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Rechtsextreme Ideologie
Männlichkeit, Gewalt und weißer Machtanspruch

Die Hälfte der organisierten Rechtsextremen in Deutschland ist gewaltbereit. Naturalistische Weltbilder prägen ihre Ideologie - männliche Kampfbereitschaft dient demnach der Verteidigung der "natürlichen Volksgemeinschaft". Und die AfD bietet anschlussfähige Konzepte.

Von Henry Bernhard | 03.10.2019
Dessau (Sachsen-Anhalt): Neonazis marschieren am 02.12.2000 unter Polizeischutz durch Dessau. Gleichzeitig protestierten mehrere hundert Menschen unter dem Motto "Bunt statt Braun" gegen den Aufmarsch von Neonazis in der Stadt . (MGB479-051200) | Verwendung weltweit
Anhänger der rechtsextremen Szene üben offenbar Kampfsport aus und trainieren sich so in Gewalt (picture alliance / dpa/Peter Förster)
Zunächst einmal gilt: Rechtsextreme Gewalt ist nichts Neues, auch nicht in Deutschland. Immer wieder hat es Ausschreitungen gegeben, in West wie in Ost. Nach 1990, im wiedervereinigten Deutschland, beobachten viele Sozialwissenschaftler einen Anstieg. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht von etwa 24.000 organisierten Rechtsextremen in Deutschland die Hälfte als gewaltbereit an. Für den Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke, der lange in der Polizeiausbildung tätig war, eine erschreckende Zahl:
"Das ist eine Zahl, bei der man erst mal schlucken muss, weil wir davon ausgingen jahrzehntelang, der Anteil tatsächlich Gewaltbereiter im organisierten Rechtsextremismus ist eine Minderheit, sind fünf Prozent, zehn Prozent maximal, wir wollen es nicht übertreiben. Das BfV sagt: die Hälfte, 12.000! Die Zahl finde ich bemerkenswert hoch; sie ist höher als in den vergangen Jahren und Jahrzehnten."
Die Tätertypen hätten sich ausgeweitet, so Jaschke. Neben Jugendgruppen, ideologisch oder kriminell motiviert, und Mitläufern seien Einzeltäter getreten:
"Meine These wäre: Es gibt diese verzweifelten 40, 50-jährigen Männer. Völlig desintegriert, chancenlos, perspektivlos, teilweise mit Gewaltbiografien oder mit einem bestimmten Vorstrafenregister. Ja, warum handeln sie so, wie sie handeln? Ich kann da nur sagen: Das ist gelebter Hass, das ist Verzweiflungstat, gemischt mit rassistischen Grundüberzeugungen. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Typus ist, der kommt."
Vorstellung einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft
Auch die Zielgruppen und Opfer rechtsextremer Gewalt hätten sich ausgeweitet: Ausländer, Migranten, Flüchtlinge, Sinti und Roma, Juden, Linke – also Minderheiten. Warum Minderheiten? Weil sie in der Ideologie von Rechtsextremen einen imaginären "Volkskörper" in dessen Reinheit bedrohen würden, so Jaschke:
"Zu den Einstellungen gehören naturalistische Weltbilder, also der Glaube, dass Gesellschaft nicht Gesellschaft sei, sondern Gemeinschaft, und dass die Regeln gelten, die in der Natur auch gelten. Wir beobachten in der Natur Kampfbereitschaft in der Tierwelt, also – so das rechtsextreme Denken – ist Kampf, Kampfbereitschaft, insbesondere männliche Kampfbereitschaft etwas ‚Natürliches‘. Deswegen gibt es nicht Gesellschaft, sondern Gemeinschaft, an deren Spitze – hierarchisch oberster Punkt – natürlich Volksgemeinschaft steht. Die ist ethnisch homogen, die ist ‚reinrassig‘."
Landesgrenzen mit Körpergrenzen gleichgesetzt
Wenn der Staat nicht vor den vermeintlich gefährlichen Fremden schützt, muss es der starke Mann tun. Allein, in der Gruppe, in der Gemeinschaft, in einer paramilitärischen Vereinigung. Der
Kulturtheoretiker Klaus Theweleit sprach vom innerlich schwachen, aber muskulösen Mann, der "die Landesgrenzen mit den eigenen Körpergrenzen gleichsetzt. Die eigenen Körpergrenzen sind, von innen gefühlt, nicht da. Die wollen die Macht im Staat. Das kommt dadurch, dass sie gedrillt werden. Und daher kommt diese Lust am militärischen Drill, dass sie an irgendeinem Punkt einen neuen Körper haben, ein muskuläres, motorisches Ich. ‚Körperpanzer‘ in den Worten von Wilhelm Reich. Und damit können sie diese Stabilität erreichen. Und wenn man die Körpergrenzen mit Landesgrenzen gleichsetzt, dann erklärt es sich sofort, dass dort, wo die Gebiete mit den wenigsten Flüchtlingen sind – wie Teile von Mecklenburg-Vorpommern oder so –, die meiste Wut haben oder Angst auf die Fremden, die nach Deutschland strömen: Wenn einer in Passau die Grenze übertritt und ist nicht legalisiert – der marschiert direkt in ihren Körper ein."
