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"Rechtlich unzulässig"

Strafrechtler Jens Puschke hält den von der Deutschen Polizeigewerkschaft geforderten Internet-Pranger für rechtlich problematisch. Zudem werde die Gefahr, die von verurteilten Personen ausgehe, in der Bevölkerung überschätzt.

Jens Puschke im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.08.2010
    Sandra Schulz: Im Interview mit dem Deutschlandfunk hat der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sicherheitshalber darauf hingewiesen, das sei nicht seine Wortwahl. Trotzdem sprach er vom Internet-Pranger mit Blick auf den Vorstoß, den er in die Diskussion um den Umgang mit Straftätern eingebracht hat, die auch nach Ende ihrer Haftzeit noch gefährlich sind. Wir wollen die Vorschläge weiter diskutieren. Am Telefon begrüße ich Jens Puschke, Strafrechtler der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Guten Tag!

    Jens Puschke: Guten Tag.

    Schulz: Die Daten von entlassenen Straftätern ins Internet zu stellen, was wäre denn daran eigentlich so schlimm?

    Puschke: Aus meiner Sicht ist diese Maßnahme sowohl rechtlich problematisch, rechtlich unzulässig, aber auch praktisch, von den praktischen Konsequenzen her verheerend.

    Schulz: Was genau wäre rechtlich daran so problematisch?

    Puschke: Die Veröffentlichung von Namen, Adressen und Fotos von Personen, die wegen schwerer Delikte verurteilt wurden und ihre Strafe ja bereits verbüßt haben, widerspricht zum einen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, was auch den Datenschutz umfasst, und verletzt die Menschenwürde dieser Person.

    Schulz: Und was ist praktisch daran so schwierig?

    Puschke: Praktisch ist es vor allen Dingen so, dass die Konsequenzen eines entsprechenden Vorgehens eher kontraproduktiv werden. Auf der einen Seite wird nicht klar, wie eine solche Maßnahme die Sicherheit der Bevölkerung irgendwie verbessern soll. Stattdessen wird sich eher das Sicherheitsempfinden sogar noch deutlich verschlechtern, wenn man glaubt zu wissen, dass eine gefährliche Person sich in der Nähe befindet. Auch werden Resozialisierungsbemühungen etwa von Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern nahezu unmöglich gemacht und die Arbeit der Polizei auch zusätzlich erschwert aus meiner Sicht.

    Schulz: Aber stimmt es nicht, was Rainer Wendt sagt, dass man sich natürlich besser schützen kann, wenn man weiß, wen man da in seiner Nachbarschaft hat?

    Puschke: Das ist der übliche Irrglaube von einem permanenten Schutz, von einer umfassenden Sicherheit, die es einfach nicht geben kann. Man kann und sollte auch seine Kinder nicht rund um die Uhr bewachen müssen und sollte durch solche Maßnahmen auch nicht das Gefühl bekommen, dass es notwendig ist. Absolute Sicherheit wird es nie geben und die Gefahr von Personen, die verurteilt wurden, wird auch in der Bevölkerung deutlich überschätzt.

    Schulz: Sie sagen, das würde das Sicherheitsgefühl noch mal nach unten drosseln. Also ist das Motto, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?

    Puschke: Nein. Es ist in der Tat so, dass ja durchaus keine Geheimhaltung darüber besteht, wer verurteilt wurde. In Deutschland sind Gerichtsverhandlungen öffentlich. Man kann daran teilnehmen, man kennt die Personen. Die Frage ist nur, ob der Staat systematisch ins Internet Fotos, Adressen von Personen stellen sollte und so in der Tat dieses angesprochene Wort des Internet-Prangers aufbauen sollte.

    Schulz: Jetzt gibt es diesen sogenannten Internet-Pranger ja zum Beispiel in den USA. Welche Erfahrungen gibt es von dort damit?

    Puschke: Die Erfahrungen aus den USA sind eher, dass er keinen Einfluss auf die Sicherheit hat. Rückfälle werden dadurch nicht verhindert. Es erschließt sich auch nicht, wie Rückfälle verhindert werden sollten, allein durch die Veröffentlichung von Namen und Adressen. Im Gegenteil: möglicherweise kommt es zu irgendwelchen Gewalthandlungen durch eine aufgeheizte Stimmung in diesen Wohnbereichen, die dann ja bekannt sind.

    Schulz: Jetzt geht es bei der Diskussion – das hat Rainer Wendt ja selbst auch angedeutet – natürlich eigentlich auf die Frage, wie wir umgehen mit Straftätern, die auch nach ihrer Haft noch gefährlich sind. Stimmt es nicht, was die Union sagt, dass das einfachste ist, diese Täter einfach in Verwahrung zu behalten?

    Puschke: Das einfachste mag es unter Umständen sein. Das Problem ist nur, dass es eben nicht unserer Verfassung und nicht unserem Rechtsstaat entspricht und eben auch nicht der europäischen Menschenrechtskonvention entspricht, wenn man so weitermacht wie bisher. Die Sicherungsverwahrung, so wie sie in Deutschland geregelt und ausgestaltet ist, ist eindeutig rechtswidrig, europarechtswidrig und meines Erachtens auch verfassungsrechtswidrig.

    Schulz: Aber die Sicherungsunterbringung, die die Union jetzt ins Gespräch gebracht hat, die soll ja etwas anderes sein, das soll ja keine Haft nach der Haft sein. Wäre das rechtsstaatlich vertretbar?

    Puschke: Dazu müsste man klären, was denn daran bitte keine Haft sein soll, wenn man das Wort Verwahrung durch Unterbringung ersetzt. Natürlich geht es der Union bei diesem Vorschlag darum, Personen wegzusperren. Und etwas anderes als Haft sollte dies sein?

    Schulz: Gibt es denn überhaupt keine rechtsstaatlichen Möglichkeiten für dieses zugespitzt Wegschließen, wie auch immer die aussehen mögen?

    Puschke: Diese Personen sind ja verurteilte Straftäter. Sie haben eine zum Teil sehr lange Freiheitsstrafe erhalten, sind im Strafvollzug lange Zeit eingesperrt gewesen. Das ermöglicht der Rechtsstaat, das ermöglicht das Strafrecht und das ist die Maßnahme, die durchaus rechtsstaatlich relevant und sinnvoll ausgestaltet sein sollte. Wichtig wäre es, den Strafvollzug nun besser auszugestalten, und zwar in der Form besser, dass nach dem Strafvollzug halt Rückfälle möglichst vermieden werden.

    Schulz: Wie soll das passieren?

    Puschke: Es ist notwendig, dass endlich wesentlich mehr Gelder in den Strafvollzug fließen und vor allen Dingen die personale Situation, was Psychologinnen und Psychologen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter angeht, deutlich verbessert wird.

    Schulz: Aber es ist doch so – und das wäre auch in einem System eines besseren Strafvollzugs so -, dass es Täter gibt, die auch nach Haftende noch als gefährlich gelten. Wie soll der Rechtsstaat mit denen dann umgehen?

    Puschke: Es ist ja auch die Annahme, dass diese Prognosen, die von Gutachtern erstattet werden, in Wirklichkeit halt sehr unzuverlässig sind, und sie diese Gefährlichkeit, diese konkrete Gefährlichkeit, die behauptet wird, einfach nicht sicher diagnostizieren können. Das haben inzwischen einige Studien bewiesen.

    Schulz: Jens Puschke, Strafrechtler der Uni Freiburg, heute in den "Informationen am Mittag". Herzlichen Dank dafür.