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Rechtspopulismus
Das Phänomen AfD

Eine Partei verändert Deutschland - dieses Fazit zieht Justus Bender, Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in seinem Buch über die AfD. Die "Spiegel"-Redakteurin Melanie Amann geht noch einen Schritt weiter, wenn sie statt von der "Alternative" von der "Angst für Deutschland" schreibt. Eine Analyse über eine noch junge Partei liefern beide Werke.

Von Moritz Küpper | 24.04.2017
    Alice Weidel und Alexander Gauland, das Spitzenduo der AfD für den Bundestagswahlkampf.
    Alice Weidel und Alexander Gauland, das Spitzenduo der AfD für den Bundestagswahlkampf. (dpa-Bildfunk / Rolf Vennenbernd)
    Das Maritim-Hotel in Köln gestern Nachmittag:
    "…meine Damen und Herren, wir schließen den Parteitag jetzt gemeinsam mit der Nationalhymne, wie das bei uns inzwischen gute Tradition ist. Ich darf sie bitten, sich zu erheben."
    Abschluss eines erneut richtungsweisenden AFD-Bundesparteitages: Parteichefin Frauke Petry wurde abgestraft, ein Wahlprogramm mit den Forderungen nach einer jährlichen Mindest-Abschiebequote, Ausstieg aus dem Euro-Raum, bundesweite Volksentscheide und der Abschaffung des Rundfunkbeitrags beschlossen.
    Es ist dieser Kurs, mit dem die rechtspopulistische Partei nun erstmals den Einzug in den Bundestag schaffen möchte. Doch: Ob das erfolgreich sein wird und wer letztendlich wirklich für die Partei steht, muss sich noch zeigen.
    Die Partei entwickelt sich rasant
    "Also, es ist nicht einfach, ein Buch zu schreiben über eine Partei, die sich so rasant entwickelt wie die AfD. Also, während das Buch im Druck war, kam beispielsweise die Rede von Björn Höcke in Dresden, die auch meine Sicht auf ihn nochmal etwas verändert hat."
    Erzählt Melanie Amann, Redakteurin beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel": "Angst für Deutschland.", heißt ihr Buch. "Was will die AfD?", fragt dagegen Justus Bender, Redakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in seinem Werk. Und beiden gelingt es - trotz aktueller Entwicklungen bei der AfD - die großen Linien zu zeichnen. Denn: Berichterstattung über die AfD ist anders, weiß Bender:
    "Das Buch beginne ich als Ich-Erzähler und das ist erst einmal vielleicht ungewöhnlich, denn es geht in dem Buch ja nun wirklich nicht um mich, sondern es geht um die AfD. Aber ich hab diese Form gewählt, weil ich finde, dass bei dem Thema AfD immer ein Elefant im Raum steht - und das ist der Vorwurf, man sei Lügenpresse oder man sei als Journalist irgendwie, würde man Befehle empfangen aus dem Kanzleramt. Und deswegen habe ich in dem Buch erstmal sozusagen meine eigene Situation beschrieben, wie ich beschimpft werde aus der Partei, wie ich mich bemühe, die Themen richtig einzuordnen."
    Frei von der Zudringlichkeit der Toleranz und der Solidarität
    Eine vertrauensbildende Maßnahme, wenn man so will. Ohnehin ist Benders analysierender, nüchterner Stil wohltuend, gerade bei den hitzigen, oft reflexhaften und zumeist von Provokation- und Gegenprovokation durchsetzenden Diskussionen rund um die AfD. Bender geht den Fragen nach, warum die rechtspopulistische Partei entstehen konnte, welche Strategie sie verfolgt, er versucht aber auch Motivation und Gedankenwelt der AfD-Mitglieder zu ergründen:
    "Einen AfD-Anhänger kann zum Beispiel auch der Schulunterricht stören, in dem Kinder lernen, dass es unmoralisch ist, eine Irritation zu empfinden, wenn zwei schwule Männer sich küssen. Der Rechtsextremist würde sagen: Die Irritation ist richtig, weil Homosexualität eine verwerfliche, 'unnatürliche', den 'Volkskörper schädigende' Praxis ist. Menschen, die so reden, gibt es wahrscheinlich auch in der AfD, ich habe es aber fast nie gehört. Meiner Erfahrung nach würden die allermeisten AfD-Anhänger anders argumentieren. Sie würden sagen: Lasst meinem Kind seine Irritation, die Obrigkeit hat nicht zu entscheiden, welche Empfindung genehmigungspflichtig sind. AfD-Anhänger wollen frei sein von der, wenn man so will, Belastung durch Andere. Sie wollen frei sein von der Zudringlichkeit der Toleranz und der Solidarität."
    Dem Volkswillen unterordnen
    Doch dieser vermeintliche Freiheitsdrang hat Konsequenzen. Für Bender war der Hinweis auf den Philosophen Platon und dessen Buch "Der Staat" augenöffnend, um die AfD zu verstehen. Denn Platon schildert den Niedergang einer Demokratie durch den Freiheitsdrang seiner Bürger. Alles solle sich dem Willen des Volkes unterordnen, hieß es damals - und heute, bei der AfD:
    "Es kann aber in dem Moment kippen, wo ein Volkstribun auftritt, also ein Populist, der diesen Menschen verspricht: Ich beseitige das Establishment für Euch, ich beseitige die Oligarchie der Eliten, die Euch unterdrücken. Und wenn dann dieser jemand erstmal sozusagen die Institutionen unserer Demokratie beseitigt hat, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die anderen Medien, die pluralistische Parteiendemokratie, die repräsentative Demokratie ersetzt durch Volksentscheide, dann bekommt man ein Problem, denn dann gibt es in diesem System nur noch einen Volkstribun und das Volk und es gibt nicht mehr einen Hin und Her aus Meinungen, es gibt keine Kompromisse mehr, es gibt keine Koalitionen mehr."
