Donnerstag, 28. März 2024

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Rassistische Gewalt  
"Die Opfer werden im Stich gelassen"

Amnesty International sieht in Deutschland Anzeichen für einen institutionellen Rassismus. Die Opfer rassistischer Gewalt würden nur schlecht geschützt, sagte Referent Alexander Bosch im DLF. Der Staat versage bei der Aufgabe, diese Form von Gewalt zu erkennen - und nicht nur dem rechtsextremen Milieu, sondern auch der Mitte der Gesellschaft zuzuordnen.

Alexander Bosch im Gespräch Sarah Zerback | 08.10.2016
    Montagsdemo der Pegida-Gruppierung am Tag der Deutschen Einheit in Dresden.
    Die Polizei in Sachsen steht in der Kritik, mit Rassisten zu sympathisieren (imago/Berg)
    Alexander Bosch erklärte, ein Problem bestehe zum Beispiel darin, dass auch viele Deutsche Opfer von rassistischer Gewalt würden, zum Beispiel Deutsche mit dunkler Hautfarbe oder mit türkischen Wurzeln. Hinzu komme, dass es Polizeibeamten schwer falle, auch den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft als solchen zu erkennen. Meist würden Rassisten nur dem rechtsextremen Milieu zugeordnet. Bei den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte aber agierten Personen, die gar nicht in diesem Milieu einzuordnen seien.
    Nach den Worten von Bosch gibt es in Deutschland Anzeichen für einen institutionellen Rassismus. Er betonte, das sähen auch eine Kommission des Europarates und ein Ausschuss der Vereinten Nationen so. Es werde aber in Deutschland nicht angemessen über Rassismus gesprochen. Meist falle auch ein Wort wie "Fremdenfeindlichkeit" - das aber gar nicht passe, denn bei schwarzen Deutschen handle es sich gar nicht um Fremde, die Opfer würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Sarah Zerback: Deutschland sieht sich gern als Musterschüler der eigenen Geschichte. Aus einer dunklen Vergangenheit, in der Rassenhass und Völkermord gemündet ist, da hat man seine Lektion gelernt. Und doch hat gerade das vergangene Jahr gezeigt, dass Rassismus fortbesteht, sich entlädt in Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte, pöbelnd im Netz oder auf der Straße. Da waren die Einheitsfeierlichkeiten in Dresden nur das jüngste Beispiel. Was aber – und auch das hat die Debatte um Dresden gezeigt –, wenn Rassismus nicht im Privaten endet, wenn Behörden dem nicht entschieden genug begegnen, es dort gar Strukturen gibt, die Rassismus befördern? Ein heikles Thema, für das sich der Sozialwissenschaftler Alexander Bosch engagiert. Bei Amnesty International ist er Experte für Polizei und Rassismus. Guten Morgen, Herr Bosch!
    Alexander Bosch: Schönen guten Morgen!
    Zerback: Wie gut sind denn Menschen in Deutschland vor rassistisch motivierter Gewalt geschützt?
    Bosch: Nach Auffassung von Amnesty International zurzeit relativ schlecht. Wir werfen in einem aktuellen Bericht, der sich nennt "Leben in Unsicherheit: Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt.", genau das der deutschen Bundesregierung vor: Man lässt die Opfer rassistischer Gewalt im Stich. Das zeigen einerseits die schon von Ihnen angesprochenen hohen Zahlen – wir hatten im letzten Jahr nach offiziellen Angaben über 1.000 rassistisch motivierte Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge, und wir haben bereits jetzt in diesem Jahr laut offiziellen Angaben weit mehr als 1.800 Straftaten gegen Flüchtlinge. Also allein diese Zahlen zeigen schon, dass da etwas im Argen liegt und dass wir da besser werden müssen. Wobei auch da muss man ehrlicherweise sagen, das Problem rassistische Gewalt muss man nicht nur im Zusammenhang mit Flüchtlingen diskutieren, sondern von rassistischer Gewalt sind zurzeit natürlich nicht nur Geflüchtete betroffen, sondern auch eigentlich auch viele deutsche Menschen, die einfach nicht klassisch Weiße sind, sondern schwarze Deutsche, People of Color, Deutsche türkeistämmiger Abstammung. Auch die werden zurzeit vermehrt Opfer rassistischer Gewalt, und die kommen in der Diskussion dann teilweise gar nicht vor, aber auch die werden zurzeit Opfer.
