Stefan Heinlein: Und damit war es offiziell: Anfang April auf dem Straßburger Gipfel verkündete NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer den Namen seines Nachfolgers: Anders Fogh Rasmussen. Vorausgegangen war ein wochenlanges Gezerre um diese Personalie, viele interne Debatten; vor allem die Türkei stellte sich lange quer.
Anfang der Woche beginnt der Däne nun mit seiner Arbeit in Brüssel. Ein schweres Erbe in einer schwierigen Zeit, denn die NATO ist auf der Suche nach neuen Aufgaben und einer neuen Strategie. Und darüber möchte ich jetzt reden mit dem Publizisten Walter Stützle, ehemals Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und Ex-Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Guten Morgen nach Berlin!
Walter Stützle: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Stützle, wird es Rasmussen gelingen, der alten Dame NATO neues Leben einzuhauchen?
Stützle: Ja, jedenfalls hat er das versprochen und er hat versprochen oder durch seinen Sprecher es nach der Wahl im April versprechen lassen, er werde eine Transparenz in der NATO herstellen, wie die NATO sie noch nicht erlebt habe.
Gut, solche Worte kennen wir, man wird abwarten, ob das rauskommt. Es warten, Sie haben es ja schon angesagt, es warten ja wahre Herkulesaufgaben auf ihn: Eine neue Strategie und das Afghanistan-Problem und die Beziehung zu Russland sind nur drei der ganz großen Themen, um die er sich zu kümmern hat.
Heinlein: Braucht die NATO Transparenz?
Stützle: Ja, die NATO braucht Transparenz. Die NATO hat sich ja doch in einem erstaunlichen Maße entpolitisiert, das heißt, hat sich in einem erstaunlichen Maße verabschiedet aus dem wirklichen politischen Entscheidungsprozess zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Bündnispartnern, und das ist im Thema Afghanistan und beim Thema Russland sehr deutlich geworden.
Und dies in Ordnung zu bringen, ist seine erste Aufgabe. Und beweisen muss er es bei der Vorlage eines neuen, strategischen Konzepts, das im April in Auftrag gegeben worden ist, und um das er sich jetzt kümmern muss.
Heinlein: Bevor wir über die Strategie reden, Herr Stützle, müssen wir sprechen über die Tatsache, dass mit Rasmussen ja erstmals ein ehemaliger Regierungschef auf den Posten des Generalsekretärs rückt. Ist dies ein Vorteil für seine Arbeit in Brüssel?
Stützle: Das ist sicherlich ein Vorteil, weil er eine lange Regierungserfahrung hat. Er hat vor allen Dingen Erfahrung im Umgang mit schwierigen Koalitionspartnern. Er regiert in Dänemark ja mit den Rechtspopulisten, die vor allen Dingen durch ihre Ausländerfeindlichkeit bekannt geworden sind. Er regiert seit 2001 als Regierungschef mit einer Minderheitsregierung. Also offenbar ist er in der Lage, unter so schwierigen innenpolitischen Bedingungen eine Regierung herzustellen.
Auf der anderen Seite ist er auch bekannt geworden als ein außenpolitischer Tollpatsch; erinnern wir nur an den Karikaturenstreit im Jahre 2005, als dänische Zeitungen eine Karikatur abdruckten, die in der islamischen Welt zu Aufruhr führten. Und da hat er sich sehr ungeschickt verhalten gegenüber den Vertretern islamisch geprägter Staaten und hat nicht gerade bewiesen, dass er auf der internationalen Bühne das richtige Fingerspitzengefühl hat.
Außerdem hat er sich als extrem treuer Gefolgsmann des damaligen amerikanischen Präsidenten Bush erwiesen, sowohl im Irakkrieg wie auch später in Sachen Afghanistan. Beim Irakkrieg hat er die grundlose Behauptung, nein, sagen wir besser, die nicht nachgewiesene Behauptung von Bush einfach übernommen, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen. Also, er hat sich schon einige Schnitzer geleistet. Ob er das jetzt ausbügeln kann, das wird man sehen.
