Heuer: Per Gesetz hatte Ulla Schmidt den gesetzlichen Krankenkassen zum Jahreswechsel eine Nullrunde verordnet. Ziel der Bundesgesundheitsministerin war, ist und bleibt auch, mit ihrer anstehenden Gesundheitsreform die Ausgaben der Kassen und gleichzeitig die Beiträge der Versicherten zu senken. Doch diese Rechnung mit doppeltem Gewinneffekt geht bislang nicht auf. Anders als Schmidt es wollte, haben viele Krankenkassen auch in diesem Jahr die Beiträge erhöht. Seit gestern wissen wir, um wie viel außerdem ihre Ausgaben im ersten Quartal 2003 gestiegen sind: verglichen mit dem Vorjahr nämlich um mehr als anderthalb Prozent. Schlimmer noch schlagen die sinkenden Einnahmen von 0,2 Prozent zu Buche. Unter dem Strich verzeichnen die gesetzlichen Kassen ein Defizit von 630 Millionen EURO allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres. Über diese schwierige Finanzlage sprechen wir jetzt mit dem Vorsitzenden des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen, Herbert Rebscher. Guten Morgen Herr Rebscher!
Rebscher: Guten Morgen Frau Heuer!
Heuer: Alleine bei Ihnen sind die Einnahmen im ersten Quartal um 0,6 Prozent gesunken. Erhöhen Sie jetzt wieder die Beiträge?
Rebscher: Aus diesen vorliegenden Zahlen auf Beitragssatzveränderungen zu schließen, ist ziemliche Kaffeesatzleserei. Im ersten Quartal sind die Ausgaben seit 10, 15 Jahren immer höher als die Einnahmen. Was daraus klar hervorgeht: wir haben im System einen massiven Finanzdruck. Sie haben eben richtigerweise anmoderiert: das Wegbrechen der Beiträge. Das hängt am Arbeitsmarkt, an der Konjunktur. Zweitens zeigt sich, dass es falsch war und falsch ist zu glauben, man könne Beitragssatzerhöhungen verbieten - das war ja in der Vergangenheit im Januar der Fall - denn die Kassen, die erhöht haben, stehen jetzt besser da als die Kassen, die dies nicht durften und jetzt ein großes Defizit vor sich herschieben mit hohen Zinsbelastungen. Also starker Finanzdruck, aber keine Spekulation über Beitragssatzerhöhungen. Das muss in jeder einzelnen Kasse sorgfältig über das Jahr hinweg verfolgt werden.
Heuer: Nun spekulieren aber andere. Der Patientenverband rechnet damit, dass die Beiträge von heute ungefähr 14,5 Prozent im kommenden Jahr auf 15,5 Prozent erhöht werden. Ist das denn so falsch, mit einer solchen Erhöhung zu rechnen?
Rebscher: In dieser Größenordnung sicher. Im übrigen: Sie haben ja gesagt "spekuliert". Kein Patientenverband kennt die Finanzdaten der GKV und schon gar nicht die von einzelnen Kassen. Man sollte die aufgeregte öffentliche Debatte um unsere Wirtschaftssituation nicht auch noch durch unseriöse Spekulationen anheizen. Richtig ist: wir brauchen dringend entlastende Maßnahmen. Wir brauchen dringend eine Reform. Wir brauchen dringend eine Festigung der Finanzgrundlagen. Jeder neue Arbeitslose, jeder neue Rückgang der Konjunktur und Beschäftigung kostet Beitragseinnahmen und davon werden die Menschen nicht gesünder. Die Ausgaben bleiben auf hohem Niveau, steigen durch unproduktive Strukturen im System. Das heißt wir haben einen massiven Druck im System.
Heuer: Ulla Schmidt möchte ja gerne reformieren und sie sagt, wenn ihre Gesundheitsreform durchkommt, dann könne der Kassenbeitrag künftig unter 13 Prozent gehalten werden. Ist das auch eine unseriöse Spekulation, Herr Rebscher, oder halten Sie das für realistisch?
