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Rantisi-Tötung heizt die Gewalt im Nahen Osten an

Thomas Heyer: Die Schlagzeilen der vergangenen Tage waren eindeutig. Da hieß es mal Kurswechsel des US-Präsidenten in der Nahostpolitik, Europäer und Bundesregierung fühlen sich düpiert oder auch weltweit Kritik an Bushs neuer Nahostpolitik. Was war da passiert, als in Washington George W. Bush und Ariel Scharon gemeinsam vor die Kameras traten? Die USA akzeptieren israelische Siedlungen im Westjordanland, so lautete die Botschaft, die so neu eigentlich nicht war, aber so noch nie verkündet wurde. War es also wirklich eine Wende in der Nahostpolitik Washingtons und wenn ja, was bedeutet sie in Zukunft für die immerwährende Suche nach dem Frieden im nahen Osten? Fragen, die wir jetzt versuchen, im Gespräch mit Felicia Langer zu klären. Guten Morgen zunächst mal.

    Felicia Langer: Guten Morgen.

    Heyer: Felicia Langer, Menschenrechtlerin, Friedensaktivisten, Trägerin des alternativen Nobelpreises - was haben Sie denn empfunden, als Sie in der vergangenen Woche die Bilder der Bush-Scharon-Konferenz aus Washington sahen und hören mussten, was die beiden Männer da zu sagen haben?

    Langer: Sicher war ich empört. Es ist nicht total neu, denn diese proisraelische Regierungspolitik ist nicht fürs Volk sondern für die Regierung gut. Diese Politik ist schon ziemlich alt, aber diese deutliche Akzeptierung von Siedlungen gegen das Völkerrecht und UNO-Resolutionen war schon etwas Akutes, was bis jetzt noch nicht stattgefunden hat.

    Heyer: Gestern nun wurde der Nachfolger von Hamas-Führer Scheich Jassin Rantisi bei einem gezielten Angriff im Gazastreifen getötet. Die internationale Empörung ist groß, von Staatsterrorismus sprechen die Palästinenser. Wie bewerten Sie die Tötung des Hamas-Führers?

    Langer: Das ist Staatsterrorismus, noch mehr als das, Kriegsverbrechen, denn es ist ein Verstoß gegen die Genfer Konvention und es ist so als wäre Israel Richter und Henker, was unzulässig ist und das empört uns sicher. Das ist eine Katastrophe auch für Israel, für uns, weil die Spirale der Gewalt sich weiterdrehen wird, der abgrundtiefe Hass wird weiterwachsen und ich muss sagen - es tut weh, aber ich muss das sagen - das ist eine Regierung von Pyromanen, von Brandstiftern.

    Heyer: Inwieweit ist das, was da gestern im Gazastreifen passiert ist auch möglicherweise eine Folge der Botschaft der vergangenen Woche?

    Langer: Das kann wohl sein. Im März hat man das Symbol Scheich Jassin ermordet. Das führt aber nur zur Eskalation und als ob man das will, als ob es eine gewollte, gezielte Eskalation sei und man spricht über Frieden. Deshalb spreche über diese geduldete Heuchelei. Man spricht über den Frieden, über einen unendlichen Friedensprozess ohne Frieden, aber man macht Krieg und man muss hier betonen: das ist eine Besatzung, die 37 Jahre andauert, eine kriegerische Besatzung der besetzten Gebiete. Und es gibt eine klare UNO-Resolution 242, die damals gottseidank ohne Veto verabschiedet wurde vor 37 Jahren und diese sagt klar, dass Landerwerb durch Kriege unzulässig ist und man muss die Gebiete räumen; dann könnten wir auch schon Frieden haben.

    Heyer: Sie haben es gerade schon angedeutet, vor kurzem ist Ihr neues Buch 'Brandherd Nahost oder die geduldete Heuchelei' von der gerade die Rede war im Lamuv-Verlag erschienen. Wer heuchelt denn in der Israelpolitik in Sachen Friedenssuche in Nahost denn inwiefern?