Heinlein: Ein treuer Gefolgsmann von George Bush, sagen Sie. Könnte ihm das jetzt, gerade im Dialog mit der neuen amerikanischen Regierung, zum Nachteil gereichen, wenn es um die neue Strategie, um die neuen Inhalte der NATO geht?
Stützle: Das vermute ich weniger, weil Obama klug genug ist, zu wissen, dass man nach vorne gucken muss, wie es so gerne bei Politikern heißt. Aber wo es ihm absolut zum Nachteil gereichen kann, ist natürlich bei der Frage: Wie soll es in Afghanistan weitergehen? Da wird man eben seine Haltung gegenüber den islamisch geprägten Staaten, wie islamisch geprägte Staaten sie wahrnehmen anhand des Karikaturenstreites, das wird man ihm nachtragen - und das wird der NATO nicht zum Vorteil gereichen. Das hat ja auch im Frühjahr dazu geführt, dass insbesondere die Türkei massive Bedenken gegen seine Wahl geltend gemacht hat.
Heinlein: Was wird denn, Herr Stützle, die NATO künftig sein, ein klassisches Verteidigungsbündnis wie in der Vergangenheit oder eine Art Weltpolizist, wie manche innerhalb der NATO es sicher wünschen?
Stützle: Das ist, glaube ich, die Kernfrage, und völlig vergessen worden ist in den letzten Jahren, dass die NATO nicht als militärisches Bündnis gegründet worden ist, sondern als politisches Bündnis, und dass es gegründet worden ist als ein Bündnis, in dem die Vereinigten Staaten und die Europäer zusammenarbeiten. Und das heißt, Probleme gemeinsam beraten und gemeinsam nach Lösungen suchen, und dass sie im Konsens entscheiden und nicht auseinandergehen, wie das zum Beispiel beim Irakkrieg der Fall gewesen ist.
Das muss in Ordnung gebracht werden durch eine neue Strategie, und die beiden Kernfragen, die zu beantworten sind, ist die Frage: Verhältnis zu Russland, das nach wie vor tief gestört ist; und die Frage: Was sind die Hauptpunkte auf der großen internationalen Agenda? Und da ist der erste Punkt natürlich: Wie kommt man aus dem Afghanistan-Schlamassel wieder heraus, in das man sich wider besseres Wissen hineinbegeben hat? Wie bringt man das Thema Abrüstung, Rüstungskontrolle wieder auf die Tagesordnung? Was hat man zur Zukunft der Atomwaffen zu sagen, und dem Wunsch von Obama, eine atomwaffenfreie Welt herzustellen? Also, das sind hier wichtige und dornige Probleme.
Heinlein: Fast alle 28 NATO-Länder haben auf diese beiden Kernfragen, die Sie gerade formuliert haben, ja unterschiedliche Antworten. Wie schwierig wird es denn für diesen politischen General Rasmussen, hier einen Konsens zu finden?
Stützle: Es wird extrem schwierig, denn die Risse in der Allianz sind tief und der jetzige NATO-Generalsekretär hat in seiner Amtszeit wenig dazu beitragen können, wenn ich es mal milde formulieren darf, um diese Risse zu vermeiden, respektive wieder zu kitten, denn er hat eine sehr einseitige Politik zugunsten der Vereinigten Staaten getrieben.
Und die Frage und eines der Probleme, dem sich Rasmussen widmen muss, ist, die Europäer wieder zusammenzukriegen. Ob ihm das gelingt, nachdem er lange Jahre Ministerpräsident eines Landes war, nämlich Dänemarks, das ja zu den europäischen Trittbrettfahrern gehört, das heißt, die Vorteile der Union genießt, aber nicht die Aufgaben der Union alle wahrnehmen will - nimmt ja nicht teil an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, nimmt nicht teil an einer gemeinsamen Währung -, das ist natürlich eine gewichtige Frage und da darf man Zweifel haben, dass Rasmussen da der richtige Mann ist.
Aber er hat in Dänemark oft bewiesen, dass er seine Meinung auch ändern kann und vielleicht gelingt es ihm ja jetzt auch wieder.