Rebscher: Die Reform ist notwendig. Bei den Inhalte der Reform hat der vorliegende Entwurf Licht und Schatten. Darüber muss man im Einzelnen diskutieren. Das sind viele richtige Punkte, zum Beispiel erstmals die seit 10, 15 Jahren überfällige Umbassierung sogenannter versicherungsfremder Leistungen aus dem Steuerbudget. Die Zahl 13 halte ich allerdings für eine politische Fata Morgana, denn die Menschen werden erkennen - und zwar die 70 Millionen Versicherten - dass wenn es denn erreichbar sei, dann ist das nur eine Zahl, die für den Arbeitgeber, nämlich für dessen Arbeitgeberbeitrag gilt. Für die Versicherten ist durch die Umfinanzierung nur noch durch Versicherte - denken Sie an die Krankengeldregelung oder die Erhöhung der Zuzahlung - die ökonomische Belastung nicht geringer als bisher, eher steigend. Das sollte man den Menschen auch fairerweise und offen sagen und nicht mit einer Zahl 13 durch das Land irren, die dann niemand in seinem Geldbeutel und in seiner Abgabenlast wirklich erfährt. Das ist eine Politik, die die Arbeitgeber schützen soll vor Lohnnebenkosten und nicht die Versicherten vor Beitragssätzen.
Heuer: Nun setzt sich das Defizit der Kassen ja zusammen aus den fehlenden Einnahmen, aber auch aus zu hohen Ausgaben. Rund 8 Prozent mehr Geld ist im ersten Quartal zum Beispiel für Krankenfahrten und Heilmittel ausgegeben worden. Schöpfen die Patienten da noch mal, bevor es Ernst wird mit der Gesundheitsreform, aus dem Vollen?
Rebscher: Das glaube ich nicht. Man muss sehen: wir haben bestimmte Bereiche, die gerade im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen auch wirklich dann Kosten auslösen. Das sind Fahrtkosten, das sind Heilmittel. Hier haben wir auch einen riesigen Nachholbedarf in der Steuerungsfunktion zwischen Ärzten, Kassen im Vertrag, wer bekommt wann notwendige Mittel. Hier brauchen wir dringend eine Schärfung und Stärkung unserer Möglichkeiten der Steuerung - das hat die Politik aber auch gesehen - dieser Ausgaben auf die notwendigen Verordnungen, auf die Krankheiten, die diese Leistungen notwendig machen, und hier müssen wir nachschärfen zu sagen, was ist der rationelle und der rationale Einsatz von Medizin. Die Leistungen selbst stehen nicht zur Disposition. Die Frage ist, ob wirklich so viel, so häufig und so intensiv verordnet werden muss, und hier brauchen wir neue Instrumente, um das eine vom anderen zu unterscheiden.
Heuer: Herbert Rebscher war das, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen. - Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Rebscher!
Link: Interview als RealAudio
Rebscher: Guten Morgen Frau Heuer!
Heuer: Alleine bei Ihnen sind die Einnahmen im ersten Quartal um 0,6 Prozent gesunken. Erhöhen Sie jetzt wieder die Beiträge?
Rebscher: Aus diesen vorliegenden Zahlen auf Beitragssatzveränderungen zu schließen, ist ziemliche Kaffeesatzleserei. Im ersten Quartal sind die Ausgaben seit 10, 15 Jahren immer höher als die Einnahmen. Was daraus klar hervorgeht: wir haben im System einen massiven Finanzdruck. Sie haben eben richtigerweise anmoderiert: das Wegbrechen der Beiträge. Das hängt am Arbeitsmarkt, an der Konjunktur. Zweitens zeigt sich, dass es falsch war und falsch ist zu glauben, man könne Beitragssatzerhöhungen verbieten - das war ja in der Vergangenheit im Januar der Fall - denn die Kassen, die erhöht haben, stehen jetzt besser da als die Kassen, die dies nicht durften und jetzt ein großes Defizit vor sich herschieben mit hohen Zinsbelastungen. Also starker Finanzdruck, aber keine Spekulation über Beitragssatzerhöhungen. Das muss in jeder einzelnen Kasse sorgfältig über das Jahr hinweg verfolgt werden.
Heuer: Nun spekulieren aber andere. Der Patientenverband rechnet damit, dass die Beiträge von heute ungefähr 14,5 Prozent im kommenden Jahr auf 15,5 Prozent erhöht werden. Ist das denn so falsch, mit einer solchen Erhöhung zu rechnen?
