Freitag, 03. Mai 2024

25 Jahre Rechtschreibreform
Als der Kaiser zum „Keiser“ werden sollte

Um die deutsche Sprache werden harte Kämpfe ausgefochten: Heute entzweit das Gendern die Nation, vor einem Vierteljahrhundert war es der Versuch, das Deutsche zu vereinfachen. Doch der Widerstand gegen die Rechtschreibreform war immens.

31.07.2023
     Rechtschreibreform: Schriftzug aus Buchstabennudeln.
    Der Reform folgte eine Reform - und die Einsicht, dass sich nur solche Regeln durchsetzen, die „den Schreibgebrauch einer Mehrheit der Lesenden und Schreibenden berücksichtigen“. (imago images / Steinach)
    Gesprungen als Tiger, gelandet als Bettvorleger – diese Redewendung passt hervorragend, um den Weg der Rechtschreibreform zu beschreiben, deren Regeln vor 25 Jahren – am 1. August 1998 - in Kraft traten. Ursprünglich sollte die deutsche Rechtschreibung radikal vereinfacht werden, doch der Widerstand dagegen war exorbitant. Für die Stuttgarter Nachrichten handelt es sich beim damaligen Streit sogar um die „Mutter aller Kulturkämpfe“.
    Und ob nun tatsächlich vieles einfacher geworden ist oder nur jede Menge Verwirrung gestiftet wurde – darüber gehen die Meinungen immer noch weit auseinander. Manch einer findet, dass die deutsche Sprache einem seither leidtun kann. Wobei nun natürlich erst einmal zu klären wäre, ob „leidtun“ hier überhaupt richtig geschrieben wurde. Wirklich klein und zusammen? Oder in zwei Wörtern und Leid groß? Oder klein und auseinander?
    „Leidtun hat eine sehr wechselvolle Geschichte hinter sich, ist sozusagen ein Extremfall, was Änderungen im Laufe der Rechtschreibreform betrifft“, berichtet die promovierte Germanistin Melanie Kunkel aus der Duden-Redaktion. „Vor der Reform von 1996 schrieb man leidtun noch getrennt und leid klein, dann bis 2004, immer noch getrennt, aber Leid groß. Dann war bis 2006 zusätzlich die Klein- und Zusammenschreibung gültig, und ja - seit 2006 – nur noch diese.“

    Die Reform sollte alles einfacher machen

    Das ist dann doch eher verwirrend. Dabei hätte mit der Rechtschreibreform alles einfacher werden sollen. Das war zumindest die Idee der Sprachwissenschaftler, die sich seit den 1980er-Jahren für vereinfachte Rechtschreibregeln stark machten.
    Mit dem Vorhaben sollte das komplizierte Regelwerk der deutschen Rechtschreibung lautorientierter, systematischer und dadurch leichter lernbar gemacht werden. Einer der Vordenker der Reform war der Germanistik-Professor Gerhard Augst. „Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass das Wissen, das ein Mensch in acht oder neun oder zehn Schuljahren erwerben kann, ausreicht, um die Rechtschreibung zu beherrschen“, sagte er ehemals dem Deutschlandfunk.

    Großbuchstaben nur am Satzanfang und bei Eigennamen

    Eine von Augst geleitete Kommission, beauftragt von Bundesinnenministerium und Kultusministerkonferenz, legte einen ersten Reform-Entwurf vor – und der war radikal: Der Kaiser sollte „Keiser“ geschrieben werden, das Boot wurde zum „Bot“, und Großbuchstaben sollte es nur noch am Satzanfang und bei Eigennamen geben. Die Reaktionen waren niederschmetternd und „furchtbar“, wie Augst fand: „Sie sind wirklich über uns hergefallen.“
    Der Entwurf wurde deswegen entschärft und neu verhandelt, bis sich 1996 Deutschland, Österreich und die Schweiz in der Wiener Absichtserklärung verpflichteten, die reformierte Orthografie einzuführen. Die Reform schien unter Dach und Fach, neue Wörterbücher wurden gedruckt, tausende Schulen begannen, die neuen Regeln zu unterrichten. Doch der Streit ging jetzt erst richtig los.
    Für Friedrich Denk - einer der einflussreichsten Gegner der Reform - war diese “überflüssig wie eine Warze am Fuß“ und „schmerzhaft“. Der damalige Deutsch-Lehrer an einem bayrischen Gymnasium wollte die neuen Orthografieregeln nicht akzeptieren und schon gar nicht unterrichten. Die Reform verhunze die deutsche Sprache und sei außerdem viel zu teuer, wetterte er – ein gutes Geschäft höchstens für Schul- und Wörterbuchverlage.

    "Rettet die deutsche Sprache!"

