Freitag, 29. März 2024

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Rassismus in den USA
"Trump ist nicht in der Lage, die Wirklichkeit zu erkennen"

Bei seinem Besuch in Kenosha hat US-Präsident Donald Trump die dortigen Krawalle als "inländischen Terrorismus" bezeichnet. Trump nehme nicht zur Kenntnis, dass die Spaltung der Gesellschaft in den USA während seiner Amtszeit zustande gekommen sei, kritisierte die Politologin Joyce Mushaben im Dlf.

Joyce Mushaben im Gespräch mit Philipp May | 02.09.2020
US-Präsident Trump geht an Säulen im Weißen Haus entlang
US-Präsident Trump zurück im Weißen Haus nach seinem Besuch in Kenosha (picture alliance / dpa / Rod Lamkey)
In der Nacht haben weiße Polizisten in Los Angeles unter noch nicht geklärten Umständen einen 29-jährigen Schwarzen erschossen. Eine ähnliche Situation hatte sich vor wenigen Tagne auch in der US-Stadt Kenosha abgespielt: Dort hatte ein Polizist dem Schwarzen Jacob Blake bei einem Einsatz mehrmals in den Rücken geschossen. Daraufhin kam es zu gewaltsamen Protesten und Plünderungen in der Stadt. Die Bilder nützten US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf, sagt die Politologin Joyce Mushaben, die am Zentrum für deutsche und europäische Studien an der Georgetown-Universität in Washington DC forscht. Denn seine Basis auf dem Land habe keine große Erfahrung mit Großstädten.
Bei seinem Besuch vor Ort in Kenosha bezeichnete Trump die teils antirassistischen Proteste als "inländischen Terrorismus." Die Krawalle seien "gegen die Polizei gerichtet und anti-amerikanisch gewesen seien", so der US-Präsident. Er kam nach Kenosha als ungebetener Gast. Zuvor hatten sich sowohl der örtliche Bürgermeister als auch der Gouverneur des Bundesstaates Wisconsin gegen einen Besuch ausgesprochen. Trump verteilte auch Geld: Eine Million Dollar bekommt die örtliche Polizei, vier Millionen die Besitzer von zerstörten Geschäften und 42 Millionen die Sicherheitskräfte des Bundesstaates Wisconsin. Die Botschaft dahinter soll in Wahlkampfzeiten wohl lauten: Die Demokraten haben ihre Städte nicht im Griff und innere Sicherheit ist Trump-Sache. Laut der US-Politologin Mushaben verkennt der US-Präsident damit die Realität, denn viele der Städte seien zuvor in republikanischer Hand gewesen. Auch in Wisconsin habe die republikanische Mehrheit im Landtag Reformen verhindert.
"Trumps alte Methode greift nicht mehr"
Mit dem Besuch in Kenosha wolle US-Präsident Donald Trump provozieren und seine Anhänger mobilisieren, sagte der Politologe Andrew Denison im Dlf. Doch seit Corona und der Wirtschaftskrise komme Trump damit nicht mehr an.
May: Frau Mushaben, erleben wir da gerade einen amerikanischen Albtraum?
Mushaben: Anders kann ich das selber nicht beschreiben. Vor zwei Jahren habe ich meinen deutschen Freunden immer wieder erzählt, wir stehen jeden Morgen auf und denken, dass es nicht schlimmer werden kann, und es wird dennoch schlimmer. Das Land ist dermaßen gespalten und Trump nimmt das einfach nicht zur Kenntnis, dass das alles während seiner Amtszeit zustande gekommen ist. Einen Plan für die Wiederzusammenführung dieser gespaltenen Gruppen hat er eigentlich nicht.
May: Wieviel Wahrheit steckt denn aber in der Botschaft von Donald Trump, die Demokraten haben ihre Städte nicht im Griff und sind dementsprechend auch verantwortlich für das Chaos?
Mushaben: Da müssen wir natürlich unterscheiden zwischen kurzfristigen und längerfristigen Verhältnissen in diesen Städten. Denn ich meine, die Demokraten haben diese Städte zum großen Teil auch von Republikanern übernommen. Oder in Wisconsin zum Beispiel haben sie sogar eine republikanische Mehrheit in dem Landtag und der Landtag hat dafür gesorgt, dass bestimmte Reformen nicht durchgeführt worden sind. Insofern kann er das nicht auf die Demokraten verschieben, denn ich meine, dieser strukturelle Rassismus existiert schon seit eh und je, seit Jahrhunderten eigentlich.
