politischen Gremien der Verfassungsorgane. Und ich finde, so sollten wir staatlich nicht miteinander umgehen, weil damit der Bevölkerung signalisiert wird, diese Regierenden und die Verantwortungsträger seien nicht in der Lage, mit den Problemen umzugehen. Und ich weiß einfach nicht, was Thüringen umsetzen soll, weil uns immer noch nichts gesetzlich vorgelegt wurde.
    Engels: Nun haben Sie aber zumindest einen Blick auf den Masterplan werfen können.
    Ramelow: Von dem ich nicht weiß, ob es der Masterplan der Bundesregierung ist, oder das Geburtstagsgeschenk, das sich Herr Seehofer zu seinem 69. macht, der sich gleichzeitig freut, dass er 69 Abschiebungen an dem Tag vorgenommen hat. Ich finde, so geht man einfach mit Menschen nicht um und so darf Humanität nicht mit Füßen getreten werden.
    Engels: Haben wir verstanden. Jetzt noch mal der Blick auf Thüringen. Nehmen wir an, das würde Regierungshandeln werden, haben Sie da schon Punkte rausgegriffen, die Thüringen auf gar keinen Fall umsetzt?
    Ramelow: Ich will da sehr konsequent bleiben! Verzeihen Sie mir, dass ich Wahlkampf-Attitüden und CSU-Wahlkampfpropaganda nicht zum regierungsamtlichen Handeln umsetzen lasse. Ich bin gespannt, wann uns die Bundesregierung die Maßnahmenpakete vorlegt, die wirklich umgesetzt werden sollen. Denn das Thema Ankerzentren, das haben wir vor drei Jahren schon einmal als Diskussion gehabt, und damals wollte es nur Bayern für sich haben. Ich habe im Kreis der Ministerpräsidenten und der Bundesregierung dann gefragt, was das für eine praktische Auswirkung hat, oder ob der Bund in Zukunft die komplette Verantwortung für Asylverfahren übernehmen möchte. Dann wären wir Länder und unsere Kommunen endlich entlastet vor einem endlosen Wirrwarr an Rechtszuständigkeiten und Verantwortungs-Hin- und Herschieberei.
    "Ich lehne diesen Umgang mit Bundesländern ab"
    Engels: Halten wir fest: Sie schließen aber auch nicht aus, dass diese Maßnahmen umgesetzt werden?
    Ramelow: Dann haben Sie mich falsch verstanden. Verzeihen Sie, dann haben Sie mich falsch verstanden. Ich kenne diese Maßnahmen nicht. Das was Herr Seehofer gestern gemacht hat, ist reine CSU-Wahlkampfpropaganda, und ich lehne diesen Umgang mit Bundesländern und Verfassungsorganen einfach ab.
    Engels: Dann versuchen wir noch mal, einen Weg anders herum zu nehmen. Thüringen hat selbst weniger Asylsuchende aufzunehmen als andere Bundesländer.
    Ramelow: Nein! Wir haben nach Königsteiner Schlüssel unsere Verpflichtung, die wir einhalten, gesamtstaatlich, und wir stehen zu dieser gesamtstaatlichen Verantwortung und wir kümmern uns um die 25.000 Flüchtlinge, die bei uns mittlerweile angekommen sind und um deren Integration wir uns gerade sehr stark bemühen.
    Engels: Ihre Integrationsmaßnahmen in allen Ehren – jetzt gibt es ja auch in den Ankündigungen von Herrn Seehofer einige Punkte, beispielsweise in den Herkunftsländern Investitionen zu fördern, die wahrscheinlich unstrittig sind. Könnten Sie denn bei diesen Maßnahmen mitgehen?
    Ramelow: Das ist immer schon unsere Linie gewesen, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen. Aber dann müssen wir auch dafür sorgen, dass Fluchtursachen wirksam bekämpft werden. Dann dürfen wir aber nicht gleichzeitig auch noch deutsche Waffen in diese Krisenregionen lenken und liefern, sondern wir müssen uns dann entscheiden, auf welcher Seite wir bei der Friedensintervention stehen wollen und wie wir tatsächlich auch an den ökonomisch verursachten Fluchtursachen mitwirken und wie unser eigenes Verhalten sich im internationalen Maßstab verändert.
    "Aufhören, Gruppen gegeneinander auszuspielen"
    Engels: Nun ist es so, dass ein Punkt, den Herr Seehofer nennt, aber nicht alleine den betrifft, dass möglicherweise Asylbewerber längere Zeit niedrige Leistungen erhalten sollen, erst später dann Leistungen auf Höhe von Sozialhilfe ihnen zugemessen werden sollten. Damit reagieren ja viele Parteien mittlerweile auf die Idee, dass sich viele Sozialhilfeempfänger mit deutschem Pass gegenüber Leistungen für Flüchtlinge zurückgesetzt fühlen. Lassen Sie dieses Argument gelten?
    Ramelow: Ich lasse die emotionale Wahrnehmung gelten, denn tatsächlich: Drei Millionen Kinder, die unter Hartz-IV-Bedingungen in Deutschland aufwachsen, sind drei Millionen Mal eine Schande für unser Land. Wir müssen endlich umsteuern. Das heißt, wir müssen uns um die Menschen kümmern, die tatsächlich das Gefühl haben, abgehängt zu sein. Das ist aber nicht zu vermischen mit Asylsuchenden, sondern Asylsuchenden müssen wir den Weg in den Arbeitsmarkt ebnen. In meinem Bundesland Thüringen werden aktuell 3.000 Auszubildende gesucht. Auch Deutsche aus ganz Deutschland hätten jetzt gute Chancen, auf dem Arbeitsmarkt in Thüringen einen adäquaten Arbeitsplatz und oder eine Ausbildung zu finden. Das heißt, wir müssen aufhören, die eine Gruppe gegen die andere Gruppe ausspielen zu lassen. Deswegen wäre es gut und richtig, nicht die Frage der Leistungen immer zu thematisieren gegenüber den Asylsuchenden, sondern die Frage der Integrationsfähigkeit. Ich habe gestern gerade ein Aufnahmezentrum bei uns, eine Gemeinschaftsunterkunft besucht, und da stehen dann einzelne Fälle vor mir, Menschen, die dann auf einmal sagen, warum dürfen wir nicht arbeiten, warum lasst ihr uns nicht in den Arbeitsmarkt hineinkommen? Das sind dann Menschen, bei denen das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, aber die Duldung nicht ausgesprochen wurde. Wir drücken uns vor einem Wirrwarr von Entscheidungen, indem wir einfach Menschen zwei, drei Jahre in solchen Verfahren immer noch drin haben. Es wäre gut und richtig, wenn die Verfahren einfach schlicht nach drei Monaten abgeschlossen wären und diese Menschen wüssten, dass sie jetzt eine Perspektive auf Integration haben. Und wenn sie eine Duldung haben wäre es gut, wenn wir endlich eine Altfall-Regelung schaffen würden. Und denjenigen, die keine Chance auf Asyl haben, bei denen aber auch keine Rückschiebung wohin auch immer eintreten kann, die sogenannten Duldungsfälle, da müsste endlich mit der Altfall-Regelung dafür gesorgt werden, dass sie integriert werden. Das heißt, sie müssen arbeiten gehen dürfen, damit sie mit ihrer Hände Arbeit das leisten können, was sie auch leisten wollen, nämlich Teil unserer Gesellschaft zu werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.