    Ebenfalls spannend ist, wie Bender die Konsequenzen einer solchen Haltung weiterdenkt - und ein Szenario skizziert, wie die AfD - wenn sie an die Macht käme - die deutsche Politik und letztendlich das Land verändert würde: "Es ist jetzt Herbst 2027. Die Umgestaltung der Bundesregierung der Bundesrepublik ist in vollem Gange. Bundeskanzler Poggenburg regiert mit zwei Mitteln. Gemäßigte Reformen, die Gegenstand seines Koalitionsvertrages mit der Union sind, setzt er über die Bundestagsmehrheit mit der Koalition durch. Wenn der Union aber ein Vorhaben zu gewagt ist, verweist er auf die Möglichkeit eines Volksentscheides. Manchmal genügt diese Drohung und die Union fügt sich dem Willen Poggenburgs."
    Das Buch der Spiegel-Redakteurin Amann dagegen polarisiert: Kritiker ihres Buchs unterstellen ihre eine Nähe zur AfD. deren Europaabgeordnete Beatrix von Storch prüfte dagegen eine Klage gegen das Buch.
    Angst als Quelle
    "Also, Angst für Deutschland spielt einerseits mit dem Namen der AfD, wegen A, F, D, Angst für Deutschland, aber für mich war auch, als ich mir jetzt Gedanken gemacht habe darüber, wie beschreibe ich diese Partei, war mir klar, dass dieses Element der Angst wirklich ein zentraler Punkt ist, als Quelle, als Strömung, aus der sich die AfD speist."
    Amann schildert sehr plastisch, anhand von Anekdoten und Rekonstruktionen, eher die Entstehungsgeschichte, den Wandel von der Euro- zur fremdenfeindlichen Partei und legte besonderen Wert auf die handelnden Personen: "Es sind gerade bei einer jungen Partei am Anfang, Schlüsselfiguren und Führungsfiguren, die den Ton vorgeben."
    "Der Ökonom: Bernd Lucke", "Der Geschichtslehrer: Björn Höcke" oder "Die Chefin: Frauke Petry", sind einzelne Kapitel überschrieben. Und über den stellvertretenden Parteivorsitzenden Alexander Gauland - nun gemeinsam mit Alice Weidel Spitzenkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl - schreibt Amann wörtlich, er sei eine Identifikationsfigur für Rechte aller Radikalisierungsstufen, genieße aber auch in gemäßigten Partei-Kreisen eine präsidiale Autorität:
    Spitzenkandidat Alexander Gauland
    "Das liegt weniger an seinem majestätischen Auftritten im immer gleichen braunkarierten Sakko mit der immer gleichen dunkelgrünen Krawatte mit goldenen Hunden, als an seiner extrem vorsichtigen Kommunikation. Mails liest Gauland nur in ausgedruckter Form, und selbst verschickt er keine, auch keine SMS. In einer Partei, deren Machtkämpfe oft genug durch unvorsichtige Tweets, flapsige Facebook-Kommentare oder Wut-Mails mitten in der Nacht ausgelöst wurden, ist diese IT-Abstinenz eine Lebensversicherung - viele Nickeligkeiten bekommt Gauland gar nicht mit."
    Mitunter detailgetreu zeichnet Amann Schlüsselmomente der jungen Parteigeschichte nach, wie beispielsweise den Essener Parteitag 2015, auf dem Mitbegründer Bernd Lucke geschasst wurde - und mit seiner Reformgruppe "Weckruf", mit der er die Partei unterwandern wollte, scheiterte: "Was die ‚Weckruf'-Leute nicht ahnen: Unter einer Fensterbank hinter der Heizungsverkleidung im Tagungsraum klebt ein schlichtes Panasonic-Diktiergerät. Ein Teilnehmer nimmt das heimliche Treffen heimlich auf. Wenige Tage später kursiert der Audio-Mitschnitt im Internet. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Audiodatei in der AfD-Welt, und die Petry-Anhänger fertigen sogleich Abschriften an. Nun kennen alle Luckes Drehbuch für den Parteitag."
    Obwohl sich die jüngsten Ereignisse rund um den Bundesparteitag in Köln in keinem der beiden Bücher wieder finden, bleiben diese wegen dem Aufzeigen der großen Linien lesenswert. Und letztendlich lohnt sich sogar die Lektüre beider Bücher, weil sie sich geradezu idealtypisch ergänzen - und somit, gerade im Jahr der Bundestagswahl, einen wertvollen Beitrag leisten, um das Phänomen AfD besser einschätzen zu können.
    Melanie Amann; "Angst für Deutschland. Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert",
    Droemer, 320 Seiten, 16,99 Euro.
    Justus Bender: "Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland",
    Pantheon Verlag, 220 Seiten, 14,99 Euro