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Rechtsextreme Verdachtsfälle
"Die Soldaten wollen nicht, dass die Bundeswehr in Verruf gebracht wird"

Der Militärgeheimdiensts MAD ermittelt in 550 rechtsextremen Verdachtsfällen innerhalb der Bundeswehr. Das sei im Interesse der Soldaten, die keinen Rechtsextremen als Kameraden haben wollten, sagte der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), im Dlf. Das Thema treibe die Soldaten um.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Silvia Engels | 27.01.2020
Der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels bei einer Pressekonferenz
550 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus - "Das ist schon eine ganze Menge", sagte Hans-Peter Bartels (picture alliance/ AA/ Abdulhamid Hosbas)
Der Militärische Abschirmdienst, kurz MAD, ist der deutsche Militärgeheimdienst. Nachdem in den vergangenen Jahren immer wieder über Fälle rechtsradikaler Umtriebe zwischen Bundeswehrangehörigen berichtet wurde, bekam der MAD den Auftrag vom Bundestag, hier genauer hinzuschauen. Gestern erklärte der Präsident des Dienstes, Christof Gramm, in der "Welt am Sonntag", dass seine Organisation rund 550 Verdachtsfällen von Rechtsextremismus in der Bundeswehr nachgehe.
Hans-Peter Bartels von der SPD ist seit 2015 ist er Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Er hat einerseits die Aufgabe, über die Wahrung der Grundrechte von Soldatinnen und Soldaten zu wachen. Umgekehrt hat er aber auch die Einhaltung der inneren Führung bei der Bundeswehr im Blick. Er ist Anwalt der Soldatinnen und Soldaten und deren Ansprechpartner, erfährt aber auch viel über Missstände.
Silvia Engels: Einem Generalverdacht gegen die Bundeswehr gilt es entgegenzutreten. Das wollen wir auch nicht tun. Aber 550 Verdachtsfälle von Rechtsextremismus, zu denen der MAD ermittelt, sind das noch Einzelfälle?
Hans-Peter Bartels: Das ist schon eine ganze Menge und man sieht, dass der MAD seine Aufgabe jetzt ein bisschen energischer angeht, als er das vielleicht in der Vergangenheit getan hat. Dafür hat er auch mehr Personal bekommen und eine neue Struktur, auch übrigens eine neue Aufgabe mit der Sicherheitsüberprüfung schon bei Einstellung der Soldaten. Das gab es früher nicht. Es wird genauer hingeguckt und das ist auch richtig so im Interesse all der Soldaten, die nicht gerne einen Rechtsextremisten als Kameraden haben wollen.
"Die Soldaten melden - das ist auch gut so"
Engels: Hitler-Gruß zeigen, rassistische Chat-Kommentare, Rechtsrock bei einer Abschiedsfeier der Truppe – das ist ja ein bewusstes Bekenntnis erwachsener Menschen zu einer radikalen Ausrichtung. Wird das bislang stark genug verfolgt und geahndet?
Bartels: Es fällt auf. Es gibt Meldungen, die Soldaten auf dem Dienstweg nach oben schicken – im letzten Jahr etwa 200 zu Vorkommnissen vom Hitler-Gruß bis zu judenfeindlichen Äußerungen. Es gibt die Erkenntnisse, die der MAD bei den Sicherheitsüberprüfungen gewinnt, und das waren im letzten Jahr insgesamt 360 neue Fälle. Übrigens im Jahr 2017 waren es 340, in dem Jahr, als Franco A. auftauchte. Auch da war man schon mal sehr sensibilisiert. Da ist viel Neues reingekommen. Das heißt, die Soldaten melden, und das ist auch gut so. Sie sind Staatsbürger in Uniform, sie sind Demokraten in einer demokratischen Armee, und es gibt dann immer auch Leute, die da wirklich nicht reinpassen, weil sie Freiheit und Recht nicht verteidigen wollen.
