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Ramelow weist Stasi-Debatte um Lötzsch-Mitarbeiter zurück

Laut "BZ" soll der Leiter des Bundestagsbüros von Linken-Chefin Gesine Lötzsch früher beim Stasi-Wachregiment tätig gewesen sein. Bodo Ramelow hält das für wenig problematisch - und begründet die "Hysterie" mit "wie wenig Kenntnis man eigentlich über das System der DDR habe".

20.01.2011
    Silvia Engels: Ursprünglich sollte heute in einer Aktuellen Stunde des Bundestages über umstrittene Äußerungen der Parteichefin der Linken, Gesine Lötzsch, zum Kommunismus debattiert werden. Die Aussprache ist aus Termingründen auf morgen verschoben worden. Gleichwohl gerät die Parteichefin der Linken von einer anderen Seite her in die Kritik. Nach einem Bericht der Zeitung "BZ" soll der Leiter ihres Bundestagsbüros drei Jahre lang hauptamtlich bei einem Stasi-Wachregiment tätig gewesen sein. – Am Telefon zugeschaltet ist uns der Fraktionschef der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow. Guten Morgen, Herr Ramelow.

    Bodo Ramelow: Guten Morgen!

    Engels: Ein Sprecher des Parteivorstandes Ihrer Partei wollte diese Meldung gestern nicht kommentieren. Wenn es aber der Wahrheit entspricht, wie problematisch ist das?

    Ramelow: Überhaupt nicht. Es ist einfach mittlerweile eine hysterische Kampagne, die da angestimmt wird und die die Dinge, die im Osten alle zuordenbar sind und die die Menschen, die im Osten gelebt haben, auch sich einordnen können, jetzt mittlerweile im Westen mit einer Note versehen werden, die nicht mehr nachvollziehbar ist. Das Wachregiment Felix Dserschinski ist zum Beispiel in Thüringen nicht mal angabeverpflichtet. Wenn also ein Mitglied des Wachregimentes in Thüringen für den Landtag kandidiert, muss er das im Landtagshandbuch nicht angeben. Ein Kollege von mir hat darauf bestanden, dass es eingetragen wird, und daraufhin hat sich die damalige Landtagspräsidentin, die heutige Ministerpräsidentin Lieberknecht, bei ihm sogar noch bedankt dafür, dass er darauf bestanden hat, weil er einfach gesagt hat, ich will, dass es im Handbuch eingetragen ist.
    Das Wachregiment ist quasi eine militärische Formation, die in der Zuordnung der DDR zum MfS, zum Ministerium für Staatssicherheit, zugeordnet war. Dazu gehören genauso Personenschützer. Viele dieser Personenschützer sind anschließend sogar von der Bundesrepublik übernommen worden. Hochrangige Politiker sind damals sehr intensiv beschützt worden von Mitarbeitern, die vorher bei entsprechenden Personenschutzorganisationen oder Wachschutzorganisationen des MfS tätig waren, weil die einfach von der Zuordnung dem Ministerium zugeordnet waren. Daraus wird jetzt eine Stasi-Geschichte gemacht, daraus wird eine IM-Geschichte gemacht, das ist aber alles dem Mitarbeiter gar nicht vorzuhalten. Es gibt gegen ihn weder eine strafrechtliche, noch eine sonstige Vorhaltung, außer dass er eine Tätigkeit hatte, die dem Wachregiment und damit dem Ministerium zugeordnet war.

    Engels: Können Sie damit ausschließen, dass er, weil er eben beim Stasi-Wachregiment war, irgendwelche Spitzeltätigkeiten ausgeübt haben könnte?

