Peter Sawicki: Noch sind nicht alle Hintergründe des Mordversuchs an einem Eritreer im hessischen Wächtersbach Anfang der Woche geklärt, die Ermittler sagen aber zumindest schon längst, der mutmaßliche Täter, der sich anschließend selbst das Leben nahm, er hat aus rassistischen Motiven heraus gehandelt. Zuzüglich gab es in dieser Woche Bombendrohungen gegen Moscheen, und auf die Wohnung einer Politikerin der Linken in Sachsen wurde ein Sprengstoffanschlag verübt. Sicherheitsexperten warnen außerdem vor weiteren Anschlägen mit rechtsextremen Hintergründen. Der Bürgermeister des Ortes Wächtersbach, Andreas Weiher, spricht von einer neuen Qualität von gelebtem Rassismus. Wie umgehen mit dieser Entwicklung. Darüber können wir mit der CDU-Politikerin Serap Güler sprechen. Sie ist Integrationsbeauftragte der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Morgen, Frau Güler!
Serap Güler: Guten Morgen, Herr Sawicki!
Sawicki: Muss man sich in Deutschland als Mensch mit nicht weißer Hautfarbe mittlerweile Sorgen machen?
Güler: Das würde ich jetzt nicht so … Also ich würde nicht so weit gehen und das sagen, aber insgesamt, die ganze Entwicklung in den letzten Wochen macht schon Sorge, egal ob man eine weiße Haut hat oder nicht. Es kommt ja auf die Position an, die man bezieht. Wenn man an den Mord von Walter Lübcke denkt, der hatte keine schwarze Haut und ist trotzdem mit einem Kopfschuss geendet. Ich glaube, es kommt weniger auf die Hautfarbe als vielmehr auf die Position an.
Güler: Müssen sensibler auf Hetze reagieren
Sawicki: Viel wird über Rhetorik, die dann im Vorfeld von solchen Taten stattfindet, jetzt wieder diskutiert. Annette Widmann-Mauz, Ihre Kollegin von der CDU, sie sagt: "Aus Hetze wird Gewalt, aus Hetze irgendwann Mord. das dürfen wir nicht hinnehmen." Was folgt für Sie daraus, praktisch?
Güler: Insgesamt glaube ich, dass wir viel stärker darauf achten müssen, wer wo was sagt, das ist richtig. Aus Hetze kann Gewalt werden, und Gewalt kann tödlich enden, das müssen wir einmal festhalten. Und wir müssen dementsprechend auch sensibler auf diese Hetze reagieren, als wir das vielleicht in der Vergangenheit oder als wir das bisher getan haben. Hetze ist keine Meinungsäußerung, das müssen wir, glaube ich, ganz klar benennen, und wir müssen auch die Sicherheitsdienste personell wie aber auch technisch besser ausstatten, um gegen diese Hetze vorzugehen. Das Netz ist kein netzfreier (Anm. d. Red. Gemeint war "rechtsfreier") Raum, die sozialen Medien ebenso wenig, und ich glaube, das ist vielen vielleicht noch nicht ganz so bewusst, sodass sie gerade dort ihrer Hetze freien Lauf geben können, als das vielleicht vor zehn Jahren noch der Fall war.
Sawicki: Sie sprechen die Hetze online an, im Internet. Was für Maßnahmen könnte man da aus Ihrer Sicht durchführen, um das einzuschränken?
Güler: Wir haben ein gutes Beispiel in Nordrhein-Westfalen, und zwar die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime, die in der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelt ist und landesweit für die in den sozialen Medien verübte Hasskriminalität zuständig ist. Dazu zählen zum Beispiel Morddrohungen über Twitter oder Facebook gegen Politiker, und seit Beginn des Projektes, das sich "Verfolgen statt nur löschen" nennt, sind 378 Strafanzeigen dort eingegangen, 182 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet und 53 Beschuldigte identifiziert. Die Ermittler erzählen dann auch, dass Menschen teilweise verwundert sind, wenn auf einmal die Polizei vor der Tür steht, weil sie dachten, das, was sie da schreiben und machen, ist völlig in Ordnung. Da muss man, glaube ich, ganz klar sagen, nein, ist es nicht. Es ist allerdings nur ein Programm in Nordrhein-Westfalen, ich glaube, so etwas brauchen wir landesweit. Wir brauchen integrierte Handlungskonzepte gegen Rechtsextremismus, was wir auch in NRW haben, wo der Staat zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren gegen Rechtsextremismus Präventionsprogramme aufbaut. Ich glaube, der Dreiklang ist hier am allerwichtigsten. Wir brauchen eine stärkere Aufklärung, eine bessere Aufklärungsarbeit, genauso aber auch gute Präventionsprojekte sowie gute Aussteigerprojekte.