Heinlein: Warten wir es ab. Heute Morgen im Deutschlandfunk der ehemalige SIPRI-Chef Walter Stützle. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!
Stützle: Danke Ihnen, Herr Heinlein!
Anfang der Woche beginnt der Däne nun mit seiner Arbeit in Brüssel. Ein schweres Erbe in einer schwierigen Zeit, denn die NATO ist auf der Suche nach neuen Aufgaben und einer neuen Strategie. Und darüber möchte ich jetzt reden mit dem Publizisten Walter Stützle, ehemals Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und Ex-Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Guten Morgen nach Berlin!
Walter Stützle: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Herr Stützle, wird es Rasmussen gelingen, der alten Dame NATO neues Leben einzuhauchen?
Stützle: Ja, jedenfalls hat er das versprochen und er hat versprochen oder durch seinen Sprecher es nach der Wahl im April versprechen lassen, er werde eine Transparenz in der NATO herstellen, wie die NATO sie noch nicht erlebt habe.
Gut, solche Worte kennen wir, man wird abwarten, ob das rauskommt. Es warten, Sie haben es ja schon angesagt, es warten ja wahre Herkulesaufgaben auf ihn: Eine neue Strategie und das Afghanistan-Problem und die Beziehung zu Russland sind nur drei der ganz großen Themen, um die er sich zu kümmern hat.
Heinlein: Braucht die NATO Transparenz?
Stützle: Ja, die NATO braucht Transparenz. Die NATO hat sich ja doch in einem erstaunlichen Maße entpolitisiert, das heißt, hat sich in einem erstaunlichen Maße verabschiedet aus dem wirklichen politischen Entscheidungsprozess zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Bündnispartnern, und das ist im Thema Afghanistan und beim Thema Russland sehr deutlich geworden.
Und dies in Ordnung zu bringen, ist seine erste Aufgabe. Und beweisen muss er es bei der Vorlage eines neuen, strategischen Konzepts, das im April in Auftrag gegeben worden ist, und um das er sich jetzt kümmern muss.
Heinlein: Bevor wir über die Strategie reden, Herr Stützle, müssen wir sprechen über die Tatsache, dass mit Rasmussen ja erstmals ein ehemaliger Regierungschef auf den Posten des Generalsekretärs rückt. Ist dies ein Vorteil für seine Arbeit in Brüssel?
Stützle: Das ist sicherlich ein Vorteil, weil er eine lange Regierungserfahrung hat. Er hat vor allen Dingen Erfahrung im Umgang mit schwierigen Koalitionspartnern. Er regiert in Dänemark ja mit den Rechtspopulisten, die vor allen Dingen durch ihre Ausländerfeindlichkeit bekannt geworden sind. Er regiert seit 2001 als Regierungschef mit einer Minderheitsregierung. Also offenbar ist er in der Lage, unter so schwierigen innenpolitischen Bedingungen eine Regierung herzustellen.
Auf der anderen Seite ist er auch bekannt geworden als ein außenpolitischer Tollpatsch; erinnern wir nur an den Karikaturenstreit im Jahre 2005, als dänische Zeitungen eine Karikatur abdruckten, die in der islamischen Welt zu Aufruhr führten. Und da hat er sich sehr ungeschickt verhalten gegenüber den Vertretern islamisch geprägter Staaten und hat nicht gerade bewiesen, dass er auf der internationalen Bühne das richtige Fingerspitzengefühl hat.
Außerdem hat er sich als extrem treuer Gefolgsmann des damaligen amerikanischen Präsidenten Bush erwiesen, sowohl im Irakkrieg wie auch später in Sachen Afghanistan. Beim Irakkrieg hat er die grundlose Behauptung, nein, sagen wir besser, die nicht nachgewiesene Behauptung von Bush einfach übernommen, Saddam Hussein habe Massenvernichtungswaffen. Also, er hat sich schon einige Schnitzer geleistet. Ob er das jetzt ausbügeln kann, das wird man sehen.
Heinlein: Ein treuer Gefolgsmann von George Bush, sagen Sie. Könnte ihm das jetzt, gerade im Dialog mit der neuen amerikanischen Regierung, zum Nachteil gereichen, wenn es um die neue Strategie, um die neuen Inhalte der NATO geht?
