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Reanimiertes Requiem

Passend zum Monat November, in dem sich die Menschen hierzulande traditionell verstärkt mit dem Phänomen Tod beschäftigen, erschienen jetzt zwei Vokalwerke vom jüngsten Spross der wohl berühmtesten und kinderreichsten Musikerfamilie aller Zeiten: das "Requiem" und das "Miserere" von Johann Christian Bach.

Am Mikrofon: Ludwig Rink |
    Mit Hans-Christoph Rademann hat sich einer der besten Chorleiter dieses Landes dieser weitgehend unbekannten Musik angenommen und sie mit dem RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin aufgenommen, als Koproduktion von Harmonia mundi France und Deutschlandradio Kultur.

    Normalerweise vermeiden wir es, hier im Rahmen der "Neuen Platte" eigene Produktionen von Deutschlandfunk oder Deutschlandradio Kultur zu rezensieren, doch diese Werke stehen auf dem Schallplattenmarkt ohne Konkurrenz da, und ich denke, diese wichtige Erweiterung des Repertoires und das hervorragende Ergebnis rechtfertigen die Ausnahme.

    1) Johann Christian Bach
    aus: Missa da Requiem
    Anfang Requiem von 0'00 bis 1'04
    aus Track <1>
    Dauer: 1'04
    RIAS-Kammerchor
    Akademie für Alte Musik
    Leitung: Hans-Christoph Rademann
    LC 07045
    HMC 902098

    Johann Christian Bach steht mit seinen Werken für die spannende Zeit des Übergangs vom Barock zur Klassik, in der politische, moralische, menschliche Werte auf den Prüfstand kamen und sich auch in den Künsten revolutionäre Veränderungen vollzogen. Sein hier von RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin reanimiertes Requiem wird bestimmt vom Gegensatz zwischen dem strengen, noch auf Palestrina zurückgehenden polyphonen Vokalstil und den melodisch überaus reizvollen, hoch expressiven Arien, die in starker Affinität zur Oper stehen und in denen jede emotionale Nuance des Textes musikalisch gedeutet wird.

    Im gerade verklungenen Beginn des Werkes beweist Johann Christian zunächst seine Meisterschaft in einer schon damals mehr als 200 Jahre alten Kompositionstechnik, die er (wie übrigens nach ihm auch Mozart) bei dem großen italienischen Musikgelehrten Padre Giovanni Battista Martini in Bologna erlernt hatte: Das Errichten eines strengen mehrstimmigen Gebäudes über einer vorgegebenen Grundmelodie. Hier sind es die Bässe, die in langen Notenwerten den alten ambrosianischen Choral anstimmen, über dem sich die sechs höheren Stimmen mit ihrem von den Instrumenten gestützten Liniengeflecht entfalten: Ein im Endeffekt siebenstimmiger Satz von feierlicher Klangschönheit.

    2) Johann Christian Bach
    aus: Missa da Requiem
    Requiem von 1'04 bis 1'56
    aus Track <1>
    Dauer: 0'52
    RIAS-Kammerchor
    Akademie für Alte Musik
    Leitung: Hans-Christoph Rademann
    LC 07045
    HMC 902098

    Direkt zurück in die venezianische Mehrchörigkeit, die sich durch das wechselseitige Musizieren weit im Raum verteilter Sänger- und Musikergruppen definiert, verweist das Kyrie, in dem sich die Chorstimmen neu sortieren, und zwar zu zwei mit einander konzertierenden vierstimmigen Ensembles.

    3) Johann Christian Bach
    aus: Missa da Requiem
    von 3'04 bis 5'30
    aus Track <1>
    Dauer: 2'26
    RIAS-Kammerchor
    Akademie für Alte Musik
    Leitung: Hans-Christoph Rademann
    LC 07045
    HMC 902098

    19-jährig war Johann Christian Bach im Frühjahr 1755 nach Italien aufgebrochen. Die Bekanntschaft mit verschiedenen italienischen Sängerinnen soll seine Lust geweckt haben, das Land südlich der Alpen zu sehen und die dortige Opernszene kennenzulernen. Doch aus der Studienreise wurde ein Umzug: Bach blieb in Italien, seine deutsche Heimat, vom siebenjährigen Krieg erschüttert, rückte in weite Ferne, schließlich trat er zum Katholizismus über und bekam mit 25 eine erste feste Anstellung als Organist am Mailänder Dom.