Trump-Basis "relativ konstant geblieben"
May: Was Trump heute bestritten hat. Überrascht Sie das?
Mushaben: Das überrascht mich überhaupt nicht. Dieser Mann ist einfach nicht dazu in der Lage, die Wirklichkeit zu erkennen. Die Tatsache, dass er ein so dunkles Bild von Amerika an die Wand gemalt hat, und das schon seit vier Jahren, das war zu einer Zeit, als die Wirtschaft noch geboomt hat. Das war zu einer Zeit, wo die Kriminalität 2016/2017 sehr stark zurückgegangen ist. Und es ist seine Politik im Zusammenhang natürlich mit Covid und dem Zusammenbruch der Wirtschaft, das diese Wut wieder hochgebracht hat, vor allem gerade mit dem, was er immer zu diesem Thema zu sagen hat.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Alle Beiträge zur US-Wahl in unserem Dossier (picture alliance / Wolfram Steinberg)

May: Aber doch vermitteln ja genau diese Bilder von den nächtlichen Ausschreitungen, von den Brandschatzungen und Plünderungen in Kenosha genau dieses Bild, das Donald Trump ständig zeichnet. Nützt ihm das am Ende?
Mushaben: Ja, das nützt ihm natürlich im Zusammenhang mit seiner Basis. Aber seine Basis ist relativ konstant geblieben und ich muss leider gestehen, dass meine ganzen Geschwister, meine Eltern und meine Schwiegereltern auch Trump gewählt haben. Aber das sind Leute, die natürlich nur von diesen Bildern ausgehen, und die haben keine große Erfahrung mit Großstädten, so wie ich zum Beispiel, wo sie das einfach nicht für normal halten, dass die Leute sich mischen.
May: Wenn Sie Ihre Geschwister und Ihre Familie ansprechen und sagen, die haben für Trump gestimmt, werden die auch wieder für Trump stimmen? Die finden das weiterhin überzeugend, seine Botschaft?
Mushaben: Ohne weiteres. Ohne weiteres. Und Sie können sich vorstellen, wie das bei uns zum Erntedankfest dann ablaufen wird am 25. November.
"Mache mir große Sorgen um die Wahlbeteiligung"
May: Werden Sie Politik aussparen, oder wird es da hoch hergehen?
Mushaben: Ich meine, einerseits versuchen wir, das ein bisschen auszusparen. Aber auf der anderen Seite: Es kommt darauf an, wie die Wahl ausgeht. Momentan haben wir das Hauptproblem mit der Verdrängung der Wahlen, dass Leute wegen dieser ID-Law und so weiter und so fort. Und was noch hinzu kommt: Viele Leute, die jetzt ihre Wohnungen und Häuser verlieren im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise, wie sollen sie dann überhaupt wählen gehen. Die müssen sich ja neu registrieren und ohne eine feste Anschrift können sie sich nicht mal registrieren. Da mache ich mir schon große Sorgen um die Wahlbeteiligung, denn auf die Wahlbeteiligung kommt der 3. November wirklich an, wie das ausgeht.
Anhänger von Präsident Trump bei einem Autokorso in Portland
"Trump wird die Auseinandersetzung auf die Straße tragen"
Sollte US-Präsident Donald Trump gegen ein knappes Ergebnis der Präsidentschaftswahlen vorgehen, seien bürgerkriegsähnliche Zustände nicht auszuschließen, sagte USA-Experte Rüdiger Lentz im Dlf.
May: Bleiben wir noch ein letztes Mal bei den Bildern von diesen ausgebrannten Läden, verursacht durch die Demonstranten gegen Polizeigewalt. Was ich mich frage: Warum schneiden sich die Menschen mit ihrem, von der überwiegenden Mehrheit der Amerikaner ja als berechtigt akzeptierten Anliegen durch dieses Brandschatzen so sehr ins eigene Fleisch?
Mushaben: Ich habe keine Erklärung dafür, davon abgesehen, dass Kenosha eigentlich der Typus ist, den Trump am liebsten vorzeigen will, was aus einer Stadt, was aus einem Vorort werden kann, obwohl das natürlich die großen Ausnahmen sind und nicht die Mehrheit der Vororte in Amerika.
