Samstag, 20. April 2024

Archiv

Rechtmäßigkeit von Transitzentren
"Deutschland hat keine Hoheit mehr über die Binnengrenzen"

Die CSU versuche mit der Einrichtung von Transitzentren Handlungsfähigkeit auf nationaler Ebene zu demonstrieren, die es so nicht mehr gebe, sagte Asylexperte Thomas Groß im Dlf. Europäische Verträge hätten diese Kompetenz der Bundesrepublik entzogen und der Europäischen Union übertragen.

Thomas Groß im Gespräch mit Silvia Engels | 04.07.2018
    Die Flagge der Europäischen Union (l.) und die Flagge der Bundesrepublik Deutschland.
    An den Binnengrenzen seien Grenzkontrollen seit 20 Jahren nicht mehr zulässig, sagt Asylexperte Thomas Groß (picture alliance / Monika Skolimowska/dpa)
    Silvia Engels: Viel in diesem Asylstreit rankt sich um die sogenannten Transitzentren an der Grenze zu Österreich, die Horst Seehofer gerne hätte. Hier sind auch rechtliche Aspekte wichtig. Mitgehört hat deshalb Thomas Groß. Er ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Osnabrück mit Schwerpunkt für Europarecht. Guten Tag, Herr Professor Groß!
    Thomas Groß: Guten Tag.
    Engels: Nehmen wir an, ein flüchtender Mensch, der in einem anderen EU-Land schon registriert ist, kommt aus Österreich an die Grenze zu Deutschland – Innenminister Seehofer plant wohl, künftig ihn in einem Transitzentrum zwei Tage festzuhalten und ihn dann in das EU-Land zurückzuschicken, in dem er registriert wurde. Ist das rechtlich möglich?
    Groß: Nach meiner Auffassung ist das in dieser Form nicht zulässig, weil er in Deutschland, wenn er hier Asyl beantragt, internationalen Schutz beansprucht, Anspruch auf ein Verwaltungsverfahren hat, in dem die Zuständigkeit des entsprechenden Staates und eventuell auch die eigentliche Schutzbedürftigkeit geprüft wird. Dieses Verfahren braucht aber eine gewisse Zeit und kann nicht innerhalb so kurzer Frist durchgeführt werden.
    Engels: Wie ist es denn, wenn man sich da eines juristischen Kniffs bedient, wie er ja zum Beispiel an Flughäfen offenbar schon ausgeübt wird? Dort an Airports werden ja heute schon Menschen in der Transitzone recht kurz festgehalten und zuweilen in EU-Länder zurückgeschickt, aus denen sie eingereist sind. Der Kniff dabei ist, dass man so tut, als sei das noch nicht die Bundesrepublik Deutschland. Könnte man dieses Rechtskonstrukt auch auf die Grenze übertragen, und dann hätte auch der Asylbewerber keine rechtliche Handhabe, wie Sie es beschrieben haben?
    Groß: Hier besteht ein entscheidender Unterschied zwischen den Außengrenzen der Europäischen Union und den Binnengrenzen. Flughäfen und auch Seehäfen haben Transitzonen für Einreisende, die aus Ländern außerhalb der Europäischen Union kommen. In diesen Transitzonen ist in der Tat dann noch keine Einreise im rechtlichen Sinne erfolgt und es kann ein beschleunigtes Asylverfahren stattfinden. Das ist aber etwas ganz anderes als das Dublin-Verfahren, weil dann die Einreise nicht aus einem anderen EU-Staat erfolgt. Das ist aber der Fall an den Binnengrenzen. An den Binnengrenzen sind aber Grenzkontrollen seit 20 Jahren schon gar nicht mehr zulässig, allenfalls in Ausnahmefällen, so dass die Voraussetzung, dass nämlich überhaupt eine Kontrolle stattfindet, gar nicht gegeben ist.
    "Es darf keine Kontrollen mehr geben - nur in Ausnahmefällen"
    Engels: Das heißt, halten wir fest: Die Flughafenregelung kann Ihrer Ansicht nach an den Grenzen zu Österreich überhaupt keine Anwendung finden? Das heißt, es ist auch völlig unrealistisch, wenn Horst Seehofer sagt, in zwei Tagen wird derjenige, der da vielleicht kurz festgehalten wird, zurückgeschickt, denn der hat nach wie vor rechtliche Handhabe, hier auch einen Asylantrag noch einmal zu stellen?