Rebscher: In dieser Größenordnung sicher. Im übrigen: Sie haben ja gesagt "spekuliert". Kein Patientenverband kennt die Finanzdaten der GKV und schon gar nicht die von einzelnen Kassen. Man sollte die aufgeregte öffentliche Debatte um unsere Wirtschaftssituation nicht auch noch durch unseriöse Spekulationen anheizen. Richtig ist: wir brauchen dringend entlastende Maßnahmen. Wir brauchen dringend eine Reform. Wir brauchen dringend eine Festigung der Finanzgrundlagen. Jeder neue Arbeitslose, jeder neue Rückgang der Konjunktur und Beschäftigung kostet Beitragseinnahmen und davon werden die Menschen nicht gesünder. Die Ausgaben bleiben auf hohem Niveau, steigen durch unproduktive Strukturen im System. Das heißt wir haben einen massiven Druck im System.
Heuer: Ulla Schmidt möchte ja gerne reformieren und sie sagt, wenn ihre Gesundheitsreform durchkommt, dann könne der Kassenbeitrag künftig unter 13 Prozent gehalten werden. Ist das auch eine unseriöse Spekulation, Herr Rebscher, oder halten Sie das für realistisch?
Rebscher: Die Reform ist notwendig. Bei den Inhalte der Reform hat der vorliegende Entwurf Licht und Schatten. Darüber muss man im Einzelnen diskutieren. Das sind viele richtige Punkte, zum Beispiel erstmals die seit 10, 15 Jahren überfällige Umbassierung sogenannter versicherungsfremder Leistungen aus dem Steuerbudget. Die Zahl 13 halte ich allerdings für eine politische Fata Morgana, denn die Menschen werden erkennen - und zwar die 70 Millionen Versicherten - dass wenn es denn erreichbar sei, dann ist das nur eine Zahl, die für den Arbeitgeber, nämlich für dessen Arbeitgeberbeitrag gilt. Für die Versicherten ist durch die Umfinanzierung nur noch durch Versicherte - denken Sie an die Krankengeldregelung oder die Erhöhung der Zuzahlung - die ökonomische Belastung nicht geringer als bisher, eher steigend. Das sollte man den Menschen auch fairerweise und offen sagen und nicht mit einer Zahl 13 durch das Land irren, die dann niemand in seinem Geldbeutel und in seiner Abgabenlast wirklich erfährt. Das ist eine Politik, die die Arbeitgeber schützen soll vor Lohnnebenkosten und nicht die Versicherten vor Beitragssätzen.
Heuer: Nun setzt sich das Defizit der Kassen ja zusammen aus den fehlenden Einnahmen, aber auch aus zu hohen Ausgaben. Rund 8 Prozent mehr Geld ist im ersten Quartal zum Beispiel für Krankenfahrten und Heilmittel ausgegeben worden. Schöpfen die Patienten da noch mal, bevor es Ernst wird mit der Gesundheitsreform, aus dem Vollen?
Rebscher: Das glaube ich nicht. Man muss sehen: wir haben bestimmte Bereiche, die gerade im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen auch wirklich dann Kosten auslösen. Das sind Fahrtkosten, das sind Heilmittel. Hier haben wir auch einen riesigen Nachholbedarf in der Steuerungsfunktion zwischen Ärzten, Kassen im Vertrag, wer bekommt wann notwendige Mittel. Hier brauchen wir dringend eine Schärfung und Stärkung unserer Möglichkeiten der Steuerung - das hat die Politik aber auch gesehen - dieser Ausgaben auf die notwendigen Verordnungen, auf die Krankheiten, die diese Leistungen notwendig machen, und hier müssen wir nachschärfen zu sagen, was ist der rationelle und der rationale Einsatz von Medizin. Die Leistungen selbst stehen nicht zur Disposition. Die Frage ist, ob wirklich so viel, so häufig und so intensiv verordnet werden muss, und hier brauchen wir neue Instrumente, um das eine vom anderen zu unterscheiden.
Heuer: Herbert Rebscher war das, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen. - Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Rebscher!
Link: Interview als RealAudio