    Auch viele Dichter und Denker, Intellektuelle, Sprachwissenschaftler und Journalisten liefen immer weiter Sturm. Der „Spiegel“ schrieb über den „Schwachsinn Rechtschreibreform“ und forderte: "Rettet die deutsche Sprache!". Beim vom Nachrichtenmagazin postulierten „Aufstand der Dichter“ waren Günter Grass, Siegfried Lenz, Martin Walser, Walter Kempowski und Hans Magnus Enzensberger dabei. „Alle waren dagegen“, triumphierte der Lehrer Denk.
    Trotzdem traten die neuen Regeln am ersten August 1998 offiziell in Kraft, dafür hatte kurz zuvor das Bundesverfassungsgericht den Weg frei gemacht. Doch die Nation war aufgewühlt, in Umfragen gaben Bürger an, sie wüssten nicht mehr, wie sie zu schreiben hätten, Zeitungen kehrten zu den alten Regeln zurück. Das Chaos war perfekt - weshalb die Kultusminister einen Rat für deutsche Rechtschreibung gründeten – und eine Reform der Reform in Auftrag gaben.
    Am Ende präsentierte der Rat, den es auch heute noch gibt, einen Kompromiss, der manche Reformregel rückgängig machte, aber längst nicht jede. Auch gegen diesen Kompromiss von 2006 gab es noch jede Menge Widerstand.

    Das "ß" als Reformopfer

    Eines der prominenten Reformopfer ist das „ß“, das aus vielen Wörtern verschwunden ist. Aus „daß“ wurde „dass“, aus „Kuß“ der „Kuss“. Der „Spaß“ durfte sein „ß“ hingegen behalten.
    Karikatur: Ein Mann liest auf seinem Sofa das Nachrichtenmagazin "Spiegel", das in Anlehnung an die Turbulenzen um die Rechtschreibreform mit "scharfem S" geschrieben wird.
    Karrikatur von 2004: Endlich wieder "ß"! (picture-alliance / dpa / Burkhard Fritsche)
    „Beliebt“ bei Reformkritikern war auch die Schifffahrt mit drei „f“ - zu ungewohnt das Schriftbild. Mit neuen „eingedeutschten“ Schreibweisen sollten zudem Fremdwörter im Zuge der Reform in die deutsche Sprache integriert werden.
    Von den alternativen Varianten konnten sich über die Jahre manche mehr und manche weniger durchsetzen. Das „ph“ in aus dem Griechischen stammenden Wortteilen wird inzwischen häufig durch die damals eingeführte Schreibweise mit „f“ ersetzt. Die „Geographie“ wird nun „Geografie“ geschrieben, das und „Saxofon“ war mal ein „Saxophon“. Richtig sind beide Varianten.

    „Ketschup“ und „Majonäse“ setzten sich nicht durch

    Andere Schreibweisen konnten sich hingegen nicht durchsetzen und wurden vom Rat für deutsche Rechtschreibung deswegen wieder zurückgezogen. So wird „Schikoree“ seit 2011 wieder ausschließlich „Chicorée“ geschrieben, „Grislibär“ ist wieder der „Grizzlybär“, und die ebenfalls kaum verwendeten Schreibweisen „Ketschup“ und „Majonäse“ wurden 2016 aus dem Wörterverzeichnis des Rates gestrichen.
    Auch die Getrennt- und Zusammenschreibung von Wörtern wurde reformiert, ob es auch übersichtlicher wurde, liegt im Auge des Betrachters. Jüngeren Generationen, die nur die neuen Regeln gelernt haben, erscheint manches vermutlich logischer als jenen Bürgerinnen und Bürgern, die sich ehemals umstellen und Rechtschreibung quasi noch einmal neu lernen mussten.

    Rechtschreibung als "Generationenproblem"

    So sieht es zumindest der Rat für deutsche Rechtschreibung. Die Reform sei inzwischen „vollständig angekommen“, sagt Geschäftsführerin Sabine Krome. „Manche Lesende und Schreibende wissen überhaupt nicht mehr, wie nach alter Rechtschreibung geschrieben wurde. Dass manche Menschen nicht danach schreiben und immer noch von der ‚neuen‘ Rechtschreibung sprechen, ist wohl eher ein Generationenproblem.“
    Allerdings: Die Reform habe gezeigt, dass sich nur solche Regeln durchsetzen, die „den Schreibgebrauch einer Mehrheit der Lesenden und Schreibenden berücksichtigen“, so Krome. „Nur dann fühlen sich die Menschen mitgenommen und nur dann sind sie auch bereit, Veränderungen mitzutragen.“
    Wer trotzdem immer noch alte Schreibweisen bevorzugt, der darf das ruhig tun - die amtlichen Regeln gelten nur in Schulen und Behörden. Anderswo darf jeder schreiben, wie er will.

    Monika Dittrich, ahe, dpa