    Bevor er sich intensiv der Oper zuwandte, entstanden an die 30 zum allergrößten Teil lateinische geistliche Werke, deren öffentliche Aufführungen damals großes Aufsehen erregten und dem jungen deutschen Komponisten in Mailand beträchtlichen Ruhm einbrachten. Offenbar hatte Bach den Ton der Zeit getroffen, war es ihm gelungen, nicht nur die alte Kunst der Polyphonie zu beherrschen, sondern auch den moderneren Stil mit seinen aufgeladenen Affekten und der stärker in den Mittelpunkt rückenden Faszination für alles Melodische.

    Ein gutes Beispiel hierfür ist der Beginn der auf Introitus und Kyrie folgenden Sequenz, das "Dies irae". Hier stürmt und drängt es in Rademanns Interpretation heftig, hier wird das Spiel mit verschiedenen Lautstärkegraden zu einem das Geschehen bestimmenden Element, sei es als plötzlicher Wechsel vom Forte zum Piano und umgekehrt oder als bedrohliches Anschwellen oder verzagtes Abschwellen. Am Tag der Rache, am Tag der Sünden ist der Teufel los ...

    4) Johann Christian Bach
    aus: Missa da Requiem
    Dies irae
    Track <2>
    Dauer: 2'57
    RIAS-Kammerchor
    Akademie für Alte Musik
    Leitung: Hans-Christoph Rademann
    LC 07045
    HMC 902098

    Die vier makellos agierenden Solisten dieser neuen Aufnahme können Sie im folgenden "Confutatis" kennenlernen: Lenneke Ruiten, Sopran, Ruth Sandhoff, Alt, Colin Balzer, Tenor und Thomas E. Bauer, Bass. "Confutatis - Wird die Hölle ohne Schonung den Verdammten zur Belohnung, ruf mich zu der selgen Wohnung."

    5) Johann Christian Bach
    aus: Missa da Requiem
    Confutatis
    Track <11>
    Dauer: 1'53
    RIAS-Kammerchor
    Akademie für Alte Musik
    Leitung: Hans-Christoph Rademann
    LC 07045
    HMC 902098

    Im letzten Sommer war der RIAS-Kammerchor mit diesem Requiem von Johann Christian Bach auf Tour. Zusammen mit Mozarts Krönungsmesse erklang es im Rheingau in der Basilika von Eberbach, in der Abteikirche im französischen La-Chaise-Dieu und als Teil des Musikfestes Bremen im Dom zu Verden. Und zuhause in Berlin konnte man es vor einem Jahr im Konzerthaus erleben; damals entstand dann auch in der Jesus-Christus-Kirche diese sorgfältig produzierte Aufnahme, die Harmonia mundi France jetzt auf den Markt gebracht hat.

    Das abschließende "Lacrimosa" gibt gute Gelegenheit, die Qualitäten von RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin noch einmal gleichsam wie unter einer Lupe zu erleben. Man beachte zum Beispiel das traumhaft sichere Aushalten und Auflösen der vielen Dissonanzen, das beseelte Legato der fugierten Abschnitte, die wie selbstverständlich daherkommende Intonationssicherheit bei den alles andere als leichten Intervallen oder die durchaus zupackende, aber sich nie in den Vordergrund drängende Spielweise des Orchesters.

    6) Johann Christian Bach
    aus: Missa da Requiem
    Lacrimosa ab 1'26 bis Ende
    Track <13>
    Dauer: 4'23
    RIAS-Kammerchor
    Akademie für Alte Musik
    Leitung: Hans-Christoph Rademann
    LC 07045
    HMC 902098

    Die Neue Platte - heute mit geistlicher Musik, mit dem "Requiem" von Johann Christian Bach in einer Aufnahme mit dem RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann, erschienen bei Harmonia mundi France. Mit Wünschen für einen schönen Sonntag verabschiedet sich hier im Studio Ludwig Rink.