    "Der Staat versagt dabei, rassistische Gewalt zu erkennen"
    Zerback: Und wenn die Zahlen doch so enorm gestiegen sind im letzten Jahr, kann man dann nicht davon ausgehen, dass damit auch die Sensibilität der Beamten, der Polizei auch gestiegen ist?
    Bosch: Die Sensibilität für diese Zahlen ist durchaus vielleicht gestiegen, also ich glaube nicht, dass Polizistinnen und Polizisten oder der Staat diese Zahlen möchten. Das Problem dabei ist nur, dass der Staat dabei versagt, wirklich rassistische Gewalt auch teilweise als rassistische Gewalt zu erkennen. Man denkt zu oft in Deutschland einfach noch in den Kategorien der Extremismustheorie, das bedeutet, dass Rassisten eigentlich nur die sind, die entweder am rechtsextremen Rand agieren, und gar nicht der Rassismus, der eigentlich in unserer Gesellschaft existent ist. Den zu erkennen, das ist für Beamte ganz schwierig teilweise, weil für sie eindeutig klar ist manchmal, wenn eine Person eine rassistische Straftat begangen hat, die zu einer rechtsextremen Struktur gehört, dann kann man das eindeutig einordnen, dann sagt man, ja, das ist ein Rassist. Das Problem, was aber auch die Behörden erkannt haben, ist für sie gerade, dass viele Flüchtlingsunterkünfte beispielsweise von Personen angesteckt werden oder angegriffen werden, die früher unauffällig waren, und die können sie dann kaum einordnen. Aber auch teilweise haben sie immer noch Probleme damit, andere Straftaten auch als rassistisch motiviert einzuordnen, weil sie teilweise den Geschichten der Opfer gar nicht glauben und sagen, na ja, war das wirklich eine rassistisch motivierte Straftat, wenn sie das behaupten. Da muss man einfach sagen, da müssen sie sensibler sein, weil nämlich das Opfer hat die Deutungshoheit darüber, ob es eine rassistisch motivierte Straftat war, und nicht etwa die weiße Mehrheitsgesellschaft, die dann einfach ihre Dominanzmacht in dem Sinne benutzt, um zu sagen, was ist denn eigentlich und wer ist eigentlich ein rassistisches Opfer.
    "Wir sprechen in Deutschland nicht wirklich über Rassismus"
    Zerback: Sprechen wir denn da von unbewussten Vorurteilen, die da auch Beamten, Behörden, die Polizei leiten können, oder steckt dahinter auch tatsächlicher Rassismus?
    Bosch: Eigentlich geht es genau darum beim Rassismus. Also das, was wir beispielsweise in unserem Bericht andeuten, wo wir sagen, wir sehen beispielsweise bei den Institutionen Anzeichen für sogenannten institutionellen Rassismus – was übrigens auch der UN-Antifolterausschuss so sieht, was übrigens auch der Europarat, also der Menschenrechtskommissar des Europarats für Deutschland sieht –, dass es gerade im NSU-Kontext deutlich geworden ist, dass es hier vielleicht doch ein Problem mit institutionellem Rassismus gibt. Das meint genau das, was Sie sagen, mit unbewussten Vorurteilen und Stereotypen, die wir in unserer Gesellschaft haben, die rassistisch motiviert sind. Man ist sich dessen nur nicht bewusst. Das liegt teilweise auch daran, dass wir in Deutschland einfach nicht wirklich über Rassismus sprechen, sondern wir sprechen über Rechtsextremismus oder wir sprechen über Rassismus mit dem komischen Wort Fremdenfeindlichkeit, was ein Problem ist unserer Meinung nach oder auch meiner Meinung nach. Weil Fremdenfeindlichkeit sourct das Problem so ein bisschen aus und beschreibt es nicht wirklich richtig, weil teilweise damit natürlich auch gemeint ist, was ich vorhin sagte, wer auch Opfer wird, werden schwarze Deutsche, türkeistämmige Deutsche. Die sind doch gar keine Fremden, aber mit dieser Bezeichnung sourct man das immer wieder aus und wird sich dessen gar nicht bewusst, wie Rassismus eigentlich heute noch in der deutschen Gesellschaft weiter fortwirkt. Man hat den Rassismus nicht mehr Ende des Zweiten Weltkriegs abgeschafft und beendet, sondern die Mechanismen und Strukturen, die auch durch die Kolonialgeschichte noch prägend sind, die muss man mal diskutieren und die muss man sich mal anschauen. Und das hat viel mit unbewussten Vorurteilen und Stereotypen zu tun, die jeder von uns hat.