    Ramelow: Ich kann überhaupt nichts ausschließen, weil ich von dem Vorgang erst seit heute aus der Presse erfahren habe und ich bislang 20 Jahre das Gefühl hatte, dass dann, wenn es Vorhaltungen gibt, die Medien alle sehr gut recherchiert haben. Das Stasi-Unterlagengesetz ist so, dass Journalisten die Anfragen stellen können. Daraus sind ja ganze Jagdszenen gemacht worden, dass Menschen sich rechtfertigen mussten. Ich habe es selber erlebt, dass eine Mitarbeiterin, die als Dolmetscherin tätig war, anschließend eine Stasi-Legende angedichtet bekommen hat. In Wirklichkeit war sie Dolmetscherin und hat das nie verschwiegen. Das ist in meinem Fall damals sogar öffentlich dokumentiert worden, und trotzdem ist mitten im Wahlkampf dann auf einmal eine Stasi-Legende daraus gemacht worden und ihre eigene Familie sogar, ihre Kinder sind dann anschließend auch noch öffentlich durch die Blätter gezogen worden, und da sage ich mal, da dreht sich dann das, was eigentlich gewollt war, nämlich Aufarbeitung zu betreiben, damit die Verstrickungen auch derjenigen, die als IM oder als Zuträger gearbeitet haben, sich rechtfertigen müssen. Und in meiner Partei gilt folgender Satz, folgender Regelsatz: Jeder, der in der Vergangenheit der DDR sich etwas zuschulden hat kommen lassen, und zwar nicht im strafrechtlichen Sinne, sondern im politischen Sinne, muss seine Biografie offenlegen. Und bisher war es immer so, dass diese Auseinandersetzung dann auf einem Parteitag stattfinden musste.

    Engels: Aber wäre es dann nicht vielleicht auch wirklich geschickter, wenn man auch, gerade weil vielleicht die Trennungen zwischen Stasi-Wachregiment und anderem, dass man das einfach auch offenlegt, denn das Problem beginnt ja dann wieder, wenn gewisse Sachen vermeintlich ans Licht kommen, die bislang nicht bekannt waren?

    Ramelow: Ich weiß gar nicht, ob das heimlich war, oder heimlich gewesen sein sollte, oder jetzt verheimlicht werden sollte. Es wird jetzt auf einmal skandalisiert, weil Frau Lötzsch das K-Wort in den Mund genommen hat, weil sie, wie ich finde, in einer nicht ganz glücklichen Art und Weise über den Kommunismus einen Aufsatz geschrieben hat, der am Schluss eine klare Absage an totalitäre Regime ist. Und statt darüber zu reden, dass demokratischer Sozialismus unser Weg ist, geht es jetzt wieder um ein Beschmutzen, geht es wieder darum, den Finger auf Einzelne zu zeigen, und jetzt zeigt man nicht mehr auf Gesine Lötzsch, sondern auf ihren Mitarbeiter, vielleicht auch noch auf den Nachbarn des Mitarbeiters, und das ist eine Methode, die mit der Aufarbeitung überhaupt nichts zu tun hat.
    Ich will es noch mal klar sagen: Wer sich etwas zuschulden hat kommen lassen, muss dafür geradestehen, der kann auch nicht beschützt werden durch unsere Partei. Aber dass ein Mitarbeiter, der in einem Arbeitnehmerverhältnis steht und dessen Vergangenheit er mit seiner Dienstherrin abzuklären hat, nun auf einmal an den Pranger gestellt wird und damit aus einer Wachregiments-Tätigkeit eine hysterische Debatte über Stasi gemacht wird, das dreht die Dinge einfach auf den Kopf und es zeigt mir auch, wie wenig Kenntnis man eigentlich über das System der DDR hatte, und auch, wie wenig Kenntnis man haben will.

    Engels: Herr Ramelow, der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag fordert nun – Stefan Müller heißt er – eine Überprüfung aller Mitarbeiter der Linksfraktion auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit. Ich nehme an, Sie sind nicht begeistert von dieser Forderung. Wollen Sie Herrn Müller dann aber auf anderem Wege deutlicher erklären, wie das Ihrer Ansicht nach auseinanderzuhalten ist?