Ein Soldat beobachtet in Münster (Nordrhein-Westfalen) neue Rekruten bei der Überprüfung der Vollzähligkeit ihrer Kleidung
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Diese Zunahme der rechtsextremen Verdachtsfälle in der Bundeswehr sei Indiz dafür, dass menschenverachtendes Gedankengut dort inzwischen stärker problematisiert werde, kommentiert Johannes Kuhn.
Engels: Da sind wir beim Thema. Sie sind ja viel im Gespräch, direkt mit Soldatinnen und Soldaten. Wie erleben Sie den Umgang mit diesem Thema Rechtsextremismus?
Bartels: Das treibt schon auch Soldaten um. Sie wollen das nicht, dass die Bundeswehr in Verruf gebracht wird durch Leute, die sich in einer Weise verhalten, die mit dieser demokratischen Bundeswehr gar nichts zu tun hat, die vielleicht eher anknüpft an sehr vergangene Zeiten. Manche von den jungen Leuten haben vielleicht auch noch gar nicht genug eigenen Maßstab, genug eigene Vorstellung, wie das geht in einer Demokratie, als Soldat für die Grundwerte einzutreten. Dafür gibt es in der Bundeswehr vom ersten Tag an das Recht und die Pflicht zu ethischer, politischer und historischer Bildung. Die Bundeswehr geht nicht davon aus, dass jeder, der kommt, schon voll entwickelt alles im Kopf hat, was man haben muss, um dem Rechtsextremismus zu wehren oder um die Demokratie jedem erklären zu können, aber im Laufe seiner Dienstzeit hat er immer wieder Begegnung mit historischer und politischer Bildung. Das ist gut! Das ist anders als in manch anderen Armeen in Europa oder in der NATO.
Seit Franco A. sicher noch mal ein bisschen dazugelernt
Engels: Und was bedeutet das in der Praxis? Erleben Sie auch Schilderungen, in denen Soldatinnen und Soldaten aktiv gegenhalten, wenn sie rechtsextremistische Sprüche in ihrem Bundeswehrumfeld hören?
Bartels: Ja, absolut! Das wird dann schon thematisiert. Ich bin nicht sicher, dass es immer thematisiert wird. Ich kann nur ermutigen dazu, es nicht auf sich beruhen zu lassen. Das wäre falsch verstandene Kameradschaft. Weghören und Weggucken, das ist genau nicht das, was erwartet wird, sondern wenn Leute sich gegen dieses Prinzip Staatsbürger in Uniform, Armee in der Demokratie wenden, dann ist das nicht mehr im Sinne dessen, was für alle anderen Bundeswehrsoldaten gilt und deshalb die ja zur Bundeswehr gekommen sind. Die wollen ja unser Land, unsere Freiheit verteidigen.
Engels: Erleben Sie in Ihren Gesprächen auch umgekehrt, dass mancher in Unkenntnis oder mutwillig so etwas wie rechtsextremistisch anmutende Äußerungen als Kavaliersdelikt sehen?
Bartels: Das mag es immer geben. Ich hoffe, immer weniger. Thematisierung hilft. Öffentliche Diskussion hilft. Ich denke, seit 2017, seit den Diskussionen um dieses Doppelleben von Franco A., hat man sicher noch mal ein bisschen dazugelernt – auch übrigens im KSK vielleicht angefangen, dazuzulernen. Denn wenn man sieht, dass man immer wieder ein Problem bekommt, dann kann man natürlich seine Ausbildung neben der rein militärischen Ausbildung auch ein bisschen darauf einstellen, dass es doch wichtig ist, jedem einzelnen Soldaten mitzugeben, was nicht von ihm erwartet wird, und ihm zu sagen, wenn Du Dich so verhältst, dann kann das gar nicht zu uns passen. Die Härtesten der Harten haben auch eine klar demokratische Gesinnung. Wer glaubt, dass dazu dann im Politischen das gehört, was er sich als härteste der harten Gesinnungen vorstellt, Nationalsozialismus, dann ist er falsch da.