Stützle: Das vermute ich weniger, weil Obama klug genug ist, zu wissen, dass man nach vorne gucken muss, wie es so gerne bei Politikern heißt. Aber wo es ihm absolut zum Nachteil gereichen kann, ist natürlich bei der Frage: Wie soll es in Afghanistan weitergehen? Da wird man eben seine Haltung gegenüber den islamisch geprägten Staaten, wie islamisch geprägte Staaten sie wahrnehmen anhand des Karikaturenstreites, das wird man ihm nachtragen - und das wird der NATO nicht zum Vorteil gereichen. Das hat ja auch im Frühjahr dazu geführt, dass insbesondere die Türkei massive Bedenken gegen seine Wahl geltend gemacht hat.
Heinlein: Was wird denn, Herr Stützle, die NATO künftig sein, ein klassisches Verteidigungsbündnis wie in der Vergangenheit oder eine Art Weltpolizist, wie manche innerhalb der NATO es sicher wünschen?
Stützle: Das ist, glaube ich, die Kernfrage, und völlig vergessen worden ist in den letzten Jahren, dass die NATO nicht als militärisches Bündnis gegründet worden ist, sondern als politisches Bündnis, und dass es gegründet worden ist als ein Bündnis, in dem die Vereinigten Staaten und die Europäer zusammenarbeiten. Und das heißt, Probleme gemeinsam beraten und gemeinsam nach Lösungen suchen, und dass sie im Konsens entscheiden und nicht auseinandergehen, wie das zum Beispiel beim Irakkrieg der Fall gewesen ist.
Das muss in Ordnung gebracht werden durch eine neue Strategie, und die beiden Kernfragen, die zu beantworten sind, ist die Frage: Verhältnis zu Russland, das nach wie vor tief gestört ist; und die Frage: Was sind die Hauptpunkte auf der großen internationalen Agenda? Und da ist der erste Punkt natürlich: Wie kommt man aus dem Afghanistan-Schlamassel wieder heraus, in das man sich wider besseres Wissen hineinbegeben hat? Wie bringt man das Thema Abrüstung, Rüstungskontrolle wieder auf die Tagesordnung? Was hat man zur Zukunft der Atomwaffen zu sagen, und dem Wunsch von Obama, eine atomwaffenfreie Welt herzustellen? Also, das sind hier wichtige und dornige Probleme.
Heinlein: Fast alle 28 NATO-Länder haben auf diese beiden Kernfragen, die Sie gerade formuliert haben, ja unterschiedliche Antworten. Wie schwierig wird es denn für diesen politischen General Rasmussen, hier einen Konsens zu finden?
Stützle: Es wird extrem schwierig, denn die Risse in der Allianz sind tief und der jetzige NATO-Generalsekretär hat in seiner Amtszeit wenig dazu beitragen können, wenn ich es mal milde formulieren darf, um diese Risse zu vermeiden, respektive wieder zu kitten, denn er hat eine sehr einseitige Politik zugunsten der Vereinigten Staaten getrieben.
Und die Frage und eines der Probleme, dem sich Rasmussen widmen muss, ist, die Europäer wieder zusammenzukriegen. Ob ihm das gelingt, nachdem er lange Jahre Ministerpräsident eines Landes war, nämlich Dänemarks, das ja zu den europäischen Trittbrettfahrern gehört, das heißt, die Vorteile der Union genießt, aber nicht die Aufgaben der Union alle wahrnehmen will - nimmt ja nicht teil an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, nimmt nicht teil an einer gemeinsamen Währung -, das ist natürlich eine gewichtige Frage und da darf man Zweifel haben, dass Rasmussen da der richtige Mann ist.
Aber er hat in Dänemark oft bewiesen, dass er seine Meinung auch ändern kann und vielleicht gelingt es ihm ja jetzt auch wieder.
Heinlein: Warten wir es ab. Heute Morgen im Deutschlandfunk der ehemalige SIPRI-Chef Walter Stützle. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!
Stützle: Danke Ihnen, Herr Heinlein!