    Langer: Wir haben Friedenskräfte, wenn das das Ziel der Frage ist, Menschen, die sich wehren, die den Kriegsdienst verweigern, Piloten, die diesen schrecklichen Staatsterror ablehnen und nicht an diesen Aktionen teilhaben wollen. Aber ich glaube, dass wir ohne internationalen Druck und Solidarität mit den Palästinensern und mit unseren Friedenskräften den Frieden alleine nicht schaffen können.

    Heyer: Wie hat denn die israelische Gesellschaft in der vergangenen Woche auf die Botschaft auf dem weißen Haus reagiert? Hocherfreut in weiten Teilen oder wie?

    Langer: Sie wissen sicher, dass man das differenzieren muss, so wie ich gesagt habe. Die Friedenkräfte, die nicht so zahlreich sind, aber doch sehr konsequent und kämpferisch, haben mit Empörung reagiert und die anderen haben leider mit Zustimmung reagiert. Aber wenn man jahrelang so eine Politik führt und die Welt schweigt - das Schweigen der Welt ist das schrecklichste - dann ist man schon in einer Weise gewöhnt (und das ist schon die dritte Generation, die an dieser Besatzung teilnimmt) und man vergisst die Seele, wie man poetisch sagen kann, wenn man 37 Jahre ein Herrscher ist und die Palästinenser sind die Untertanen. Wir sind nicht zwei gleiche Seiten, über die man manchmal spricht. Die Palästinenser haben nichts, leben unter Besatzung, jeder Tote ist ein Toter zu viel. Wir sind die fünfte Militärmacht in der Welt mit atomaren Waffen und haben so eine grenzenlose Unterstützung, die wir leider missbrauchen. Was heißt 'wir' - ich spreche über die Regierung, die nicht von mir gewählt wurde, aber diese ist eine Katastrophe, nicht nur für die Palästinenser, für uns auch und ich möchte das sagen, nicht übertreiben, aber doch auch für die Welt.

    Heyer: Sie sagen, die Welt schweigt - wie erklären Sie sich das Schweigen der Welt? Mit dem Trauma des Holocaust?

    Langer: Ja. Sie wissen, ich bin eine Holocaustüberlebende; nicht direkt, aber mein Mann war Opfer und unsere Lehre (und die der Friedensbewegungen) aus dem Holocaust ist Menschlichkeit und die Lehre der Regierung ist schon seit Jahren eine Lehre von Macht, Kraft und so weiter. Es gibt eine Art von Missbrauch, das ist sehr schwer und traurig zu sagen, ein Missbrauch von denjenigen, die unter dem Holocaust gelitten haben. Und manchmal kommt es, kann man sagen, zur Erpressung: wenn jemand etwas sagt, ist die Antisemitismus-Keule in Gang und alles schweigt. Es gibt auch eine mächtige jüdische proisraelische Lobby in Israel und hier muss ich sagen, dass nicht alle Juden reich sind, altersreich und nicht alle Juden sind Lobby, denn es gibt hunderte und tausende Juden in Amerika, die gegen diese Politik von Scharon sind. Aber diese Lobby hat auch eine kolossale Wirkung und die Amerikaner, dass Israel ein Außenposten von den USA im nahen Osten ist und deshalb diese Unterstützung. Und die Welt ist zum Einverständnis bereit obwohl man hier und dort Stimmen hört. Aber das ist nicht genug und besonders nicht genügend sind die verurteilenden Stimmen in Deutschland.

    Heyer: Eine Zeitschrift hat Sie 1998 anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Staates Israel als eine der 50 bedeutendesten Frauen für die israelische Gesellschaft gewählt. Wie sehr haben Sie denn das Gefühl, In Israel überhaupt gehört zu werden und vor allem auch mit Ihren Ansichten verstanden zu werden?

    Langer: Ich kann nicht so zufrieden sein, aber die Friedenkräfte sind meine Weggefährten und diejenigen, die das verstehen, Frauen in schwarz, Piloten und Kriegsdienstverweigerer, sogar Rabbiner für Menschenrechtsorganisationen - sie verstehen mich sehr gut und die Sprache der Friedensbewegung ist meine Sprache.

    Heyer: Dankeschön, Felicia Langer. Noch einen schönen Sonntagmorgen.

    Langer: Vielen Dank.