"Es sind zu viele Einzelne"
Engels: Sie haben das Stichwort KSK genannt, die Elitetruppe. MAD-Präsident Gramm spricht in der "Welt" von einer, aus Sicherheitsgründen abgeschotteten Einheit, in der es durchaus elitäres Selbstbewusstsein gäbe. Das hätte viele Vorteile, berge aber auch Risiken. Ist möglicherweise bei einigen Bundeswehrangehörigen, die gerade Vorbild sein sollten, Rechtsextremismus besonders en vogue?
Bartels: Ja, das ist genau dieser Punkt. Das Risiko besteht, wenn man abschottet und wenn man dieses Bewusstsein, dass hier die Härtesten der Harten ausgebildet werden, nicht begleitet mit einer Thematisierung von Gefahren, die das auch für den Einzelnen haben kann. Einzelne im KSK haben offenbar die Vorstellung gehabt, dazu gehört dann auch was besonders hartes Politisches, und was die dann so für hart halten, das ist Nazi-Musik, und das ist nicht das KSK. Das sind nicht die vielen da. Aber es sind zu viele! Es sind zu viele Einzelne, die falsch interpretieren, was man von ihnen erwartet.
Engels: Und KSK ist auch immer ein Symbol. Die Bundeswehr generell ist ein Symbol. Wie verheerend ist dieses Zeichen von den Verdachtsfällen wachsenden Rechtsextremismus, gerade heute am Holocaust-Gedenktag?
Bartels: Weil man weiß, dass Militär für Rechtsextremisten attraktiv sein kann, muss man immer aufpassen. Deshalb gibt es den Militärischen Abschirmdienst. Deshalb gibt es die Sicherheitsüberprüfung. Deshalb gibt es während der Dienstzeit immer die Möglichkeit, auch Soldaten aus dem Dienst zu entfernen, die nicht in die Bundeswehr gehören. Ich gehe davon aus, dass die Sensibilität sogar eher gestiegen ist. Die Mittel jedenfalls, die der MAD hat, sind jetzt besser geworden. Es ist mehr. Sie werden nie auf null kommen. Sie werden es nie hinkriegen, dass man keine Probleme mehr in der Bundeswehr sowie im Rest der Gesellschaft natürlich auch nicht hat. Aber Sie müssen wachsam sein und die Bundeswehr als das erhalten, was sie seit ihrer Gründung sein soll, nämlich genau nicht eine Kopie von Vorgängerarmeen, sondern eine Armee in der Demokratie, in der selbst Demokraten Dienst tun.
Engels: Sie haben auch viele internationale Kontakte. Haben diese Fälle die Sprengkraft, dem internationalen ja derzeit hohen Ansehen und dem Vertrauen in die deutsche Bundeswehr zu schaden, auch gerade mit Blick auf die Geschichte?
Bartels: Nein, das glaube ich nicht. Andere Nationen müssen genauso wie die Bundeswehr gucken, dass sie sich freihalten von bestimmten Tendenzen, die es in der Gesellschaft gibt und die ins Militär hineinwirken. Da ist die Bundeswehr jetzt in keiner Weise ein Ausreißer und die 550 Fälle sind ja deshalb interessant, weil wir zum ersten Mal überhaupt vom MAD eine Zahl hören. Dass in der Vergangenheit die Zahlen immer nur in den Jahresberichten des Wehrbeauftragten, in meinem Jahresbericht veröffentlicht wurden, ist ja auch ein bisschen kurios. Der MAD ist inzwischen eine Bundesoberbehörde, so wie das Bundesamt für Verfassungsschutz das ist, und insofern begrüße ich sehr, dass er nun auch einmal im Jahr selbst einen Tätigkeitsbericht vorlegen will. Im Vorgriff darauf ist es gut, dass jetzt mal Zahlen vom MAD selbst veröffentlicht werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.