Organisierte Gewalttrainings
Und je ferner und fremder, desto bedrohlicher. Dagegen hilft der gestählte männliche Körper, am besten ausgebildet in Kampfsporttechniken. Der Genderforscher Robert Claus erläuterte die Gründe dafür, warum rechtsextreme Gewalt heute weniger eruptiv auf der Straße als organisiert in Fight Clubs stattfindet:
"Was war der Motor hinter dieser Entwicklung? Einerseits natürlich die Kreativität der Szene. Zweitens: Polizeiliche Repression! Es ist immer dann passiert, wenn Gewalt aus dem Fußballumfeld von der Polizei vertrieben wurde, hat man sich andere Orte gesucht. In dem Moment, wo man sagt, ‚Diese Gruppenschlägereien sind illegal‘, macht die Szene ein Sport draus. Heißt auch: Mit Repression hat man bedingt Einfluss; wir müssten eigentlich viel mehr über Prävention reden."
Das Ziel aber auch des organisierten Gewalttrainings sei der Straßenkampf, die angebliche Verteidigung des "Volkskörpers", der durch " Fremde" bedrohten deutschen Frauen, der "Volksgemeinschaft":
"Vom Sprachduktus wird immer sowas geschrieben wie, ‚Während das brave und konsumorientierte Volk in verrauchten Stuben beim Feierabend-Bier von Revolte und Man-müsste-mal schwadroniert‘. Es geht natürlich weiter mit: ‚Sie sind die wahren Krieger und moralisch erhaben.‘ Ist teilweise sehr pathetisch geschrieben."
Entsprechend würde sich die rechtsradikale Szene auch ausdifferenzieren. Vom harten Kampfsport bis hin zum Survival-Abenteuer, vom Männerbund bis hin zum Familienfest mit Kinderbetreuung. Die ideologischen Grundannahmen jedoch seien identisch:
"Gewalttätige Männlichkeit in der extremen Rechten lebt von absolutem weißem Machtanspruch. Wir sehen quasi in jedem Text, in jedem Bild diesen Appell an nationale Wehrhaftigkeit, an Kampfbereitschaft und Härte, die im Sinne von Männlichkeit auch total naturalisiert wird. Abgrenzung zu Feminismus, auch zu Schwäche ist wichtig. Und Abgrenzung zu nicht-weißer Migration ist wichtig. Ich glaube, da hat sich ein bisschen was verschoben, denn deutsche und russische Neonazis und bulgarische können auf einmal viel besser miteinander als noch vor Jahren."
Die Affinität zur Parteipolitik sieht Robert Claus durchaus unterschiedlich ausgeprägt, allerdings lasse sich ein Trend ausmachen:
"Also, ich sehe einerseits die Organisatoren vom ‚Kampf der Nibelungen‘, die teilweise aus der Dortmunder Neonazi-Szene kommen, die auch den ‚Tag der deutschen Zukunft‘ in Chemnitz mitveranstaltet haben im Juni, wo es fast schon depressive Reden darüber gab, dass die AfD so Wahlergebnisse einfährt, aber sie selber doch die nationale Opposition eigentlich seien. Wenn man ‚Imperium Fight Team‘ wiederum anguckt: Die haben vor der Bundestagswahl 2017 mehrfach AfD-Parteiwerbung geschaltet. Ich denke, die haben strategisch gecheckt, dass ihre Stimme bei der NPD verloren ist. Wir sehen natürlich viele rechte Hools bei den ganzen Vorfeldorganisationen, ‚Zukunft Heimat‘, PEGDIA, HOGESA, bei diesen Bewegungsphänomen, wo rechte Hools oftmals einen Ordnungsdienst stellen. Was ich sehe, dass viele Hools mit so richtiger Parteipolitik, Formalitäten wenig anfangen können, aber mit der politischen Nähe zur AfD im Grunde auch kein Problem haben.
"Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken!"
"Liebe Freunde, wisst ihr, was das große Problem ist?"
Die AfD – hier ihr Rechtsaußen Björn Höcke – hat für diese Rechtsextremen auch ein anschlussfähiges Angebot:
"Das große Problem ist, dass Deutschland, dass Europa ihre Männlichkeit verloren haben. Ich sage: Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken! Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!"