    Ramelow: Ich finde das einfach nur noch absurd. Das sind die gleichen Leute, die vorher immer die Beschlüsse zur Überprüfung von Mitarbeitern und zur Überprüfung von Abgeordneten abgelehnt haben. Als es darum ging, zum Beispiel sämtliche Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf Stasi-Tätigkeit zu überprüfen, war es die CDU, die CSU, die FDP, die immer uni sono gesagt hat, das kommt gar nicht in Frage, Vergangenheitsbewältigung und Vergangenheitsbewertung findet nicht statt, wenn es denn bei ihnen im eigenen Hause stattfindet. Aber dann auf einmal zu sagen, es gibt eine Sonderbehandlung – das sagt ja die CSU, die gleichzeitig die flächendeckende Überwachung der gesamten Linken in Deutschland durch den Geheimdienst will. Das heißt, wenn es denn der richtige Geheimdienst ist, dann darf sich die Linke sozusagen der geheimdienstlichen Behandlung unterziehen, aber nur die Linke, niemand anderes, und das hilft uns überhaupt nicht weiter.
    Noch mal: Es geht nicht darum, irgendjemanden zu decken, sondern es geht darum, dass man gegen Sonderbehandlungen klare Flanke zeigen muss. Wenn, müssen die Regeln für alle Mitarbeiter gelten. Im Thüringer Landtag gelten sie für alle Mitarbeiter und da sind sämtliche Mitarbeiter überprüft.
    Und jetzt will ich noch mal sagen: Die Mitarbeit im Wachregiment wäre in Thüringen nicht mal anzeigepflichtig gewesen. Sie hätte nicht mal gemeldet werden müssen. Die Frage ist also, über was reden wir hier eigentlich.

    Engels: Herr Ramelow, das ist angekommen. – Ich will noch kurz etwas anderes fragen, das betrifft dann die Debatte, die rund um das Wort Kommunismus morgen im Bundestag geführt wird. Es geht um die Äußerung von Frau Lötzsch, die sagte, die Wege zum Kommunismus könnten wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren.

    Ramelow: So hieß die Veranstaltung, wenn ich das einfach mal einflechten darf, damit die Zuhörer auch wissen, über was wir reden. Sie war eingeladen zu einer Veranstaltung, die genau so hieß, und ihre Antwort hieß am Schluss, "Unser Weg", also der Weg der Linken, "ist der Weg des demokratischen Sozialismus". Und ich füge hinzu: Demokratisch ist nur rechtsstaatlich und mit Gewaltenteilung. Und deswegen eine Kommunismus-Debatte im Deutschen Bundestag jetzt zu führen, ist ein spannender Vorgang. Dann können wir aber auch gleich über den Konservatismus der CDU die Debatte führen, oder wir können über Verbrechen im Namen aller möglichen Institutionen, oder Verbrechen im Namen aller möglichen Ismen mal führen. Ich als bekennender Christ sage immer, ich verlange auch nicht von der CDU/CSU, sich für die Verbrechen des Christentums zu entschuldigen.

    Engels: Aber Sie sehen dieser Debatte gelassen entgegen, beziehungsweise sehen nicht, dass diese Debatte der Linken wieder schaden könnte?

    Ramelow: Ich sehe es einfach, dass der Antikommunismus in Westdeutschland tief geprägt ist, und es wäre mir lieber gewesen, wenn meine Bundesvorsitzende etwas deutlicher von Anfang an klar gesagt hätte, dass im Namen des Kommunismus eine Blutspur auch hinterlassen worden ist. Es ist eben der Stalinismus, der einher geht mit dem Kommunismus, und deswegen ist für mich ganz persönlich der Weg zum Kommunismus kein Weg, sondern der Weg als demokratischer Sozialist heißt, ein Bekenntnis zum demokratischen Rechtsstaat, zur Gewaltenteilung, heißt aber auch, eine sozialistische Wirtschaftsordnung, also eine Wirtschaft, die dem Grundgesetz entspricht, ist eine Wirtschaft, bei der man auch Monopolen einfach die Grenzen aufzeigt, ...

    Engels: Und da müssen wir leider einen Punkt setzen, beim Stichwort "Grenzen aufziehen". Das liegt nur daran, dass die Nachrichten kommen. – Vielen Dank an Bodo Ramelow, den Fraktionschef der Linken in Thüringen.

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