    Groß: Genau. Er kann den Antrag stellen und dann muss ein ordentliches Verwaltungsverfahren durchgeführt werden. Das kann natürlich beschleunigt werden. Aber die Vorstellung, Deutschland könne einfach ein einseitiges Grenzregime einführen, wie es ja in dieser Vereinbarung heißt, übersieht, dass Deutschland keine Hoheit mehr über die Binnengrenzen hat. Das ist vor 20 Jahren entschieden worden, ursprünglich mit dem Schengener Abkommen, inzwischen in den europäischen Verträgen verankert, dass es keine Kontrollen an den Binnengrenzen mehr geben darf, außer in eng begrenzten Ausnahmefällen, und das schließt es auch aus, eine solche Fiktion der Nichteinreise an den Binnengrenzen anzuwenden.
    Engels: Jetzt spielt ja eine ganz große Rolle, dass man bilaterale Vereinbarungen trifft und damit dieses, was Sie gerade ansprechen, vielleicht doch umgehen kann, dass es eigentlich keine Binnengrenzen mehr gebe. Das heißt, wenn Österreich zustimmen würde, hier Menschen zurückzunehmen, dann wäre es rechtlich möglich?
    Groß: Vereinbarungen sind möglich über die Abwicklung des Dublin-Verfahrens. Das heißt: Dann, wenn Deutschland festgestellt hat, dass ein anderer EU-Staat zuständig ist, dann kann über Abkommen geregelt werden, wie die Rücküberstellung des Asylbewerbers möglichst schnell und möglichst einfach erfolgen kann. Das ist ohne weiteres zulässig.
    Im Fall von Österreich wird es aber darum gar nicht gehen, weil die allerwenigsten Antragsteller ja in Österreich ein Verfahren bekommen werden, sondern in anderen Staaten wie Griechenland, Ungarn, Bulgarien, wo sie zuerst eingereist sind. Auch Österreich ist ja kein Ersteinreiseland, weil es keine Außengrenze hat.
    "Konstruktion von vornherein unmöglich"
    Engels: Wenn ich Sie richtig verstehe, ist dieses ganze Konstrukt Ihrer Ansicht nach rechtlich gar nicht möglich. Das heißt: Die Frage, ob diese Transitzentren geschlossene Lager wären oder noch freie Bewegungsmöglichkeiten erlauben müssen, die stellt sich gar nicht, weil es Ihrer Meinung gar nicht so weit kommen wird?
    Groß: Genau. Wenn man die europäischen Regelungen ernst nimmt, dann ist diese Konstruktion von vornherein unmöglich, und dann entfällt übrigens auch die Begründung, dass ja gar keine Haft vorliegt, weil noch keine Einreise erfolgt ist. Das passt dann auch nicht auf diesen Fall.
    Engels: Gehen Sie davon aus, wenn es überhaupt eine Art von Gesetzesentwurf und diese dahinter geplanten bilateralen Abkommen gibt, dass dann eine Regelung an der bayerisch-österreichischen Grenze rechtlich wieder von Verfassungsgerichten oder dem Europäischen Gerichtshof gekippt wird?
    Groß: Genau. Sobald ein solcher Fall vor ein deutsches Gericht kommt, müsste die Frage dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt werden, und meiner Meinung nach müsste er zum Ergebnis kommen, dass ein solches neues Grenzregime europarechtswidrig ist.
    Engels: Solche Bedenken, wie Sie sie jetzt noch mal zusammengefasst haben, wurden auch schon der CSU vorgelegt. Was denken Sie, warum man dort nicht darauf reagiert?
    Groß: Das ist jetzt natürlich keine rechtswissenschaftliche Frage. Aber offensichtlich versucht die CSU, Handlungsfähigkeit auf nationaler Ebene zu demonstrieren, die es in dieser Form nicht mehr gibt – unter anderem, weil europäische Verträge, denen auch das Land Bayern zugestimmt hat, diese Kompetenz der Bundesrepublik entzogen und der Europäischen Union übertragen haben.
    Engels: Thomas Groß war das. Er ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Osnabrück mit Schwerpunkt Europarecht. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen und Einordnungen heute Mittag.
    Groß: Auf Wiederhören.
    Engels: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.