Dienstag, 19. März 2024

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Rechercheprojekt "Pillenkick"
Warum der Fußball ein Schmerzmittelproblem hat

Profis und Amateure, die regelmäßig oder prophylaktisch Schmerzmittel einnehmen - bis zum Missbrauch: Das Rechercheprojekt "Pillenkick" zeigt eindrücklich, dass der Fußball ein Schmerzmittelproblem hat. Die Recherchen waren jedoch alles andere als einfach.

Hajo Seppelt und Jonathan Sachse im Gespräch mit Matthias Friebe | 14.06.2020
Schmerzmittel Ibuprofen
Bundesliga-Profi Neven Subotic sagt über seine Erfahrungen im Umgang mit Schmerzmitteln im Fußball: "Ibuprofen wird wie Smarties verteilt." (imago images / MiS)
Sie seien bei ihren Recherchen für "Pillenkick" auf viele verschwiegene Pressestellen gestoßen, berichten die Journalisten Hajo Seppelt und Jonathan Sachse im Dlf-Sportgespräch: "Es war schon sehr offenkundig, wie zurückhaltend die Vereine reagiert haben", so der ARD-Dopingexperte Seppelt.
Für die Recherchen zu Schmerzmittelmissbrauch im Fußball hatten die ARD-Dopingredaktion und das Recherchenetzwerk Correctiv ihre Kräfte gebündelt. Die Ergebnisse präsentieren sie unter anderem auf der Plattform pillenkick.de sowie in der ARD-Dokumentation Geheimsache Doping - "Hau rein, die Pille!". Die beiden Investigativjournalisten Seppelt und Sachse führten gemeinsam mit ihrem Team eine Online-Umfrage unter 1.100 Amateurfußballspielern durch und sprachen mit insgesamt rund 150 Akteuren aus dem Profifußball - von Mannschaftsärzten bis zu aktiven Profis: "Allerdings mit den meisten eben nur vertraulich", so Seppelt, "nur wenige wollten am Ende vor der Kamera oder vor dem Mikrophon auftreten."

Interviews über die Presseabteilung von Bundesliga-Vereinen anzufragen, erwies sich dabei schnell als nicht besonders zielführend: "Es war für uns eine zentrale Erkenntnis in der Recherchemethodik", so Sachse im Dlf-Sportgespräch, "dass wir eben möglichst viel den Direktkontakt suchen müssen." Zu Neven Subotic zum Beispiel. Der Fußballprofi, der lange bei Borussia Dortmund spielte und heute für Union Berlin aufläuft, sagt: "Was ich in den letzten 14 Jahren mitbekommen habe - Ibuprofen wird wie Smarties verteilt."
FC Union Spieler Neven Subotic 2019 im Trainingslager in Österreich.
FC Union Profi Neven Subotic sagt: "Ich glaube, dass Schmerzmittel im Fußball sehr präsent sind." (dpa/picture alliance/Matthias Koch)
Subotic war nicht der einzige, der vom fahrlässigen Umgang mit Schmerzmitteln im Fußball berichtete: regelmäßig und manchmal auch hoch dosiert, vor Spielen und zuweilen auch vor dem Training, nicht selten prophylaktisch. Ein Umgang, der nicht ohne Folgen bleibt. Über die Online-Umfrage unter Amateurfußballern etwa haben die Journalisten "wirklich Hunderte Aussagen bekommen über negative Folgen, nachdem Schmerzmittel genommen wurden fürs Spiel oder Training", berichtet Jonathan Sachse. "Also, Magenprobleme ist so der Klassiker. Aber es ging auch um Schäden an Leber oder Niere."
Abgrenzung zum Doping
Übermäßiger Konsum von Schmerzmitteln kann Herz, Leber, Nieren und den Magen schädigen. Zudem können Verletzungen mit den Tabletten verschleppt und chronisch werden. Aufgrund dieser negativen gesundheitlichen Auswirkungen sehen manche Experten, mit denen das Rechercheteam gesprochen hat, Diskussionsbedarf: darüber, wann Schmerzbehandlung aufhört, und Doping anfängt. Denn das Risiko einer Gesundheitsschädigung ist für die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA ein Kriterium dafür, eine Substanz auf die Liste verbotener Mittel zu setzen. Ein weiteres Kriterium betrifft die Leistungssteigerung.
Auch dieses Kriterium kann bei Schmerzmitteln nach Ansicht von Jonathan Sachse erfüllt sein. Zum Beispiel bei den Fußballern "aus dem Amateurbereich, die eben sagen: Ich mach das nicht, um meine Schmerzen behandeln zu können oder die Verletzung. Ich mach das prophylaktisch, um mich besser zu fühlen, und bewirke dadurch sozusagen einen leistungssteigernden Effekt."
Prävention durch Aufklärung
Die Welt-Anti-Doping-Agentur vertritt bislang noch die Ansicht, Schmerzmittel würden nicht die Leistung steigern. Dass die Abgrenzung zwischen unerlaubtem Doping und erlaubtem Schmerzmittelgebrauch nicht immer leicht fällt, sieht auch Hajo Seppelt so. Trotzdem müsse es eine Debatte zu dieser Thematik geben und mehr Aufklärung - vor allem auch im Umfeld der betroffenen Sportler. DFB-Präsident Fritz Keller hat bereits angekündigt, das Thema in Zukunft ernster zu nehmen als bisher.
Hajo Seppelt äußerte sich im Dlf-Sportgespräch auch zu Vorwürfen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", er habe im Rahmen der Recherchen zum Doping-Netzwerk um den Erfurter Arzt Mark Schmidt Infos aus vertraulichen Gesprächen an Ermittler weitergegeben. "Das ist ein insinuierter Vorwurf des Spiegel", so Seppelt, "ich habe das auch schon dem Spiegel selber gesagt und sage es auch hier noch einmal in aller Deutlichkeit: Ich habe zu keinem Zeitpunkt Informationen an irgendwelche Ermittler gegeben, die im Zusammenhang mit den Recherchen oder Dreharbeiten zu dem Film "Die Gier nach Gold" gestanden haben."
Natürlich würden aber Ermittler auch von journalistischen Recherchen profitieren, "wenn die Dinge nämlich rauskommen", sagte Hajo Seppelt weiter. "Das ist ja im Fall der 'Operation Aderlass' auch passiert und führte dann halt auch zu den zahlreichen Ermittlungen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.