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Reaktionen in Deutschland
"Alles tun, um Leben zu schützen"

Das Auswärtige Amt rät Reisenden in Istanbul und Ankara nach dem Putschversuch zu äußerster Vorsicht. Die Bundesregierung steht hinter der türkischen Regierung, und die Erdogan-Anhänger in Deutschland zeigen ihren Rückhalt auf der Straße. Es gibt aber auch besorgte Töne.

Von Klaus Remme | 16.07.2016
    In der Nacht zum Samstag demonstrieren Menschen vor der Türkischen Botschaft in Berlin gegen den Putschversuch.
    In der Nacht zum Samstag demonstrieren Menschen vor der Türkischen Botschaft in Berlin gegen den Putschversuch. (picture-alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Noch am gestrigen Abend wurde das Krisenzentrum im Auswärtigen Amt aktiviert. Die ganze Nacht hindurch hielt man dort Kontakt zur Botschaft in Ankara, zum Generalkonsulat in Istanbul. Der Krisenstab der Bundesregierung tagte um zehn Uhr heute Vormittag.
    Das Auswärtige Amt warnt Türkei Reisende in Ankara und Istanbul zu äußerster Vorsicht, im Zweifel wird geraten, Wohnungen und Hotels nicht zu verlassen. Wer dennoch fliegen will, ist gut beraten, die Fluglinie zu kontaktieren. Die Lage an den deutschen Flughäfen ist unübersichtlich. Viele, aber nicht alle Flüge wurden und werden gestrichen.
    Die politische Tonlage nach den Ereignissen der vergangenen Nacht ist über die Parteigrenzen hinweg eindeutig. Bundesaußenminister Steinmeier erklärte am Vormittag, "Alle Versuche, die demokratische Grundordnung der Türkei mit Gewalt zu verändern, verurteile ich auf das Schärfste."
    "...dann muss das an der Wahlurne passieren."
    Die Bundeskanzlerin ist auf dem Weg vom ASEM Gipfel in Ulan Bator zurück nach Berlin und wird am frühen Nachmittag erwartet. Noch in der Nacht hatte sich Regierungssprecher Steffen Seibert via twitter zu Wort gemeldet. Seine Botschaft, die Bundesregierung betont ihre Unterstützung für die gewählte Regierung. Aus der Opposition kommen ähnliche Signale. Grünen Chef Cem Özdemir sagte heute Morgen im Deutschlandfunk:
    "Wenn Erdogan eines Tages nicht mehr Präsident sein sollte, und man kann das der Türkei eigentlich nur wünschen, wenn man es gut meint mit der Türkei, dann muss das an der Wahlurne passieren. Das wird sicherlich zunehmend schwerer, aber Putsch kann keine Lösung sein."
    Der Rückhalt, den Erdogan in der Türkei genießt, spiegelte sich in den vergangen Stunden auch hierzulande. In zahlreichen, allesamt friedlichen Demonstrationen zeigten mehrere Tausend Teilnehmer ihre Solidarität mit Erdogan. Die größten Demos gab es in Essen, Duisburg und Berlin.
    "Gott sei Dank hat die Demokratie gesiegt"
    Der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglo sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger: Gott sei Dank hat die Demokratie gesiegt. Soweit geht Cem Özdemir sicher nicht. Aber wer immer angesichts der aktuellen Politik des türkischen Präsidenten mit heimlicher Sympathie für die Putschisten auf das Geschehen blickt, den erinnert Özdemir:
    Man erinnert sich in der Türkei, was Putsch bedeutet, nehmen sie allein den letzten offiziellen Putsch 1980, 650-tausend Gefangene, ungezählte Foltertote, Menschen, die die Türkei verlassen mussten. Putsch heißt nichts Gutes in der Türkei, das heißt, dass man die auf dem Weg befindliche Erdogan-Diktatur mit einer Militärdiktatur ersetzt, Erdogan misstraut allem und allen und er wird dafür sorgen, dass sich so etwas nie wieder ereignen kann.
    Sicher ist, die Türkei ist in vieler Hinsicht wichtiger Verbündeter für Deutschland. Rein formal natürlich als Mitglied der Nato, militärisch im laufenden Kampf gegen den IS, Stichwort Bundeswehrsoldaten in Incirlik und politisch als Schlüsselland in Migrationsfragen. Oberstes Gebot zur Stunde sei, die türkische Regierung zu stabilisieren, so der CDU Außenpolitiker Roderich Kiesewetter im rbb und weiter:
    Auf der anderen Seite aber jetzt auch zu verlangen, dass Erdogan sein Volk wieder zusammenführen muss. Das ist eine große wichtige politische Aufgabe und die ersten Signale aus der Türkei deuten ja eher darauf hin, dass er jetzt noch stärker mit Säuberungen vorgehen will, er will es der Gülen Bewegung in die Schuhe schieben, dass sind für mich alles viel zu voreilige Schlüsse, ich glaube, es wird jetzt zu einer größeren Radikalisierung in der Türkei kommen. Erdogan wird sich noch stärker durchsetzen.
    "Die Türkei braucht Demokratisierung"
    Auch Cem Özdemir sagt: Erdogan wird handeln, und man wird die türkische Armee danach nicht wiedererkennen. Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion meint: Die Türkei braucht weder Militärdiktatur noch den Terrorpaten Erdogan sondern Demokratisierung. Ähnlich äußerte sich Justizminister Heiko Maas, SPD: Es gibt nur einen Weg des Machtwechsels: Wahlen, jetzt müsse alles dafür getan werden, um Leben zu schützen.