"Eine neue Art Bürgerkrieg"
May: Jetzt sind es noch zwei Monate bis zur Wahl. Sie haben es gerade angesprochen. Wir sehen jetzt schon bewaffnete Bürgermilizen, die in Konvois in die Städte einfahren, wo seit Monaten demonstriert wird. Wohin soll das in diesen zwei Monaten noch führen?
Mushaben: Wo das hinführen kann, ist natürlich in eine neue Art Bürgerkrieg überhaupt. Die Tatsache, dass die Waffengesetze so sind, wie sie sind, dass viele Bundesländer es abgelehnt haben, irgendwie da zu verschärfen oder Kontrollen einzuführen. Dieser 17-Jährige, der zwei Leute zum Tode erschossen hatte in Kenosha – 17 Jahre alt. Der darf überhaupt kein Schießwerk besitzen und hat trotzdem eines dabei gehabt.
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
May: Ist das der Aufgalopp zu einer relativ gewalttätigen Wahlkampf-Saison?
Mushaben: Es geht wirklich um die Verdrängung, um die Intimation der Wähler und Wählerinnen vor allem in den Großstädten. Denn ich meine, es hängt alles von der Wahlbeteiligung, von diesem Electoral College ab. Hillary Clinton hat drei bis vier Millionen mehr Stimmen bekommen und konnte trotzdem diese Wahlmänner-Stimmen nicht für sich beanspruchen. Wisconsin, Pennsylvania, Michigan, die sind ja alle noch im Spiel im Moment, und Kenosha ist ein Vorort, den Donald Trump nur mit 250 Stimmen gewonnen hatte. Insofern will er wirklich dieses Beispiel ausnutzen.
Übergabe der Amtsgeschäfte nicht "reibungslos"
May: Nichts desto trotz, es ist ja dennoch so, dass Joe Biden, der demokratische Herausforderer von Donald Trump, seit Monaten konstant in den Umfragen vor Donald Trump liegt. Angenommen das hält sich so bis zur US-Wahl, können Sie sich vorstellen, dass Donald Trump, sollte er diese Wahl am Ende tatsächlich verlieren, zu einer reibungslosen Übergabe der Amtsgeschäfte fähig ist?
Mushaben: Hundertprozentig reibungslos wird das nicht sein. Aber da muss ich natürlich mein Geld auf unser Bundesverfassungsgericht legen, auf dem Supreme Court. Denn ich glaube, John Roberts hat ja schon gezeigt in zwei, drei Fällen im Laufe dieses Jahres, dass sie nicht bereit sind...
May: Der oberste Richter der USA, der eigentlich immer als konservativ gegolten hat.
Mushaben: Richtig. Und die haben gezeigt, dass sie nicht bereit sind, auf die Verfassung zu verzichten. Letzten Endes wird es darauf ankommen, dass die anderen Instanzen sich dafür einsetzen und dass die übrig gebliebenen Republikaner, die noch ein bisschen Gehirn im Kopf haben, sich Gedanken darüber machen, was aus der eigenen Partei geworden ist.
"Müssen Vertrauen in die demokratischen Institutionen haben"
May: Die Sorgen, die wir sowohl in US-Medien hören, aber auch vermehrt in deutschen Medien, über einen Staatsstreich von oben nach der Wahl, über einen möglichen, die sind nicht unbedingt übertriebene Panikmache, würden Sie sagen?
Mushaben: Das ist schon übertrieben. Ich glaube nicht zum Beispiel, dass alle Leute, die im Pentagon arbeiten, mit Donald Trump einverstanden sind, und das zeigen ja schon ein paar Generäle, die bei ihm das Tuch geworfen haben, weil sie nicht mehr an seiner Regierung beteiligt sein wollten. Insofern: Wir müssen ja ein bisschen Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen haben. Ich habe mich selber freiwillig als Wahlhelferin angemeldet zum ersten Mal in meinem Leben, denn ich denke, wenn ich an Covid sterben sollte, dann am liebsten zur Rettung der amerikanischen Demokratie. Und ich glaube, ich bin nur eine von vielen, die ähnlich sich Sorgen um dieses Land machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.