    Racial Profiling: Schwarze oder People of Color werden häufiger kontrolliert
    Zerback: Ja. Sie sagen jetzt, wir sprechen da in Deutschland zu wenig drüber. Worüber wir sehr wohl sprechen, wenn es solche Fälle in den USA gibt, also wenn es da zum Beispiel in diesem Jahr ja vermehrt zu Polizeigewalt gegen Schwarze zum Beispiel kommt. Wie weit sind wir denn bei uns hier von solchen Zuständen entfernt?
    Bosch: Glücklicherweise, würde ich sagen, sehr. Einerseits ist die Polizei in Amerika und die Situation in Amerika eine ganz andere. In Amerika wird deutlich häufiger die Schusswaffe benutzt, als das in Deutschland der Fall ist – glücklicherweise. Das hat natürlich auch mit der dortigen Gesellschaft zu tun, aber auch mit der dortigen Polizei. Trotzdem muss man sagen, haben auch wir in Deutschland durchaus ein Problem mit Rassismus. Das zeigt sich beispielsweise am Problem des Racial Profiling. Die Polizei und auch die Bundesregierung negieren das Problem in Deutschland. Sie sagen, Racial Profiling gibt es bei uns nicht, weil es ganz einfach ist, Racial Profiling ist verboten in Deutschland, weil es eine Diskriminierung ist, die Polizei hält sich an Recht und Ordnung und deswegen macht sie es nicht. Das ist aber zu einfach gedacht, weil in der Praxis zeigt sich, dass gerade die Polizei immer dann, wenn sie verdachtsunabhängige Kontrollnormen bekommt … das bedeutet, dass wenn die Polizei verdachtsunabhängig jede Person kontrollieren darf, die sie jetzt aufgrund ihres eigenen Erkenntniswissens – oder es heißt im polizeilichen Jargon oft "aufgrund ihres Erfahrungswissens" – für eine Straftat prädestiniert hält, kontrolliert sie diese Person. Und da zeigen wissenschaftliche Studien, dass dann doch sehr häufig Schwarze oder People of Color kontrolliert werden, viel mehr als weiße Menschen und weiße Deutsche. Und das ist genauso ein Problem, wo wir sagen, das ist so ein Anzeichen auch für institutionellen Rassismus, weil dann …
    Zerback: Herr Bosch, noch ganz kurz zum Schluss: Was kann denn dagegen getan werden, was muss denn da jetzt passieren?
    Bosch: Was dagegen passieren muss, also einerseits müsste man sich dem Thema offensiv auch als Polizei stellen und als Staat einfach offensiv noch mal mit dem Thema umgehen. Was ganz wichtig wäre unserer Meinung nach aktuell, ist ein Flüchtlingsschutz, ein Schutzkonzept für Flüchtlingsunterkünfte zu vereinbaren, bundesweit. Da muss es besser werden, da sind Menschen immer noch akut … ja, ihr Leben ist da bedroht, ihre Gesundheit ist bedroht, da muss endlich was passieren. Diese Gewalttaten müssen nicht nur verurteilt werden, hier muss auch endlich mal über Konzepte und Strategien nachgedacht werden. Und das passiert zurzeit zu wenig.
    Zerback: Sagt Alexander Bosch, Experte für Polizei und Rassismus bei Amnesty International. Vielen Dank für das Gespräch!
    Bosch: Gar kein Problem, bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.