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Rassismus
Debatte über Polizeigewalt gegen Schwarze in Portugal

Unverhältnismäßige Gewalt und Rassismus: Die Vorwürfe schwarzer Jugendlicher gegen die portugiesische Polizei wiegen schwer. Demonstrationen und Protestaktionen in sozialen Brennpunkten haben den Druck auf die Politik erhöht. Doch die Regierung geht nur zögerlich auf die Portugiesen mit Migrationshintergrund zu.

Von Tilo Wagner | 01.02.2019
    Ein Mann hält ein Papier hoch mit der Aufschrift "Genug von rassistischer Polizeigewalt" während einer Demonstration gegen Rassismus und Missbrauch von polizeilicher Gewalt in Seixal, einem Vorort von Lissabon, am 25. Januar 2019
    Schwarze Jugendliche würden in Portugal zu einem Heer von Bürgern zweiter Klasse ausgebildet, sagt der Bürgerrechtsaktivist Mamadou Bá (AFP/Patricia de Melo Moreira)
    Im Büro des Lissabonner Bürgerrechtsvereins SOS Racismo stehen Hunderte von schweren Aktenordnern in den Regalen. Mamadou Bá, ein im Senegal geborener Portugiese, ist Vorstandsmitglied und kümmert sich seit Jahren auch um Polizeigewalt mit rassistischem Hintergrund. Doch in den vergangen Tagen ist Bá selbst zum Opfer einer perfiden Hetzkampagne im Internet geworden, wurde von Rechtsradikalen auf der Straße bedrängt und von konservativen Politikern und Kommentatoren zum Sündenbock gemacht:
    "In den vergangenen Tagen ist eine Maske gefallen und der tief verwurzelte Rassismus in der portugiesischen Gesellschaft ist sichtbar geworden. Was mich besorgt, ist unsere politische Führung. Sie will nichts mit diesem Problem zu tun haben, sie streitet alles ab. In einer Zeit, in der in Europa das Gespenst des Faschismus wiedererweckt wurde, muss sich eine Nation wie Portugal auch aufgrund ihrer langen Kolonialgeschichte endlich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Aber was wir erleben, ist eine ganz traurige Debatte."
    Kritik internationaler Institutionen
    Was war passiert? Ein Video von einer gewaltsamen Polizeiaktion gegen Schwarze in einem sozialen Brennpunkt in Lissabon war auf Facebook und Twitter hochgeladen worden. Mamadou Bá wiederum kritisierte bei einem Chat im Internet das Vorgehen der Polizei mit einem abfälligen Kommentar - und löste damit seinerseits eine Protestwelle aus.
    Von nun an ging es nicht mehr um die Kritik an der Polizeigewalt, sondern um die Verteidigung der angeblich verletzten Ehre der portugiesischen Sicherheitskräfte.
    In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk und anderen ausländischen Medien vor wenigen Wochen zählte das Thema für den sozialistischen Regierungschef António Costa nicht zu den drängendsten Problemen. Möglichen Fällen von Gewalt und Rassismus in der portugiesischen Polizei soll durch interne Untersuchungen oder die Justiz nachgegangen werden:
    "Gibt es Rassismus in unserem Land? Natürlich gibt es den. Ich kenne kein Land, wo es keinen Rassismus gibt. Aber ich glaube nicht, dass es eine dominante Strömung oder ein großes Problem für uns darstellt."
    Internationale Institutionen wie der Europarat indes haben in jüngster Zeit Portugal mehrfach kritisiert. Die portugiesische Polizei sei von rechtsradikalen Kräften unterlaufen und für ihre Gewaltexzesse bekannt.
    Kritiker verweisen auch darauf, dass schwarze Portugiesen in Politik, Justiz, Wirtschaft, Bildung und Verwaltung fast keine führenden Positionen besetzen. Das sei, so Premierminister Costa, ein soziales Problem und kein Hinweis auf eine systematische Unterdrückung der afrikanisch-stämmigen Bevölkerung in Portugal.
    Mangelnde Chancengleichheit?
    Das sieht der Bürgerrechtsaktivist Mamadou Bá ganz anders. Schwarze Jugendliche würden in Portugal zu einem Heer von Bürgern zweiter Klasse ausgebildet, so Bá und verweist auf eine Studie, wonach nur ein Prozent der afrikanisch-stämmigen Portugiesen einen Hochschlussabschluss machen würde.
    Die aktuelle Debatte über Rassismus in Portugal, so Bá, habe trotzdem auch eine positive Wirkung. Zum Beispiel die spontane Demonstration von überwiegend schwarzen Jugendlichen im Zentrum Lissabons:
    "Das hatte es so noch nie gegeben. Schwarze Portugiesen, die in Portugal geboren wurden, haben sich, ohne dabei irgendeiner Initiative einer politischen Gruppe zu folgen, in Lissabon versammelt und protestiert. Und sie haben dafür symbolische Orte gewählt: Sie waren vor dem Innenministerium und haben gezeigt, wer wohl einen Teil der Verantwortung für die aktuellen Spannungen trägt. Und sie sind die ‚Avenida da Liberdade‘ hoch gelaufen, die in Portugal seit langem der Ort ist, wo protestiert wird und politische Forderungen öffentlich gemacht werden. Und die einzige Reaktion der Politik und der Medien war, auf ein paar Störenfriede hinzuweisen, um die Demo damit allgemein als eine Gewaltaktion zu diskreditieren."