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Rassismus in der Kultur
"Die klassische Musik unterteilt nach Rasse und Klasse"

Brandon Keith Brown leitet namhafte Orchester in Deutschland und erhielt wichtige Auszeichnungen. Als schwarzer Dirigent habe er immer wieder offenen Rassismus erlebt, sagte er im Deutschlandfunk. Und das sei ein strukturelles Problem.

Brandon Keith Brown im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 05.06.2020
Der US-amerikanische Dirigent Brandon Keith Brown
Schwarze Musikerinnen und Musiker seien im Konzertsaal immer noch keine Selbstverständlichkeit, sagte der US-amerikanische Dirigent Brandon Keith Brown im Dlf (Neda Navaee)
Schwarze Musikerinnen und Musiker seien im Konzertsaal immer noch keine Selbstverständlichkeit, sagte der US-amerikanische Dirigent Brandon Keith Brown im Dlf: "Wir werden immer als etwas Unerwartetes bestaunt, wenn wir die Bühne eines klassischen Orchesters betreten. Wir gelten unbewusst als minderwertig – einfach, weil wir schwarz sind."
Dass er als Dirigent mit schwarzer Hautfarbe regelmäßig rassistisch angegangen werde, sei keine persönliche, keine private Angelegenheit. Das Selbstverständnis der Klassikwelt sei dafür mitverantwortlich – trotz aller Bekenntnisse zur angeblich einenden Kraft der Kultur:
"Die klassische Musik unterteilt die Gesellschaft nach Rasse und Klasse. Schauen Sie sich doch in den Konzertsälen um, wer da sitzt, und wer da nicht sitzt. (...) Das ist eine hoch-fein verlesene Zuhörerschaft, ein ganz bestimmtes Grüppchen von Weißen, die da zuhören."
Die Orchester seien meilenweit von allem entfernt, was mit dem Alltagsleben der Menschen zu tun haben könnte: "Und hier wird natürlich nicht die Musik verkauft, sondern hier wird im Grunde nur die Überlegenheit der weißen Rasse verkauft. Das klingt jetzt sehr abstoßend und ekelhaft – weil es abstoßend und ekelhaft ist."
Das "National Museum of African American History and Culture"
Proteste in den USA - Schweigen der Kulturinstitutionen
Die Museumslandschaft in den USA bemüht sich um Diversität, doch zu den gegenwärtigen Protesten äußern sich nur wenige. Schwarze Intellektuelle in den USA sind frustriert: Ihr Engagement gegen Rassismus scheint vergebens.
"Viele kleine Verletzungen meiner Würde"
Offen, etwa im Konzertsaal, trete der Rassismus eher selten auf; deshalb sei es auch schwierig, darauf direkt zu reagieren. Hinter den Kulissen sei das aber anders, so Brown:
"Mir wurde zum Beispiel der Zugang zur Garderobe verweigert, weil ein Security-Mitarbeiter der Meinung war, ich sei ja nicht der Dirigent – ein Schwarzer könne kein Dirigent sein. Ich erlebe viele kleine Verletzungen meiner Würde."
Brandon Keith Brown wurde 1981 in North Carolina in den USA geboren. Schon mit neun Jahren begann er zu komponieren, mit zehn lernte er Geige, mit 11 wurde er das jüngste Mitglied des North Carolina All-State Orchestra. Nach einem Musikstudium in den USA wählte ihn Kurt Masur für seine Meisterklasse aus. Beim Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti in Frankfurt am Main war er 2012 einer der Preisträger. Im April 2013 gab Brown sein Europa-Debüt mit der Badischen Staatskapelle. Inzwischen lebt Brandon Keith Brown in Berlin und hat unter anderem das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, die Staatskapelle Weimar und die Nürnberger Symphoniker dirigiert.
Auch seine Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne bildeten keine Ausnahme, sagte Brown im Dlf:
"Selbstverständlich lassen die Musiker im Orchester alle jungen Dirigenten irgendwie spüren, wer den Hammer in der Hand hat. Man bringt den jungen Dirigenten allgemein keinen Vertrauensvorschuss entgegen. Aber bei schwarzen Dirigenten ist das Misstrauen noch größer als bei anderen."
Dossier: Rassismus
Dossier: Rassismus (picture alliance / NurPhoto / Beata Zawrzel)
Die Tatsache, dass Menschen mit verschiedenem kulturellen Hintergrund in Orchestern zusammensitzen, bedeute nicht, so der 39-Jährige, "dass sie zu einer Gemeinschaft verschmelzen oder dass sie ihre Beschränkungen aus kultureller Perspektive hinter sich lassen."
"Nie auf einer CD einen Schwarzen als Dirigenten gesehen"
Bis sich daran etwas ändere, sagte Brandon Keith Brown in "Kultur heute", liege noch ein langer Weg vor der Gesellschaft – auch im Kulturbereich:
"Bis die Schwarzen sich in der Klassikszene behaupten können, wird es noch lange dauern; bis man auch den Schwarzen zutraut, die kanonischen Meisterwerke der symphonischen Literatur und der Opern zu dirigieren. Gehen Sie in irgendeinen Plattenladen und überlegen Sie, wann Sie zum letzten Mal einen schwarzen Dirigenten gesehen haben. Ich habe nie auf einer CD einen Schwarzen als Dirigenten gesehen."
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Der Rassismusexperte Karim Fereidooni vermisst das Thema Rassismuskritik in der Pädagogik. Im Dlf sagte er, es sei wichtig, sich mit den eigenen, auch unbewussten Denkmustern zu beschäftigen und rassismussensibel zu werden.
"Rassismus ist ein System der Machtkontrolle"
Die Kultur gehöre aber nicht den Weißen allein, erinnerte Brown:
"Als Weißer darf man nicht glauben, dass nur Weiße die Wahrheit gepachtet hätten. Rassismus ist keine Handlung. Rassismus ist ein System der Machtkontrolle. Und an den Schalthebeln dieser Macht haben die Schwarzen nichts zu suchen. Das ist etwas, das sich immer mehr verstärkt. Und Sie sollten als Weiße nicht glauben, dass Sie wüssten, wie sich Rassismus anfühlt. Das muss man wirklich erlebt haben. Wir Schwarzen haben alle akademische Weihen im Thema Rassismus erfahren. Wir wissen, was das ist."
Das gelte leider vor allem im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen in den USA:
"Wir sind jetzt zurückgeworfen in die Zeit der Lynchmorde, in die Zeit, in der durch die Polizei außerhalb jedes gesetzlichen Verfahrens Schwarze getötet wurden. Das heißt: Die Lage hat sich nicht verändert."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.