"Müssen auch besser über das Thema Rechtsextremismus aufklären"
Sawicki: Was meinen Sie mit Aufklärung, also im Hinblick auf die Sprache, was man sagen dürfen sollte und was nicht?
Güler: Was man sagen dürfe und was nicht und was nicht, ganz klar nicht in Ordnung ist. Wenn man Menschen den eigenen Hass ins Gesicht niederbrüllt oder im Internet niederschreibt oder das Ganze noch mal mit Drohungen schmückt, das geht nicht. Und da müssen wir ganz klar Position beziehen und auch deutlich machen, dass wir das nicht nur nicht dulden, sondern dass wir das ganz klar gesellschaftlich nicht akzeptieren.
Sawicki: Also auch im Alltag aktiver sozusagen damit umgehen?
Güler: Wir müssen natürlich ganz klar dagegen Flagge beziehen. Das ist aber nur das eine, wenn wir sagen, wir müssen viel besser aufklären. Wir müssen auch besser über das Thema Rechtsextremismus aufklären, was sind rechtsextremistische Symbole, was sind rechtsextremistische Botschaften. Ich glaube, das ist vielen noch nicht wirklich klar.
Sawicki: Im Hinblick auf die Rhetorik, auch die dann von Rechtsextremen verbreitet wird, da hat die "taz" in dieser Woche kommentiert, auch im Hinblick auf die Ereignisse in Wächtersbach, dass Medien, aber auch viele Menschen in der Öffentlichkeit Angst haben, laut der "taz", das Wort Rassismus in den Mund zu nehmen und stattdessen von Fremdenfeindlichkeit gesprochen wird. Sehen Sie das auch so?
Güler: Nein, das sehe ich nicht so. Ehrlich gesagt, da habe ich schon das Gefühl, dass wir auf der anderen Seite auch ein Problem haben. Man muss Rassismus ganz klar benennen, das ist richtig, man muss Dinge, die rassistisch sind, auch so benennen. Ich habe aber auf der anderen Seite auch das Gefühl, dass der Begriff Rassismus mittlerweile auch inflationär benutzt wird. Wenn wir eine Debatte darüber führen, ob es rassistisch ist, wenn jemand gefragt wird, woher er kommt, dann ist der Begriff auf der anderen Seite noch mal inflationär überstrapaziert. Und das überfordert, glaube ich, auch viele. Insofern würde ich nicht sagen, dass man sich vor dem Begriff Rassismus scheut, sondern das Problem ist, dass wir ihn manchmal inflationär einsetzen. Diese Beobachtung kann ich dementsprechend nicht teilen.
"Anscheinend haben wir ein Problem mit Rechtsextremismus"
Sawicki: Aber Sie sagen auch, wenn es Rassismus gibt, dann sollte man das klar benennen.
Güler: Und nicht kleinreden, das ist richtig, das ist absolut richtig, klar benennen und …
Sawicki: Genau, lassen Sie mich das fragen, Frau Güler, bitte. In dieser Woche im Bundestag gab es nämlich so ein Beispiel in dieser Richtung: Rolf Mützenich von der SPD, er hat Donald Trump, den US-Präsidenten, einen Rassisten genannt, mit Blick auf seine jüngsten Äußerungen gegenüber nicht weißen US-Amerikanerinnen, Politikerinnen, und er wurde für diese Aussage kritisiert. Können Sie das nachvollziehen?
Güler: Zum Teil. Ich fand die Äußerungen von Trump, diese Äußerungen, rassistisch. Er hatte in der Vergangenheit auch welche, ob das aus ihm jetzt einen Rassisten macht, das muss tatsächlich infrage gestellt werden. Aber noch mal: Viel wichtiger ist es, dass wir rassistische Taten, wie wir sie in der Vergangenheit, in der jüngsten Vergangenheit in Deutschland auch hatten – und damit rede ich nicht nur über die Ereignisse in Wächtersbach oder noch mal, was den Mord an Walter Lübcke betrifft –, sondern denken Sie an die NSU, so lange ist das auch nicht her. Dass wir das nicht als Einzeltäter abtun, das sind nur ein paar Spinner, die da unterwegs sind, das hört man ja auch öfter, und wir haben insgesamt kein Problem damit, sondern dass wir diese Straftaten, diesen Mordzug tatsächlich ernst nehmen und sagen, da müssen wir genauer hinschauen. Anscheinend haben wir ein Problem mit Rechtsextremismus, anscheinend müssen wir da viel stärker unsere Aufmerksamkeit drauf richten, als das bisher der Fall war. Und da spreche ich natürlich insbesondere die Sicherheitsdienste an und will mich da jetzt nicht mit Diskussionen aufhalten, ob der US-Präsident rassistisch ist oder nicht. Ich glaube, das sind alles am Ende Scheindebatten, die uns nicht helfen. Wir müssen viel stärker gucken, was passiert in unserem Land und wie können wir dagegenhalten.
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